Im April 2018 wurde eine Studie veröffentlicht, nach der nur 37 % der befragten 7.200 Schülerinnen und Schüler der Kirche vertrauen. Selbst Banken (43 %) und die Bundesregierung (45 %) werden für vertrauenswürdiger gehalten.
Die im April 2018 veröffentlichte gemeinsame "Repräsentationsstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht" des Katholischen und des Evangelischen Instituts für berufsorientierte Religionspädagogik (KIBOR und EIBOR) an der Universität Tübingen brachte auf Basis der Befragung von mehr als 7200 Schülerinnen und Schülern (SchülerInnen) der 11. und 12. Jahrgangsstufen von Berufsschulen sowie beruflichen und allgemeinen Gymnasien (Alter 16–18 Jahre) für die beiden großen christlichen Kirchen viele unerfreuliche Ergebnisse.
Dass SchülerInnen den Kirchen so wenig Vertrauen entgegenbringen, hätten sich die Autoren der Studie, darunter die Theologen und Professoren Reinhold Boschki (KIBOR) und Friedrich Schweitzer (EIBOR), nicht träumen lassen. Denn die erste Frage ihres umfangreichen sechsseitigen Fragebogens lautete:
Die Antworten auf diese Frage tauchen jedoch nur im Anhang auf Seite 258 des Buches "Jugend – Glaube – Religion. Eine Repräsentativstudie zu Jugendlichen im Religions- und Ethikunterricht" (JGR) auf:
Zur Überraschung der Autoren schnitten die Banken mit weitem Abstand besser ab als die christlichen Kirchen. Vielleicht war man bei der Erstellung des Fragebogens davon ausgegangen, dass Finanzkrise, Bankenrettung mit dreistelligen Milliardenbeträgen, millionenschwere Managergehälter, anrüchige Investmentbanker und vieles andere mehr bei Jugendlichen einen negativen Eindruck hinterlassen? Pustekuchen!
Unterdrückung unangenehmer Befragungsergebnisse
Wenn Studienautoren Studienergebnisse nicht ins Konzept passen, sie als Wissenschaftler aber um eine Veröffentlichung nicht herumkommen, publizieren sie die Daten dort, wo sie nur besonders interessierte Leser aufstöbern: im Anhang. Im Hauptteil berichten sie dann nur über Teilergebnisse, die den Sachverhalt etwas erträglicher erscheinen lassen, und unterdrücken vollständig die Inhalte, die an die Substanz gehen. So geschehen im Abschnitt "Soziales Kapital" auf Seite 166 von JGR:
Weder Banken noch muslimischen Verbände finden sich im Diagramm und im Textteil wieder. Dass letztere bei den Schülern kein großes Vertrauen genießen, war zu erwarten. Aber dass die SchülerInnen den Banken ein um sechs Prozentpunkte höheres Vertrauen entgegenbringen würden als den Kirchen – das konnte sich niemand vorstellen. Und deshalb durfte diese unerwartete und zugleich gewichtige Einschätzung weder grafisch noch textlich in den Hauptteil, sondern nur als Tabelle in den Anhang. Dieses Vorgehen ist ein klassisches Beispiel dafür, wie stark das Eigeninteresse die Arbeit von Wissenschaftlern dominieren kann.
Angesichts der niederschmetternden Gesamtwerte trifft es sich gut, dass die christlichen Kirchen bei der kleinsten Befragtengruppe, den BerufsschülerInnen, mit 32 % zwar noch etwas schlechter abschneiden als bei den GymnasialschülerInnen, jedoch etwas mehr Vertrauen genießen als die Bundesregierung (25 %). Die Reihenfolge der Balken bewirkt zudem, dass die christlichen Kirchen für Betrachter rein optisch nicht als eindeutiges Schlusslicht erscheinen.
SchülerInnen misstrauen mehrheitlich den christlichen Kirchen
32 % Vertrauen bedeutet zugleich, dass 68 % der BerufsschülerInnen den christlichen Kirchen entweder misstrauisch gegenüberstehen oder sich zu diesem Thema nicht äußern. Von den SchülerInnen aller drei Schularten zusammen haben 63 % kein Vertrauen zu den christlichen Kirchen. Auf den Punkt gebracht: Knapp zwei Drittel der SchülerInnen misstrauen den christlichen Kirchen (Skala-Stufen 1 bis 3) oder üben Stimmenthaltung (Skala-Stufe 4). Den genauen Anteil indifferenter SchülerInnen kennen nur die Studienautoren.
