Kritisches zu einer Religionsstudie in Österreich

Was glaubt Österreich? Alles Mögliche.

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Vom ORF für Dreharbeiten in einer Kirche verwendete Kamera mit Zubehör
Vom ORF verwendete Kamera

Seit 2023 arbeiten der Österreichische Rundfunk (ORF) und eine Gruppe an der Universität Wien an der Studie "Was glaubt Österreich?". Der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat das Projekt medial begleitet. Nach der Veröffentlichung "erster Ergebnisse" im Sommer 2024 und der Ankündigung der Studie für Anfang 2025 gibt es jetzt doch wieder nur "erste Ergebnisse" und sehr selektive Erzählungen dazu im ORF.

Anfang Januar 2025 kam man kaum an den Ankündigungen der Sendungen zum Thema "Was glaubt Österreich?" im öffentlich-rechtlichen Fernsehen vorbei. Seit 2023 gab es zur gleichnamigen Studie bereits Inhalte; neben der wissenschaftlichen wurde also auch eine mediale Schiene bedient.

Die ORF-Religionsredaktion, der viele säkulare Menschen in Österreich einseitige Propaganda für Religion vorwerfen, suchte sich Themen aus, die gesellschaftlich relevant sind, jedoch auch von manchen Religionen für sich reklamiert werden: "Sinn", Gerechtigkeit, Ethik, Glück, Gemeinschaft und so weiter. Fragen nach Gött*innen und Glaubensinhalten standen gar nicht so im Vordergrund. Nach der "bewährten" Methode, "Menschen von der Straße" zu befragen, kamen alle möglichen Antworten zusammen, unter denen die Religionsredaktion eine Auswahl traf. Ob diese Auswahl repräsentativ war, weiß nur die Redaktion. Jedoch sah man auch in den gesendeten Beiträgen ziemlich wenige Antworten, die die gesellschaftlichen Themen (eben Sinn, Gerechtigkeit, Glück usw.) mit Religion verbunden haben. Und die Fragen nach "Gott" (in der Religionsredaktion kennen sie offenbar nur einen) ergaben auch nur wenige zustimmende Antworten. Also als Unterhaltungsformat passabel, als Information nicht verwendbar.

Wann gibt es die Studie?

In den Sendungen am 7. Januar 2025 gab es bereits Aufnahmen, in denen Menschen in der "Studie" (oder in einer Papiersammlung mit der entsprechenden Beschriftung) blättern, und natürlich haben die Studienleiter*innen bereits Zugriff auf alle Daten. Im Mai soll die Studie veröffentlicht werden, bis dahin hat die Projektgruppe, bestehend aus einer Wissenschaftlerin und zwei Theolog*innen, exklusiven Zugriff auf die Gesamtheit der Daten und damit auch die Deutungshoheit über die Ergebnisse.

Der Fragebogen ist bereits zugänglich, so wie auch ein Dokument "Was glaubt Österreich?": Erste Tendenzen. Insgesamt wurden 2.160 Personen zwischen 14 und 75 Jahren befragt, mit einem bewusst höheren Anteil an jungen Menschen. Diese Gewichtung wurde für die Endergebnisse berücksichtigt und entsprechend herausgerechnet. Allerdings lässt die Studie damit keine Rückschlüsse über Menschen außerhalb des genannten Altersfensters zu, zum Beispiel über die Religiosität von Menschen ab 76 Jahren, die 2023 8,6 Prozent der Bevölkerung ausmachten. Das Exkludieren von jüngeren Kindern und Teenagern ist methodisch nachvollziehbar.

In diesem "Erste Tendenzen"-Dokument steht viel Prosa zwischen wenigen Zahlen. Ein wichtiges Ergebnis: der Anteil derjenigen, die an "einen Gott oder eine göttliche Wirklichkeit" glauben, beträgt 22 Prozent, dies wurde bereits im Sommer 2024 bekanntgegeben. Deutlich mehr, nämlich 36 Prozent "glauben an ein höheres Wesen, eine höhere Energie oder geistige Macht", was sich mit konkreten Lehren existierender Religionsgemeinschaften kaum deckt, und 22 Prozent glauben weder an die eine noch an die andere Kategorie. 15 Prozent wissen nicht, was sie glauben sollen.

Hauptabend-Sendung: Was glaubt Österreich?

