Die stellvertretende Direktorin des Instituts für Weltanschauungsrecht (ifw), Rechtsanwältin Jessica Hamed, meldete in einem Gastbeitrag im Kölner Stadt-Anzeiger am 20. Oktober 2022 erhebliche Zweifel an der berufsrechtlichen Zulässigkeit der Verteidigung des Kölner Kardinals Rainer Maria Woelki durch Prof. Dr. Björn Gercke an. Gercke hatte nämlich zuvor ein umstrittenes Gutachten für das Erzbistum Köln erstattet.
In seinem Gutachten hatte Gercke eine seinen Ausführungen entgegenstehende maßgebliche Ansicht des Bundesgerichtshofs verschwiegen, weshalb auch schon Prof. Dr. Jörg Scheinfeld, der Direktor des ifw, die von Gercke proklamierte Objektivität seines Gutachtens in Frage gestellt hatte.
Nunmehr verteidigt Gercke Erzbischof Woelki, dem eine falsche eidesstattliche Versicherung im Zusammenhang mit dem Kölner Missbrauchskomplex vorgeworfen wurde. Jessica Hamed sieht dies nicht nur als "Taktlosigkeit" an, sondern sie konstatiert: "Aus Woelkis einstigem 'Ankläger', der ein justiziables Fehlverhalten von Bistumsverantwortlichen im Umgang mit Missbrauchsfällen noch nicht einmal für rechtlich ernsthaft denkbar hielt (Stichwort: Geschäftsherrenhaftung im 'Betrieb' Kirche), wurde so sein Verteidiger." Überzeugend sieht sie hierin widerstreitende Interessen, die nicht von einem Anwalt gleichzeitig vertreten werden dürfen: "Das Erzbistum will alle etwaigen Verfehlungen ans Licht bringen und Woelki will sich gegen etwaige Verfehlungen verteidigt wissen. Beide Interessen stehen sich unversöhnlich gegenüber."
Ob Woelkis eidesstattliche Versicherung korrekt ist, hängt nämlich damit zusammen, wann er von dem Fall des prominenten Sternsinger-Präsidenten Winfried Pilz erfahren hat. Sollte das spätestens 2018 gewesen sein, müsste Gercke gegebenenfalls sein Gutachten nachbessern und eventuell eine Verfehlung Woelkis annehmen. Folglich decken sich die beiden Sachverhalte teilweise (Gutachten/Verteidigung).
Hamed begründet ihre Ausführungen weiter damit, dass das Oberlandesgericht Koblenz in einem vergleichbaren Fall einen solchen Interessenskonflikt sah, "in dem der Anwalt zunächst eine Firma zur Korruptionsbekämpfung gutachterlich beraten hatte und danach einen Mitarbeiter desselben Unternehmens verteidigte, der Korruptionsdelikten verdächtigt wurde." Ferner hält sie fest: "Ersichtlich mindert es in der Öffentlichkeit den Wert der Aufklärung von Missbrauchsfällen im Gercke-Gutachten, wenn der Verfasser diese zunächst aufspüren sollte, dann aber den Erzbischof verteidigt. Es ist gut denkbar, dass die Interessen einander hier zuwiderlaufen: Während das Erzbistum als Auftraggeber des Gutachtens das Interesse haben dürfte herauszufinden, ob es in der Vergangenheit Verfehlungen von Diözesanverantwortlichen – unter anderem von Woelki – gab, ist es Woelkis Interesse, vor derartigen Vorwürfen geschützt zu werden. […] Einzig in dem Fall, in dem das Erzbistum subjektiv gar nicht das Interesse haben sollte, etwaige Verfehlungen Woelkis herauszufinden, wäre ein Interessenskonflikt rechtlich auflösbar."