Das Durchschnittsalter der Befragten lag an beruflichen Schulen bei 18,6 Jahren, an beruflichen Gymnasien bei 17,1 Jahren und an allgemeinbildenden Gymnasien bei 16,4 Jahren. Ein Alter, in dem Jugendliche verstärkt beginnen, nach dem Sinn des Lebens zu suchen, um eine Basis für ihr Leben zu finden. Vieles von dem, was ihnen im Kindesalter ein Jahrzehnt lang beigebracht worden ist und sie als richtig hingenommen haben, stellen sie nun zunehmend in Frage. Das gilt vor allem für die Religion, die sie in der Regel von ihren Eltern "geerbt" haben.
Konfessionell-kooperativer Religionsunterricht als Notlösung
Seit 2005 kann in Baden-Württemberg konfessionell-kooperativer Religionsunterricht (KK) erteilt werden. Die SchülerInnen werden im Wechsel von evangelischen und katholischen Lehrkräften unterrichtet. Wie sich die befragten SchülerInnen auf die nunmehr vier Unterrichtsfächer verteilen, ist der folgenden Tabelle (JGR S. 69) zu entnehmen:
Es zeigt sich, dass fast die Hälfte der SchülerInnen an beruflichen Schulen konfessionell-kooperativen Religionsunterricht erhalten. Offensichtlich lassen sich an beruflichen Schulen, die bei der Klassenbildung häufig nach Ausbildungsberufen unterscheiden müssen, schon aus organisatorischen Gründen nur dann Klassen mit der geforderten Mindestzahl an SchülerInnen für Religionsunterricht bilden, wenn katholische und evangelische SchülerInnen gemeinsam unterrichtet werden.
Ethikschüler interessierter als Religionsschüler
Angesichts der anhaltenden Diskussion über die Sinnhaftigkeit religiösen Unterrichts in einer zunehmend säkularer denkenden Gesellschaft kommt der Bewertung beider Unterrichtsfächer, Religion und Ethik, verstärkt Bedeutung zu. Die knapp 1100 befragten SchülerInnen mit Ethikunterricht bewerten ihren Unterricht in allen sieben angeschnittenen Punkten besser als die SchülerInnen mit Religionsunterricht. Bei spannenden Themen und Denkanstößen liegt der Ethikunterricht weit vorn. Während der Religionsunterricht 46 % der SchülerInnen persönlich wenig bringt, ist das nur bei 32 % der EthikschülerInnen der Fall (JGR S. 110):
Nachzuholen ist, dass die Ethik-SchülerInnen zum Zeitpunkt der Befragung im Durchschnitt 17,1 Jahre alt waren. 48 % hatten einen Migrationshintergrund. 21 % gingen auf die Berufsschule, 36 % auf ein berufliches und 43 % auf ein allgemeinbildendes Gymnasium. Verteilung nach Religionszugehörigkeit: römisch-katholisch = 24 %, evangelisch = 26 %, evangelisch-freikirchlich = 1 %, christlich-orthodox = 4 %, muslimisch = 18 %, ohne Religionszugehörigkeit = 26 %, andere = 4 %.
Muslimische SchülerInnen wollen wissen, was MitschülerInnen einer anderen Religion denken
Von den muslimischen SchülerInnen (N = 367) sind 74 % daran interessiert, "was MitschülerInnen einer anderen Religion denken". Das ist deutlich mehr als bei nichtmuslimischen SchülerInnen, von denen sich 60 % für andere Religionen interessieren. Weniger krass ist der Unterschied bei der Aussage "Ich finde es spannend, mich mit anderen Kulturen zu beschäftigen" (Seite 154). Die tendenzielle Zustimmung nichtmuslimischer SchülerInnen beträgt 64 %, die der muslimischen SchülerInnen 76 %. Zugleich sind von den muslimischen SchülerInnen 55 % der Meinung, dass "nur eine Religion wahr ist", während dieser Aussage nur 10 % der nichtmuslimischen SchülerInnen zustimmen.
Beides, das Interesse daran zu erfahren, was die MitschülerInnen über ihre Religion denken, und die mehrheitlich vertretene Meinung, dass nur eine Religion wahr ist, sprechen dafür, den Muslimen keinen eigenen Islamunterricht zu bieten, sondern alle SchülerInnen gemeinsam zu unterrichten. Ob das Unterrichtsfach Ethik heißt oder, wie die Bundesarbeitsgemeinschaft Säkulare Grüne vorschlägt, "Philosophie und Religionskunde", spielt keine entscheidende Rolle. Viel wichtiger ist es, allen SchülerInnen Gelegenheit zu bieten, miteinander und nicht übereinander zu reden. Das gilt insbesondere dann, wenn der Aussage "Manche muslimische Gruppen machen mir Angst" lediglich 22 % der muslimischen SchülerInnen zustimmen, jedoch 60 % der nichtmuslimischen SchülerInnen. Für einen nachhaltigen Angstabbau braucht es direkte Gespräche.
