Die christliche Youtuberin Jana entwirft Gott als Helikopterpapa ohne Moral

Aaaah, ich brauche Content!

Die evangelische Kirche hat zur Verbreitung ihrer Lehre eine christliche Youtuberin casten lassen. Deren Glaube unterscheidet sich von kindlichem Narzissmus nur wenig.

Ein sechsjähriges Kind, das Krebs hat, erfährt ein Höchstmaß an Aufmerksamkeit. Nach seiner glücklichen Gesundung steht es vor einem Problem, das den meisten Menschen fremd ist: Wie kann ich jemals wieder so sehr im Fokus sein wie damals, als meine Eltern in steter Angst um mich lebten?

Der Gedankengang muss angesichts der sich für "christlich" erklärenden, im Auftrag der evangelischen Kirche gecasteten Youtuberin Jana erlaubt sein. Sie drängt mit dem, was sie ihren Glauben nennt, in die Öffentlichkeit, als Slammerin auf Bühnen, jetzt auch auf ihrem Youtube-Kanal, sie selbst verknüpft ihren Glauben mit der oben angeführten Krankheitserfahrung. In bester christlicher Tradition hinterfragt sie natürlich ihren Gott nicht, der Sechsjährige an Krebs erkranken lässt, und all die vielen Kinder, die elend gestorben sind, und deren Meinung über Gott, kommen hier naturgemäß nicht zu Wort. Wer tot ist, macht keine Youtube-Filmchen mehr. Das Wort haben stets die Überlebenden.

Diese Überlebende hier, wen wundert's, ist also froh und dankbar über ihr Leben. Ihren Glauben hat das alles bestärkt. Die brennenden Fragen, die sich, setzt man das Vorhandensein eines Gottes als Prämisse, nun einer fühlenden und denkenden Seele aufdrängen würden, kommen ihr nicht in den Sinn: Warum sind Millionen andere Kinder an Krebs, Cholera, Malaria, Mangelernährung usw. gestorben? Was hatte ich ihnen voraus, meinen Glauben? Als Sechsjährige? Oder hat Gott mich nur per Zufall zum Weiterleben erwählt? Man weiß gar nicht, für welches der beiden Erklärungsmodelle man diesen Gott mehr verachten sollte. In einem fordert er die totale Unterwerfung, im anderen sind ihm Schicksale nur ein Spiel.

Aber das kümmert die 19-Jährige nicht. Sie, die Medizinerin werden will, die also Menschen helfen will – auf der unverzichtbaren Grundlage wissenschaftlicher Erkenntnis –, schreckt vor der bodenlosen Empirie-Allergie der Religiösen nicht zurück. Fast jetzt schon ein Klassiker ist die Begründung ihres Glaubens, die sie in einem ihrer ersten Videos abliefert: "Ich glaube, weil ich noch nie einen Grund hatte, es nicht zu tun." Das ist nur von der Satzstruktur her eine Begründung, in Wahrheit aber natürlich eine Aussage, die nicht nur ohne Logik, sondern auch ohne Moral auskommt. "Ich esse jeden Morgen fünf Stück Kuchen zum Frühstück, weil ich noch nie einen Grund hatte, es nicht zu tun", "Ich lackiere mir die Nägel rosa, weil ich noch nie einen Grund hatte, es nicht zu tun", "Ich verhaue täglich mein Kind, weil ich noch nie einen Grund hatte, es nicht zu tun", "Ich hasse alle Juden, weil ..." Immer so weiter könnte man Aussagen nach diesem Muster produzieren – übrig bleibt eigentlich nur eines, das Urmovens von allem: "Ich".

Der Gott, der uns hier von der jungen Youtuberin entworfen wird, ist einer, der keine Gesellschaft begründet, einer ohne Regeln also, ohne wie auch immer geartetes ethisches Programm. Er ist der Helikopterpapa, der ihr jede Sekunde ihres Lebens verschönert: "Immer wieder und in den kleinsten Situationen zeigt mir Gott, hey, ich bin da." Gott ist nach dieser Lesart eigentlich nur so eine Art rezeptfreier Stimmungsaufheller. Glaube, was ist das? Hier bleibt nichts mehr übrig. Die Fantasy-Anthologie namens "Bibel" spielt gar keine Rolle mehr, auch vom Brimborium der Priester ist keine Rede. Was bleibt, ist eine Form von Esoterik, die sich vage aufs Christentum beruft. Glaube, das ist: Kontrolle abgeben. Da man sowieso keine Kontrolle hat. Entspannung. Seele baumeln lassen. Gar kein so doofer Gedanke vielleicht. Würde man an dieser Stelle einen Hauch von Logik einführen wollen, so ließe sich sagen: Ich lasse los von allen äußeren und inneren Zwängen, die ja alle letztlich mit meiner Sterblichkeit zu tun haben. Aber ich glaube nicht, wieso auch? Ich hatte noch nie einen Grund es zu tun.

