"Eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs ist verfassungsrechtlich zulässig, wenn nicht sogar verfassungsrechtlich geboten." Zu diesem Ergebnis kommt das Institut für Weltanschauungsrecht in seiner Stellungnahme, die vergangene Woche bei der "Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" eingereicht wurde.
Die Bundesregierung hat die "Kommission für reproduktive Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin" im März 2023 eingesetzt, um sich mit der Frage zu befassen, ob und unter welchen Voraussetzungen eine Regelung zum Schwangerschaftsabbruch außerhalb des Strafgesetzbuchs möglich ist. Zur Klärung dieser Frage hat die Kommission verschiedene Fachorganisationen eingeladen, Stellungnahmen abzugeben, darunter auch das 2017 von der Giordano-Bruno-Stiftung (gbs) gegründete Institut für Weltanschauungsrecht (ifw).
In seiner Stellungnahme spricht sich das ifw dafür aus, "den selbstbestimmten Schwangerschaftsabbruch vollständig, d.h. ohne jegliche Fristen, zu legalisieren und die §§ 218 ff. StGB zu streichen". Der gegen oder ohne den Willen der Schwangeren durchgeführte Abbruch soll künftig in einem neuen Paragrafen 226b StGB unter Strafe gestellt werden. Ausgangspunkt der ifw-Argumentation ist dabei der konstitutive Grundsatz des freiheitlichen Rechtsstaats, dass in einer "offenen Gesellschaft nicht die Freiheit begründungsbedürftig [ist], sondern jegliche Einschränkung der Freiheit". Juristisch haltbare Gründe für die Einschränkung des Selbstbestimmungsrechts ungewollt schwangerer Frauen haben jedoch weder der Gesetzgeber noch das Bundesverfassungsgericht vorgelegt, wie das ifw in seiner Stellungnahme ausführt.
Die bisherige Regelung: verfassungswidrig und widersprüchlich
Kritisch wendet sich das Institut in diesem Zusammenhang insbesondere gegen die "Fehlannahme eines angeblichen Grundrechtsschutzes des Embryos oder Fötus, der sich exegetisch weder aus dem Grundgesetz noch aus den Gesetzesmaterialien ableiten lässt." Untermauert wird diese Argumentation mit dem Verweis auf Artikel 1 der "Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte", in dem es explizit heißt, "dass alle Menschen 'frei und gleich an Würde und Rechten geboren' sind – nicht gezeugt oder empfangen." In diese Richtung weise auch der erste Paragraf des Bürgerlichen Gesetzbuchs (BGB), der die Rechtsfähigkeit des Menschen mit der Vollendung der Geburt beginnen lässt. Es würde, so das ifw, "zu dem rechtslogisch inkonsistenten Konstrukt eines 'nicht rechtsfähigen Grundrechtsträgers' führen, wenn das Grundgesetz eine andere Grenzziehung vornähme als das Bürgerliche Gesetzbuch".
Ohnehin seien die bisherigen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch in sich widersprüchlich: "Zwar soll der beratene Schwangerschaftsabbruch nach § 218a Abs. 1 StGB in jedem Fall rechtswidrig sein, da er angeblich mit der absichtlichen Tötung eines Grundrechtsträgers einhergeht, gleichzeitig jedoch gilt es laut BVerfG als verfassungsgemäße 'Staatsaufgabe', geeignete Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Frauen solche 'rechtswidrigen Handlungen' gefahrlos begehen können – was nichts anderes bedeutet, als dass der Staat 'von Rechts wegen zum Unrecht verpflichtet' ist." Noch problematischer sei die verfassungswidrige "Abwertung der Grundrechte der Frau", die mit der juristisch unbegründeten "Aufwertung von Blastozysten, Embryonen und Föten" einhergehe. Konkret handele es sich dabei um "Verstöße gegen Art. 1 Abs. 1 GG (Menschenwürde) in Verbindung mit Art. 2 Abs. 1 und 2 GG (freie Entfaltung der Persönlichkeit und Verbot der Körperverletzung) sowie mit Art. 3 Abs. 1-3 GG (Gleichheit vor dem Gesetz, Gleichheit von Mann und Frau, Verbot von Diskriminierungen aufgrund von religiösen/weltanschaulichen und politischen Anschauungen)".
Plädoyer für eine verfassungskonforme, rechtslogische Regelung
Diese Verfassungsverstöße und die mit ihnen zusammenhängenden Inkonsistenzen können laut ifw nur überwunden werden, wenn anerkannt wird, "dass Blastozysten, Embryonen und Föten auf Basis der geltenden Rechtsordnung keine Grundrechtsträger sein können." Dies bedeute nicht, dass entwickelten Föten keinerlei Schutz zukommen sollte: "Entwickelte Föten haben zwar kein Interesse am Überleben, wohl aber das Interesse, keine Schmerzen zu erleiden. Berufsrechtlich ist Ärztinnen und Ärzten daher aufzugeben, der Schmerzempfindlichkeit des entwickelten Fötus im seltenen Falle eines nach dem ersten Trimester stattfindenden Schwangerschaftsabbruchs durch geeignete Methoden Rechnung zu tragen."
Kurz äußert sich das ifw in der Stellungnahme auch zu Maßnahmen, die eine Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs begleiten sollten. So sollte an die Stelle der "bisherigen Beratungspflicht" ein "niedrigschwelliges Beratungsangebot" treten, in dessen Rahmen darauf hingewiesen werden kann, "dass Schwangerschaftsabbrüche in einem möglichst frühen Stadium erfolgen sollten, um entwickelten Föten Leid zu ersparen." Als sinnvoll erachtet das ifw zudem die Aufnahme des Schwangerschaftsabbruchs in die ärztliche Ausbildung, die Übernahme der Kosten eines Abbruchs durch die gesetzlichen Krankenkassen sowie die Aufhebung des kooperativen Verweigerungsrechts für (konfessionelle) Krankenhäuser im System der GKV. Derartige Maßnahmen, auf die auch der Deutsche Juristinnenbund hingewiesen hat, hält das ifw nicht nur "für rechtlich zwingend, sondern auch für praktisch erforderlich, um die immer schlechter werdende Versorgungslage für ungewollt Schwangere in Deutschland zu verbessern."
Die von Jessica Hamed, Jörg Scheinfeld und Michael Schmidt-Salomon formulierte ifw-Stellungnahme zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs kann über die Website des Instituts für Weltanschauungsrecht heruntergeladen werden. Im Rahmen der Verfassungsklage der Gießener Ärztin Kristina Hänel hatte gbs-Vorstand Michael Schmidt-Salomon bereits 2022 eine ausführliche kritische Stellungnahme zu den geltenden Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch vorgelegt.