Die Sendung "Was glaubt Österreich – Hat Gott ausgedient?" am 7. Januar 2025 sollte mehr Informationen aus der Studie vermitteln und sie mit den gesammelten "Menschen von der Straße"-Antworten in Beziehung bringen. Auf konkrete Zahlen wurde großteils verzichtet, und häufig finden sich diese auch nicht in den bisher veröffentlichten Dokumenten. Somit sind die Aussagen des Studienteams und der Sprecher*innen nicht überprüfbar.

Zum Beispiel behauptete Astrid Mattes, die Religionswissenschaftlerin in der Studie, dass die Altersgruppe 14 bis 25 bei "vielen Fragestellungen" zur Religion die Gruppe mit der "höchsten Zustimmungsrate" gewesen sei, aber eben ohne konkrete Zahlen. Der ORF besitzt neben dem Fernsehsender auch eine Website, das Publizieren der betreffenden Fragen und Verteilungen wäre bei entsprechendem Willen leicht möglich gewesen. Ohne weiteren Kontext, zum Beispiel einen Vergleich mit früheren Studien, ist diese "Information" komplett irrelevant, auch wenn Religiöse sich daraus die falsche Hoffnung ableiten können, dass Religiosität vielleicht "zurückkommen" könnte.

Theologe Patrick Rohs erklärte, dass die Unterschiede zwischen religiösen und nicht-religiösen Menschen hauptsächlich in Fragen "am Lebensanfang und Lebensende" und im persönlichen Bereich (z. B. Sexualität) groß seien. Dies ist nicht überraschend, aber es wäre interessant gewesen, hierzu Zahlen zu erhalten – zum Beispiel auch aufgeteilt zwischen christlich und nicht-christlich religiösen Menschen. Laut Patrick Rohs gebe es in politischen Fragen keine großen Unterschiede.

Zu den Fragen am "Lebensende" durften dann relativ lang eine evangelische Diakonin und eine Pflegerin im Caritas-Poloshirt reden – die größere Gruppe der Nicht-Religiösen war nicht vertreten. Offensichtlich hat hier die ORF-Religionsredaktion die Mehrheit der Bevölkerung nicht für kompetent befunden.

"Ein Teil der Konfessionslosen"

Nach diesem "menschlichen" Einschub kam wieder eine "Expertin", die "praktische Theologin" und Studienleiterin Regina Polak zu Wort. Sie hat die von Patrick Rohs festgestellten "keine großen Unterschiede in politischen Fragen" ausgeführt und auf Unterschiede hingewiesen:

"Der Befund hat gezeigt, dass religiöse Menschen mit der Demokratie, insbesondere mit der Qualität der Demokratie zufriedener sind, sie auch mehr Vertrauen ins Parlament haben und das war auch zu erwarten, dass sie in Bezug auf arme Menschen solidarischere Einstellungen haben. Allerdings ist bei religiösen Menschen und auch einem Teil der konfessionslosen Personen die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass sie der Aussage zustimmen, sie können sich einen starken Führer anstelle eines gewählten Parlamentes vorstellen. Das heißt, bei religiösen Menschen und bei einem Teil der Konfessionslosen findet sich ein höherer Autoritarismus. … Personen, die sich als religiös bezeichnen und ein Teil der Konfessionslosen wiederum haben gegenüber diesen Personengruppen deutlich negativere Einstellungen als der Durchschnitt der Befragten."

Die mehrfache Betonung des "Teils der Konfessionslosen" lässt aufhorchen. Natürlich stehen auch hierzu keine Zahlen zur Verfügung. Es macht aber einen sehr großen Unterschied, ob "ein Teil der Konfessionslosen" 3 oder 30 Prozent beträgt und wie dieser Anteil im Vergleich mit den Untergruppen der Religiösen ausfällt.

Hier werden plötzlich und ohne erkennbaren Grund unterschiedliche Dimensionen vermischt. Wir wissen aus anderen Studien, dass der Grad der Religiosität zwar mit der Zugehörigkeit zu einer Religionsgesellschaft oder eben der Konfessionsfreiheit zusammenhängt, aber keineswegs übereinstimmt. Dass die Konfessionsfreien unter der Fremdbezeichnung ausschließlich im Zusammenhang mit Autoritarismus und weniger Zustimmung zur Demokratie genannt werden, verdient kritische Aufmerksamkeit. Solche Unterstellungen aus der Position eines exklusiven Informationsvorsprungs im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ziehen die wissenschaftliche Integrität der Studienmitarbeiterin und die journalistische Sorgfalt der Redaktion in Zweifel.

