Wenn das Urteil des Bundesverfassungsgerichts dem Verlauf der zweitägigen mündlichen Verhandlung in Karlsruhe auch nur annähernd entspricht, wird der sogenannte "Sterbehilfeverhinderungsparagraph" 217 StGB, der professionelle ("geschäftsmäßige") Freitodbegleitungen verbietet, gekippt werden. Darin sind sich die meisten Beobachter des Verfahrens einig.
Michael Schmidt-Salomon, der für die Giordano-Bruno-Stiftung als "Sachverständiger Dritter" zur Verhandlung geladen war, sprach am Mittwochabend von einer "Sternstunde des Bundesverfassungsgerichts": "Der Präsident des Bundesverfassungsgericht Prof. Andreas Voßkuhle hat das Verfahren in brillanter Weise geleitet. Wir waren im Vorfeld ein wenig besorgt, weil das Gericht vorwiegend kirchennahe Experten geladen hatte, um über die Themen Suizid, Palliativmedizin und Freiverantwortlichkeit der Entscheidung Auskunft zu erteilen. Aber die präzisen Fragen, die der Senat stellte, deckten die Lückenhaftigkeit der Argumentation der Befürworter von § 217 StGB in aller Deutlichkeit auf."
Eines der Hauptargumente der anwesenden Bundestagsabgeordneten zur Verteidigung des "Gesetzes zur Strafbarkeit der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung" habe darin bestanden, dass das Angebot professioneller Suizidhilfe eine entsprechende Nachfrage schaffe, was sich in erhöhten Suizidraten niederschlagen würde. Die Richterinnen und Richter wiesen in diesem Zusammenhang darauf hin, so Schmidt-Salomon, "dass man einen solchen Anstieg der Suizidzahlen zwar aus einer bestimmten moralischen Sicht verurteilen könne, dass dies aber verfassungsrechtlich nicht relevant sei. Schließlich könne eine steigende Anzahl von Freitodbegleitungen schlicht Ausdruck davon sein, dass mehr freiverantwortliche Menschen über ihr eigenes Leben und Sterben selbst bestimmen könnten, was ihr gutes Recht sei. Im Laufe des Verfahrens wurde klar, dass das Gericht dem individuellen Selbstbestimmungsrecht eine herausragende Bedeutung einräumt. Daher bin ich zuversichtlich, dass das Bundesverfassungsgericht den Verfassungsbeschwerden folgen und § 217 StGB in seiner jetzigen Form als verfassungswidrig verwerfen wird."
Die Einschätzung von Schmidt-Salomon, der am Dienstagmorgen in einer sehr eindrücklichen Rede vor dem Bundesverfassungsgericht die ersatzlose Streichung von § 217 StGB gefordert hatte, wird von anderen Prozessbeobachtern geteilt. So schreibt etwa die Berichterstatterin der Frankfurter Rundschau, dass das Bundesverfassungsgericht "voraussichtlich das bestehende Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe kippen" wird, da im Verlauf der Verhandlung deutlich geworden sei, dass die "Mehrheit der Richterbank" das Verbot kompetenter Suizidbegleitungen als ein "Abschneiden des Grundrechts eines Menschen, seinem Leben ein Ende zu setzen" beurteile.
13 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Das wäre ein Ester Schritt in Richtung einer Menschenwürdigen Grundgesetzänderung.
Es gibt noch viel zu tun, bleiben wir am Ball.
Frank Spade am Permanenter Link
Das Grundgesetz muss dafür nicht geändert werden, nur das StGB.
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Ja sicher, aber der § 217 wie so manch anderes Gesetz verstößt eklatant gegen das GG
deshalb sollte im GG explizit das Menschenrecht auf begleiteten Suizid verankert werden.
auch da besteht dringlichst Handlungsbedarf.
David See am Permanenter Link
ich bete nie. ich hoffe für all die Menschen in den Altersheimen die nicht mehr können auf Erleichterung.
Roland Weber am Permanenter Link
Hoffentlich freut man sich da nicht zu früh ...!!!
Frank Spade am Permanenter Link
Wenn das Bundesverfassungsgericht das Verbot geschäftsmäßiger Sterbehilfe wirklich kippt, kann man sich endlich wieder als freier Mensch in diesem Land fühlen.
Michael am Permanenter Link
Da der "Sterbehilfeverhinderungsparagraph" 217 StGB gegen Artikel 1 unseres Grundgesetzes verstösst, gibt es - wenn wir in einem Rechtsstaat leben - für das Bundesverfassungsgericht keine andere Option, als
Das wäre dann aber keine "Sternstunde", sondern vielmehr ganz normaler demokratischer Verfassungsalltag.
Trotz des herausragenden Plädoyers von Michael Schmidt-Salomon habe ich meine Zweifel, ob die Mehrheit der Richterinnen und Richter des Verfassungsgerichtes sich von der inneren und äußeren Bevormundung durch die Kirchenlobby frei machen kann.
Denn sie wurden ja von denjenigen Parteien in ihr Richteramt gewählt, die unsere säkulare Demokratie zu einem pervertierten kirchlichen Vasallenstaat gemacht haben.
Ich hoffe es nicht, aber ich befürchte leider, dass ich mit meiner Einschätzung richtig liegen werde!
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ein Lichtblick am Ende des Tunnels?!
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Dein Wort "in Gottes Ohr", lieber MSS - dann könnte man endlich sagen: "und sie bewegt sich doch!" Das wäre ein Fortschritt an Humanität und der Realität wäre auch Genüge getan.
A.S. am Permanenter Link
Es wäre ein schöner Erfolg, allein mir fehlt der Glaube.
Außerdem ist es unter christlichen Politikern in Mode gekommen, sich über höchstrichterliche Entscheidungen hinweg zu setzen, siehe Jens Spahn.
Udo Endruscheit am Permanenter Link
Hochinteressant finde ich, dass das Gericht offenbar das Dammbruchargument ähnlich einem Zirkelschluss bewertet: Natürlich kann das, was möglicherweise rechtswidrig derzeit strafbewehrt ist, öfter auftreten, wenn dies
So entlarvt sich gerade das Dammbruchargument, die vermeintlich stärkste Stütze der Gesetzesbegründung, verfassungsrechtlich betrachtet als entscheidende Schwäche. Da bedarf es nicht einmal des Rekurrierens auf die empirischen Ergebnisse, die ohnehin die Prophezeihung unkontrollierbarer Suizidwellen ad absurdum führen.
Chapeau, Bundesverfassungsgericht.
Hans Trutnau am Permanenter Link
Ich sehe da keinen Zirkel, Udo; vor allem aber keinen Dammbruch. Selbiges Argument benutzte K.-P. Willsch (CDU, MdB meines hiesigen Rheingau-Taunus-Wahlkreises) Ende 2015, nachdem ich ihn wg.
Das Dammbruchargument war (und ist) vorgeschoben wie selten etwas.
Wolfgang Schaefer am Permanenter Link
Hängt im Bundesverfassungsgericht ein Kreuz Dann sehe ich schwarz!