Glücklicherweise hält Jana sich nicht mehr gar zu sehr mit philosophischen Betrachtungen auf. Dass ihre blondgelockten Laienpredigten vom Sofa niemanden so richtig kicken, hat man wohl auf Seite der Produktionsfirma bemerkt, die matten Zugriffszahlen sprechen für sich. Nun darf Jana ein Leben leben. Dieses ist voller durchschnittlichem, langweiligem Krempel, sie aber geht überall mit einem großen, breiten Lächeln hindurch: Sie lächelt, wenn die Sonne aufgeht. Sie lächelt, wenn die S-Bahn einfährt. Sie lächelt eigentlich grundsätzlich, wenn eine Kamera auf sie gerichtet ist. Immer wieder und in den kleinsten Situationen sagt die Kamera zu Jana, hey, ich bin da! Es gibt super leckere Suppe. Es gibt Flammkuchen, Hammer! Mega! Jana geht ins Theater, Ayn Rand, und findet es super anspruchsvoll. Sie überlegt, wo sie ihr Fahrrad abgestellt hat. Sie extemporiert über den Umstand, dass die "Vice" über ihre Augenbrauen geschrieben hat. Sie versucht, den Namen des Christophorus-Krankenhauses richtig auszusprechen und lässt es dann lieber. Sie ist glücklich, mit einem Arzt über die Station zu laufen ("Ich freu mich voll! Das Thema heute ist die alkoholische Leberzirrhose"), sie lästert über stattgehabte Patientengespräche ("Man stellt so Fragen wie, was ist Gesundheit für Sie? Und dann kommen so Antworten wie 'ne Menge' ... Aaah! Ich brauche Content!"). Sie filmt, nach den schönen Leberzirrhosestunden, den Zettel, den sie hinter ihrer Windschutzscheibe hinterlassen hatte: ("Falls man hier nicht parken darf, tut es uns leid – wir müssen ins Krankenhaus.") Stimmt ja auch. Studentin im Einsatz! Mit Gott! Was Jesus wohl gesagt hätte zum Drogenelend rund um den Hamburger Bahnhof? Die angehende Ärztin, ihren Gott im Herzen, findet es "ein bisschen gruselig" und ist froh, dort schnell wegzukommen.

Glaube, Christentum, was ist geblieben von ihnen? In einer aufgeklärten Industrienation kann niemand sich mehr auf Gottes so genanntes Wort, das von Widersprüchen und Grausamkeiten strotzt und längst gründlich als durchaus menschliches literarisches Werk erforscht ist, berufen. Auch das kostümierte Gemurmel der Priesterschaft kann wohl niemanden über Drei mehr beeindrucken. Wie also glaubt man, wenn man meint, es tun zu müssen? Youtube-Jana steht hier stellvertretend für Viele – Glaube ist ihr eine Art emotionaler Selbstaufputschung, die vor allem einen Zweck hat: Dass das eigene Ego mit den Widrigkeiten des Lebens besser klar kommt.

Ist das nun mehr als ein harmloser Spleen? Sind überbordende Fantasie und leichte Wahnhaftigkeit nicht im Menschen angelegt? Ja, hm. Allerdings trägt das Bekenntnis zur irrationalen Hingabe durchaus den Keim des Antizivilisatorischen in sich. Wer Jana zuhört, wie sie mit dem Begriff "Wahrheit" hantiert, kann sich schon auch ein bisschen gruseln: "Ich glaube, dass Jesus der Weg, die Wahrheit und das Leben ist, und das ist für mich wahr. Aber ich verstehe, dass mein Gegenüber eine Wahrheit hat, die ganz anders sein kann, aber die für ihn absolut wahr ist, und das macht meine nicht falscher und deine nicht falscher." Mit einem solchen Argument, das sich tolerant gibt, enden Ethik und Wissenschaft gleichermaßen: Hier hat jeder Recht. Empirie spielt keine Rolle mehr. Die alternative Wahrheit der Religionen muss notwendigerweise alle möglichen Formen alternativer Fakten zulassen. Unter anderem deshalb ist religiöses Denken gefährlich, eine Bombe, die nur scharf gemacht werden muss.

Meine Wahrheit, deine Wahrheit. Lässt sich religiös gefühlte Wahrheit mit rationaler Wahrheit gleichsetzen? Natürlich nicht. Denn Letztere ist ein Bekenntnis zur Offenheit, zur möglichst objektiven Auswertung der Faktenlage. Würde Gott sich morgen endlich mal nachweislich offenbaren, wäre jeder Rationalist ja höchst interessiert an dieser neuen Information, keinesfalls im Innersten erschüttert, sondern würde die neue Faktenlage prozessieren und den Atheismus mit gutem Grund hinter sich lassen. Anders der Gläubige. Ihm fehlt jeder Beleg. Immer wieder kommen ihm Zweifel an seiner eigenen Geschichte. Immer wieder muss er sich trösten, dass gerade die Nichtbeweisbarkeit des Gottes eine besondere Qualität sei. Immer wieder muss er fürchten, am Ende doch danebenzuliegen mit seinem Dogma, einem von tausenden konkurrierenden auf der Welt.

Klar kann im Ausschalten des logischen Denkens ein Glück liegen, das Glück des gefühlten Einswerdens mit dem Universum. Man kann dafür Drogen nutzen, oder Sex, oder okkulte Rituale, oder, cleaner, einen Gott. Sie alle ermöglichen es uns, die Last der Eigenverantwortung für den Moment zu vergessen. Verantwortung für sein Leben zu haben, ist nicht einfach. Nur den Fakten zu trauen, ist in vielerlei Hinsicht eine Zumutung. Denn die Fakten der Natur sprechen nicht von Barmherzigkeit, nicht von allumfassender Liebe. Sie nehmen uns in die Pflicht. Eine bessere Welt zu schaffen statt in eine hinüberzusterben.