Diese Vermischung von zwei Dimensionen ausschließlich in dieser Frage setzt die Aussage dem Vorwurf des "Cherrypickings", der selektiven Suche nach Informationen in den Studienergebnissen, aus. Dies wird häufig gemacht, um eine vorgefertigte Aussage zu unterstützen. Der Vorwurf ließe sich mit einer Kreuztabelle leicht entkräften, die auf den Achsen den Grad der Religiosität und die Konfessionszugehörigkeit/-freiheit enthält und in den Zellen die entsprechenden Prozentsätze der Zustimmung. Bis dahin steht die Aussage ohne Beleg im Raum, für andere nachprüfbar wird sie erst in einigen Monaten werden – falls überhaupt.

Regina Polak weiter:

"Insgesamt belegt der Befund, dass eine sogenannte distanzierte Religionszugehörigkeit am besten für die Demokratie ist. Das bedeutet, dass eine schwächer ausgeprägte religiöse Identität, eine geringere religiöse Praxis in Verbindung mit einer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft wirkt sich positiv auf die Demokratie aus."

Hier wird sowohl von ihr als auch von der Narratorin im nächsten Teil ein kausaler Zusammenhang zwischen der schwächer religiösen Gruppe und der Demokratie nahegelegt ("am besten", "am förderlichsten"). Das ist Unsinn, die Studie hat keine Methode angewendet, um kausale Zusammenhänge festzustellen (dies wäre nur mit einem komplett anderen Studiendesign möglich). Es handelt sich um eine zufällig entdeckte Korrelation. Was sollen wir daraus lernen, wie soll die Gesellschaft damit umgehen? Genauso könnte der Zusammenhang anders lauten: Demokratisch eingestellte Menschen entfernen sich aus den stärker gläubigen Kreisen ihrer Religionsgesellschaft. Oder ein dritter Faktor beeinflusst beide in die gleiche Richtung. Wir wissen es nicht, und Zusammenhänge wie "am besten" herstellen ist hier intellektuell unredlich.

Die Narratorin bietet einen Erklärungsversuch an: "Immer mehr liberale Personen verlassen ihre Gemeinschaft. Übrig bleiben vor allem konservative Personen." Dies klingt plausibel und ist kein gutes Zeichen für die Religionsgesellschaften, die sich eigentlich neuerdings sehr gerne als Retterinnen der Demokratie andienen wollen. Nur erklärt dies nicht, warum das "Verlassen" der Religionsgemeinschaft zu den Konfessionsfreien plötzlich wieder zu weniger demokratischen Einstellungen führen soll.

Religion für die Demokratie?

Zum Abschluss der Sendung schafft es das Thema Demokratie noch einmal mit zwei einander widersprechenden Aussagen in die Zusammenfassung:

"Religionsgemeinschaften können Orte sein, wo demokratische Grundprinzipien erlernt werden. Und die Studie sagt auch, sich eine gewisse Distanz zur eigenen Gemeinschaft zu bewahren ist am besten für die Demokratie."

Was soll die Gesellschaft daraus lernen? In der Hoffnung ("können Orte sein"), dass die Jugendlichen "demokratische Grundprinzipien" erlernen, sie in Religionsgemeinschaften schicken, und ihnen dann später eine Distanz zur Religion nahelegen? Das ist hanebüchener Unsinn zur Primetime im österreichischen Fernsehen.

Ganz am Ende stellt sich die Sendung noch die Frage: "Hat Gott tatsächlich ausgedient?" Unabhängig davon, dass mehr als drei Viertel der Bevölkerung an diesen "Gott" nicht glauben, ist die Frage unsinnig – ausdienen kann nur jemand, der vorher gedient hat. Ohne Gott kein "Dienen" – aber für die ORF-Religionsredaktion ist das ja keine offene Frage.

Die Sendung erreichte laut ORF-Teletext eine durchschnittliche Reichweite von 4 Prozent der Bevölkerung, das entspricht 312.000 Zuseher*innen und einem Marktanteil von 12 Prozent. Ein weiterer Beleg fürs eher niedrige Interesse der Österreicher*innen an religiösen Fragen.