84 Prozent der SchülerInnen gehören einer christlichen Kirche an
Baden-Württemberg gilt als eher religiös und kirchlich geprägtes Land – auch wenn es Bundesländer wie Rheinland-Pfalz, Bayern und Saarland mit einem deutlich höheren Anteil an Mitgliedern der katholischen oder evangelischen Kirche gibt. Zum Zeitpunkt der Befragung im Herbst 2015 gehörten in Baden-Württemberg 34,5 % der Bevölkerung der katholischen und 30,1 % der evangelischen Kirchen an (Quelle: http://www.kirchenaustritt.de/bw). Davon weichen die Zahlen der Religionszugehörigkeit bei den befragten Schülern erheblich ab. Gründe dafür könnten u. a. die steigende Zahl der Kirchenaustritte im mittleren und höheren Erwachsenenalter, aber auch eine höhere Anzahl der Kinder pro Kirchenmitglied sein.
Glaube an Gott sinkt innerhalb von eineinhalb Jahren von 52 % auf 49 %
Um nicht nur zeitpunktbezogene Daten zu erhalten, sondern auch die Entwicklung zu erfassen, wurden eineinhalb Jahre später (Frühjahr 2017) 3001 SchülerInnen noch einmal befragt. Deren Antworten konnten beiden Befragungszeitpunkten zugeordnet werden. Von diesen SchülerInnen gehörten 44 % der römisch-katholischen und 40 % der evangelischen Kirche an (zum Vergleich siehe obige Tabelle mit Daten vom Herbst 2015). Hinzu kommen 3 % evangelisch-freikirchliche (N = 87) und 1 % christlich-orthodoxe (N = 39) SchülerInnen. Angesichts des höheren Anteils der SchülerInnen mit christlicher Religionszugehörigkeit bei der zweiten Befragung (88 % statt 84 %) kommt deshalb das Ergebnis zur Aussage "Ich glaube an Gott" etwas überraschend. Die Zustimmung zu dieser Aussage sinkt von 52 % auf 49 %. Dem entspricht der Anstieg von 31 % auf 34 % bei der Aussage "Gott ist (…) nur von Menschen ausgedacht."
Den aufmerksamen Lesern des Buches wird auffallen, dass sich die Autoren sehr darum bemühen, die Befragungsergebnisse so darzustellen, dass sie den kirchlichen Amtsträgern den Hoffnungsschimmer lassen, nicht ganz auf verlorenem Posten zu stehen. Das gelingt am besten im Teil 3 mit der Wiedergabe ausgewählter Ergebnisse der "qualitativen Untersuchung". Dazu wurden im Jahr 2014 insgesamt 151 SchülerInnen im Alter von 13 bis 30 Jahren in Gruppen mit jeweils drei bis fünf SchülerInnen ca. 45 Minuten lang befragt. Die vorbereiteten Interviewfragen bzw. Stichworte dienten lediglich als Anstoß für die SchülerInnen zur eigenständigen Diskussion über Religion im Allgemeinen. 2016 fand eine zweite Runde mit 147 TeilnehmerInnen im Alter zwischen 16 und 32 Jahren statt. Da an der qualitativen Untersuchung nur Personen mit besonderem Interesse an der Thematik Religion teilgenommen haben, ist nicht von Ergebnissen auszugehen, die die reale Welt auch nur einigermaßen repräsentativ widerspiegeln, sondern solchen, die ins Konzept passen. Die Autoren haben es sich selbst zuzuschreiben, wenn man ihnen keinen Glauben mehr schenkt. Das Geschehen erinnert an die Fabel vom Hirtenjungen und dem Wolf. Etwas abgewandelt könnte die Moral von der Geschichte dann lauten: Wer einmal täuscht, dem glaubt man nicht.
4 Kommentare
Kommentare
Hans Trutnau am Permanenter Link
Nu ja, die Autoren sind Theologen, oder? Die werden ihr Nest sicher nicht beschmutzen...
Aber die abgebildete Kirchenruine passt vorzüglich!
Manfred Schleyer am Permanenter Link
Diese Ruine dürfte in England stehen. In Deutschland haben und bekommen die Kirchen (immer noch) viel Geld vom Staat.
Marianne Erni am Permanenter Link
Wenn die Schüler sich heutzutage unzensiert mit Religion beschäftigen können, begreife ich jeden, der ihr den Rücken kehrt.
agender am Permanenter Link
Kirchenmitgliederdifferenz:
Die 26% hatten das Glück, gar nicht erst getauft zu werden.