Am 29. November 2019 haben der Hamburger Schulsenator Ties Rabe (SPD) und die Spitzen der christlichen, jüdischen und muslimischen Religionsgemeinschaften laut Pressemitteilung der Schulbehörde ein "bundesweit einzigartiges Konzept" vorgestellt. Demnach führt Hamburg als erstes Bundesland einen religiösen Bekenntnisunterricht in interreligiöser Trägerschaft ein.
Zukünftig sollen neben der evangelische Kirche auch jüdische und alevitische Gemeinden sowie drei Islamverbände eigene Religionslehrerinnen und -lehrer stellen können, wie Schulsenator Rabe mitteilte. Das Konzept werde in den nächsten Jahren schrittweise an allen Hamburger Schulen eingeführt.
Im Jahr 2012 hatte sich der Senat in den Verträgen mit den Islamverbänden DITIB-Landesverband Hamburg, SCHURA – Rat der Islamischen Gemeinschaften in Hamburg, Verband der Islamischen Kulturzentren (VIKZ) und der Alevitischen Gemeinde Deutschland sowie in gleichlautenden Vereinbarungen mit der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland und im Jahr 2014 mit der Jüdischen Gemeinde Hamburg auf gemeinsame religiöse Bekenntnisunterrichte verständigt.
Bereits das Vorgängermodell, der "Religionsunterricht für alle" in evangelischer Verantwortung (RUfa 1.0), wurde von Verfassungsrechtlern als nicht grundgesetzkonform beurteilt. Auch zu dem neuen Hamburger RUfa-Modell 2.0 liegt die verfassungsrechtliche Problematik auf der Hand. Es ist von Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz (vgl. Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes) nicht gedeckt, dass z.B. alevitische Kinder von einer schiitischen, jüdischen oder evangelischen Lehrkraft im religiösen Bekenntnis unterrichtet werden. Irrigerweise beruft sich die Schulbehörde bei der Einführung des RUfa 2.0 als ordentliches Unterrichtsfach auf Artikel 7 Absatz 3 Grundgesetz. Dabei konstatierte selbst der Gutachter der Kirche, der das Modell rechtlich überprüfen sollte, dass "religionsübergreifender, trägerpluraler Religionsunterricht" […] "nicht möglich" ist; er ist "verfassungswidrig". Der sich daran anschließende Versuch des Gutachters, das Verfassungsrecht weiterzuentwickeln, ist mit Blick auf den Wortlaut als Grenze zulässiger Auslegung von Normen aus juristischer Sicht höchst problematisch.
Das Institut für Weltanschuungsrecht (ifw) hat die Schulbehörde daher gefragt: "Wäre es nicht an der Zeit, dass Sie aus Gründen der Rechtssicherheit und der Rechtsstaatlichkeit mit Hilfe eines Normenkontrollverfahrens klären lassen, wie es um die Vereinbarkeit Ihres neuartigen Bekenntnisunterrichtes mit den Verfassungsvorgaben bestellt ist?"
Hallo @TiesRabe, Senator @hh_bsb @spdhh, was ist mit der konfessionsfreien Mehrheit? Wann erklärt Hamburg seine Schulen als bekenntnisfrei (Art. 7 Abs. 3 GG)?
Statt BEKENNTNISunterricht, Religions-& WeltanschauungsKUNDEunterricht für alle SchülerInnen. https://t.co/cKhAr68XvC— Weltanschauungsrecht (@ifw_recht) December 5, 2019
Hintergründe zu dieser Frage finden sich in der lesenswerten Rezension von Prof. Dr. Hartmut Kreß für das ifw zum Gutachten von Prof. Dr. Hinnerk Wißmann (auf das sich die Evangelisch-Lutherische Nordkirche und die Hamburger Schulbehörde beim RUfa stützen).
Es stellen sich weitere politische und integrationspolitische Fragen: Was ist mit der Mehrheit der Hamburger Bevölkerung? Denn die ist konfessionsfrei und wird von der Schulbehörde vernachlässigt. Gibt die Verfassung vor, die gesellschaftliche Realität der Säkularisierung im Schulterschluss mit den vereinigten Religionsfunktionären zu verdrängen? Keineswegs. So ist es rechtlich ohne weiteres möglich, dass Hamburg seine öffentlichen Schulen als bekenntnisfrei erklärt (vgl. Art. 7 Abs. 3 Grundgesetz). Dann könnte die Schulbehörde an den Schulen statt religiösem Bekenntnisunterricht, einen bekenntnisfreien Ethikunterricht (d. h. einschließlich Religionskunde- und Weltanschauungskunde) anbieten. So hätten alle SchülerInnen – egal ob ihre Eltern humanistisch, atheistisch, christlich, jüdisch, schiitisch oder sunnitisch sind – bessere Chancen, auf diese Weise Kritikfähigkeit, Dialog und Toleranz einzuüben und sich in die pluralisierte Gesellschaft zu integrieren. Frei nach dem Motto: Erkenntnis statt Bekenntnis.
8 Kommentare
Kommentare
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
Im Ignorieren der Tatsache, dass es in der BRD bereits ca. ein drittel Konfessionsloser
Carola Dengel am Permanenter Link
Statt endlich die Staatsverträge mit den islamistischen Organisationen zu kündigen, wird ihner Propaganda Tür und Tor geöffnet.
Im Zeitalter der vielbeschworenen 'Vielfalt' und des Kampfes gegen 'Diskriminierung' grenzt die SPD (!) die Säkularen und Laizisten gezielt aus und damit die Basis unserer Demokratie. Kein Wunder, da der SPD-Bundesvorstand die Gründung einer Arbeitsgemeinschaft Säkularer in der SPD verboten hat !
Gerhard Baierlein am Permanenter Link
liebe Carola, merken Sie nicht, dass wir gegen Windmühlen kämpfen, was immer die Motive unserer Politiker sein können sich derartig gegen das eigene Volk zu stellen, letztendlich steht meines Erachtens immer die Kirch
Gerhard Lein am Permanenter Link
In Hamburg sind's über Hälfte, die säkular sind und keinen organisatorischen Bezug zu einer Religionsgemeinschaft mehr haben.
Hannelore Brenner am Permanenter Link
Wow. Das haut mich um. Hätte ich (fast) nicht für möglich gehalten.
Unechter Pole am Permanenter Link
Die aus dem Wortlaut abgeleitete Auslegung des Artikels 7 Abs.
Adam Sedgwick am Permanenter Link
Eigentlich sind in der Schule der Lehrkörper und die Schulbehörde zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet.
Übrigens, hier noch ein kleiner Beitrag zum Schmunzeln, ich hoffe das ist erlaubt. Im Philosophie-Unterricht lernt man, dass es keinen Gottesbeweis im Popper´schen Sinne gibt – aber im Gegensatz dazu kann zur Hypothese für die Existenz eines Teufels eine Gegenthese formuliert werden, die aber leider bisher nie bestätigt werden konnte, fertig: Damit gibt es den „Teufelsbeweis“.
A.S. am Permanenter Link
Als politisch-praktische Gegenmaßnahme plädiere ich für einen Aktion, Eltern und Schüler über ihre Rechte zur Abmeldung vom Religionsunterricht aufzuklären.
Immer gekoppelt mit der Frage: Warum leistet die Schulbehörde bzw. die Bürgerschaft diese Aufklärung nicht?