Radikal religiös

Wie Freikirchler ihre Kinder züchtigen, weil die Bibel es verlange

Der Kriminologe Christian Pfeiffer hat Untersuchungen angestellt und erstaunliche Resultate zur Prügelstrafe von Gläubigen erhalten.

Jede Religion und jede Glaubensgemeinschaft trägt im Kern das Sektenhafte in sich. Schließlich geht es um die letzten Dinge und die göttliche Autorität. Also um den höheren Sinn, um Transzendenz und Metaphysik. Und um die Deutungshoheit in diesen existentiellen, religiösen und spirituellen Belangen: um alles oder nichts.

Liberale Gläubige, die ein kritisches Bewusstsein bewahrt haben, kennen die Gefahren und lassen sich höchstens partiell vereinnahmen. Anders radikale Gläubige, wie sie in Freikirchen die Norm sind.

Christian Pfeiffer, einer der bekanntesten Kriminologen in Deutschland, hat kürzlich ein Buch mit dem Titel "Gegen die Gewalt: Warum Liebe und Gerechtigkeit unsere besten Waffen sind" herausgebracht.

Er beschäftigte sich nicht nur Jahrzehntelang mit Verbrechen, sondern leitete auch jahrelang das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen. Außerdem war Pfeiffer Professor an der Universität Hannover und Justizminister in Niedersachsen.

In seinem Buch stellt er seine Forschungsergebnisse zum Thema Gewalt und Religion dar. Er kommt zum Schluss, dass Evangelikale, die aus religiöser Überzeugung die Prügelstrafe anwenden, besonders problematisch sind, wie er in einem Interview mit dem Deutschlandfunk sagte.

Züchtigung mit der Rute bei der christlichen Sekte "12 Stämme":

Pfeiffer wörtlich: "Da gibt es eine Besonderheit, die schon bestürzend ist. Dass dort – wir hatten ja die Chance, 45.000 Jugendliche zu fragen, 500 waren evangelisch-freikirchlich – immer noch gilt: Je gläubiger die Eltern sind, desto mehr schlagen sie zu. Das ist ein Missverständnis aus Traditionstexten, aus dem alten Testament, auf das sie sich berufen."

Und weiter: "In einem Erziehungsratgeber kann man dort nachlesen bei den Evangelikalen: 'Wenn es Zeit wird, die Rute anzuwenden, atmen Sie tief ein, entspannen Sie sich und beten Sie, Herr, lass das eine gute Lektion werden. Reißen Sie das Kind nicht herum, erheben Sie Ihre Stimme nicht. Das Kind sollte die Rute in Ihrem ganzen ruhigen, überlegten und beherrschten Geist kommen sehen.' (…) Wir mussten feststellen bei den hochgläubigen Eltern: Nur 21 Prozent der Kinder werden völlig gewaltfrei erzogen, von denen, die Religion nur als Lebensdekoration nehmen, waren es immerhin 60 Prozent, die gewaltfrei erzogen werden."

Strenggläubige Christen leiten die Körperstrafe vom Alten Testament ab

Das biblische Dogma der Körperstrafe vertritt auch der Prediger und "Gottgesandte" Ivo Sasek von der "Organischen Christus Generation" (OCG) in Walzenhausen. In seinem Buch "Erziehe mit Vision" schreibt er: "Wenn Kinder widerspenstig und böse sind, 'so schone Deine Rute nicht'. Du gibst ihnen zwei, drei zünftige Streiche hinten drauf und schon ist der Wille wieder gereinigt."

So leiten strenggläubige Christen aus der Bibel Strafen ab, die heute verboten und pädagogisch unsinnig sind, ja meist kontraproduktiv.

Je gläubiger die Eltern sind, desto mehr schlagen sie zu.

Ein solcher Absolutismus ist nicht gemacht für unser Wesen und unser Bewusstsein. Wir erleben im Alltag, also im säkularen Leben, dass so ziemlich alles relativ ist. Oder zumindest subjektiv. Bei den Religionen und Glaubensgemeinschaften geht es aber um die "Wahrheit".

Es gibt im religiösen Bereich keine Wahrheit, sondern nur den Glauben

Dabei gibt es speziell in spirituellen und religiösen Konzepten und Lehren die Wahrheit an sich nicht. Schließlich ist es das Wesen der übersinnlichen Ideen und Heilslehren, dass es sich um Glaubenskonstrukte handelt, die sich der Überprüfbarkeit entziehen.

Für Strenggläubige gibt es aber nur das "Entweder-Oder". Eine Religion ist entweder wahr oder unwahr. Ein Halbwahr hat in ihrem Denken und Fühlen so wenig Platz wie Halbwahrheiten. Es gibt in einer Glaubensgemeinschaft auch keine individuell zugeschnittenen Heilsvorstellungen.

Diese strengen religiösen Überzeugungen führen zu harten Dogmen und Lebenshaltungen. Oder zu sektenhaftem Verhalten. Wer sich in Glaubensfragen als Hüter der einzigen Wahrheit sieht, neigt zur Radikalität. Oder gar zum Fanatismus. Es führt zu einer Wesensveränderung, zu Realitätsverlust und zu Wahrnehmungsverschiebungen.

Fanatismus und Hass bei den Islamisten

Wenn die religiöse Indoktrination dann noch politisch instrumentalisiert wird wie bei Islamisten, kommt zum Fanatismus noch der Hass auf alle Nicht-Gläubigen. Das führt zum Verlust jeder Empathie und zur Entmenschlichung. Sogar der Selbsterhaltungstrieb, die wohl stärkste Kraft in uns Menschen, verliert dann seine Wirkung.

Nur so ist es zu erklären, dass Selbstmordattentäter sich und Unbeteiligte ohne Skrupel in die Luft sprengen.

Verantwortungsbewusste Religionen und Glaubensgemeinschaften sollten sich bewusst sein, dass auch sie den Kern des Sektenhaften in sich tragen. Daraus sollte die Erkenntnis wachsen, dass es keine religiöse Wahrheit gibt und sie deshalb ihren Gläubigen einen großen individuellen Spielraum gewähren sollten – geistig wie in der Lebensgestaltung.

Übernahme von watson.ch.

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