Lichtblick Philosophisches Forum

Am selben Abend fand dann noch ein "Philophisches Forum" im gleichen Sender statt. Hier war die Besetzung etwas anders: Studienautorin Regina Polak durfte mit gleich drei nicht gläubigen Philosophen, einer Religionswissenschaftlerin und einem Theologen über die Ergebnisse der Studie diskutieren. Ob die gesamten Ergebnisse mit einer eigenen Auswertungsmöglichkeit allen Diskutierenden vorher zur Verfügung standen, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen.

In dieser Sendung kamen mehr präzise erscheinende, allerdings auch nicht verwertbare Detailinformationen vor. Das Publikum erfuhr zum Beispiel, dass nur mehr 11 Prozent der Christ*innen an "Jesus Christus als Offenbarung Gottes" glauben – aber ohne den Anteil der "Christ*innen" an der Bevölkerung und wie die Kategorie "Christ*innen" bestimmt wurde. Auch von den "Personen, die an eine Transzendenz glauben" (wieder ohne Prozentsatz der Befragten) seien es nur mehr "14 Prozent, die an einen persönlichen Gott glauben". Regina Polak bezeichnet dieses Desaster für Kirchen, deren zentrale Lehre ein solcher "persönlicher Gott" ist, als "durchwachsenes Ergebnis", als "mindestens eine Verlustanzeige".

Philosoph und Publizist Philipp Hübl zitierte internationale Studien, die ergaben, dass die höchste Lebenszufriedenheit in Ländern mit der niedrigsten Religiosität messbar ist, und ähnliche in der säkularen Welt bekannte Zusammenhänge. Dass diese Tatsachen im Österreichischen Rundfunk genannt werden, ist ein sehr seltenes Ereignis, der Fokus der Religionsredaktion liegt üblicherweise ganz woanders.

Leider hatte dieses Programm dann nur mehr 2 Prozent Durchschnittsreichweite, also 148.000 Zuseher*innen bei einem Marktanteil von wieder 12 Prozent. Aber es ist ein Anfang.

Auf eine weitere Erklärung von Philipp Hübl mit Bezug auf die World Values Survey, dass weniger Religiosität auch mit ethischeren Einstellungen einhergeht, folgte dieser Austausch:

Moderatorin Barbara Stöckl: "Für die Erkenntnistheorie brauchen wir die Religion nicht mehr. Aber für die Ethik auch nicht?"

Philosophie-Professor Konrad Paul Liessmann: "Haben wir sie nie gebraucht."

Zwei Sendungen wie Tag und Nacht, im selben Sender, kurz hintereinander. Einmal das Werk der Religionsredaktion, denen die eigentlich notwendige Fähigkeit, Religiosität aus einem konfessionsfreien Blickwinkel zu behandeln, komplett zu fehlen scheint; auf der anderen Seite am späten Abend vor viel weniger Zuseher*innen entgegengesetzte, gut fundierte Aussagen in einem offenen Austausch zwischen WissenschaftlerInnen. Unterhaltung mit dubiosen Aussagen, gefolgt von tatsächlicher Information – der öffentlich-rechtliche Auftrag war nicht so gemeint.

Was glaubt der Österreichische Rundfunk?

Es wird interessant sein, die weiteren Sendungen des ORF in der Reihe "Was glaubt Österreich" zu verfolgen. Ob die große Gruppe, die diese Frage für sich mit "nichts davon" beantwortet, wieder vorkommt? Ob die Erkenntnisse aus dem Philosphischen Forum einen Lerneffekt bewirken? Oder bekommen weiterhin sympathische junge Menschen, die ihre menschenverachtende Sekte mit 0,2 Prozent Bevölkerungsanteil ins beste Licht rücken dürfen, ohne jegliche Einordnung, den Bildschirm? Werden wir die vollständig aus öffentlichen Geldern bezahlte Studie jemals lesen können und die selben Auswertungsmöglichkeiten bekommen, wie sie den Theolog*innen mit eigener Agenda und einem jahrelang etablierten Kontakt zum öffentlich-rechtlichen Rundfunk zur Verfügung standen? Der ORF mit dem neuen Motto "Für alle" wird es zeigen.

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