Skeptiker 1-2020 erschienen

Dicker Reibach mit Verschwörungsmythen?

Nicht erst seit der Corona-Krise haben Verschwörungsmythen Hochkonjunktur. Wer dem Geraune um Chemtrails, 9/11, die "Neue Weltordnung" oder allem zusammen anhängt, dem bietet der Markt ein breites Spektrum an Büchern und Videos, die seine Ansicht bestärken und durch Falschinformationen weiter zementieren. Damit die Kundschaft sich die imaginäre Gefahr nicht nur lebhaft vorstellen, sondern sich auch geschützt fühlen kann, sind allerlei Geräte im Angebot, etwa "Cloudbuster" und Orgon-Generatoren gegen die schädlichen Wirkungen der Himmelsstreifen.

Ist die Szene also primär eine "Angstindustrie", wie die FAZ schrieb, oder "ein gigantischer Markt, in dem Millionenumsätze gemacht werden", wie die Süddeutsche Zeitung mutmaßte? Das hieße einerseits, dass die Akteure den Verschwörungsglauben gezielt schüren, um den Gläubigen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Und es würde bedeuten, dass sich die ganze Mühe rechnet.

Eine stichprobenartige Abschätzung hat nun der Physiker und Buchautor Dr. Holm Hümmler vorgenommen, nachzulesen in Skeptiker 1/2020, der nun erschienen ist. Hümmler setzt sich bereits seit längerem mit der Szene auseinander (beispielsweise hier und hier). Dabei kommt er zu einer differenzierten Bewertung: Bei den allermeisten Akteuren dürften sich die Erträge in engen Grenzen bewegen. Dennoch sieht Hümmler keinen Anlass, die Szene als irrelevant abzutun. Ihre Bedeutung – und Gefährlichkeit – liege auf einem anderen Gebiet: In zahlreichen "alternativen" Online-Medien zeigt sich, wie Verschwörungsglauben herkömmliche Esoterik mit rechtsextremem Gedankengut verbindet. Im Kern vermitteln sie häufig antisemitische oder fremdenfeindliche Botschaften. Allerdings sind die Anhänger nur selten bereit, für diese Inhalte zu zahlen. Das Geld muss auf andere Weise erwirtschaftet werden: durch den Verkauf von klassischen – im Prinzip unpolitischen – Esoterikprodukten.

Ein weiteres Thema des Heftes sind die Versuche, die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) durch Homöopathie in den Griff zu bekommen. Bei Kindern macht sich die Störung häufig durch Unruhe, Nervosität und Konzentratinsschwierigkeiten bemerkbar und erzeugt oft einen immensen Leidensdruck. Behandelt wird sie durch Psychotherapie, ferner wird die soziale Umgebung des Kindes, also Eltern oder Lehrende, im Umgang mit den Besonderheiten der Kinder geschult und begleitet. Entgegen einer verbreiteten Ansicht erhalten nur wenige Kinder mit ADHS ausschließlich Medikamente wie Ritalin. Dennoch sind Eltern oft verunsichert, wollen ihrem Kind die Einnahme von Psychopharmaka ersparen und hoffen auf Homöopathie – eine Scheinalternative. "Die ethischen Implikationen einer unwirksamen Behandlung sind hier gar nicht hoch genug zu veranschlagen", schreibt der Homöopathie-Kritiker Udo Endruscheit in seinem Beitrag. ADHS betrachtet er als ein Beispiel für viele Krankheitsbilder, bei denen eine homöopathische "Therapie" Schaden und Leid verursacht.

Wie sollte die Wissenschaft mit Meinungen umgehen, die von der Mehrheit abweichen? Solche sogenannten Heterodoxien betrachtet GWUP-Geschäftsführer Amardeo Sarma in einem weiteren Artikel. Sein Fazit: Heterodoxien können selbst dann zum Erkenntnisfortschritt in der Wissenschaft beitragen, wenn sie sich als falsch erweisen. Sarma plädiert denn auch für mehr Gelassenheit in der Diskussion, sowohl auf Seiten des Mainstreams als auch bei den Kritikern. Nur so können Debatten sachlich und fruchtbar geführt werden, ist er überzeugt.

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