Neue Studie zu sexuellem Missbrauch im Bistum Essen

Den Betroffenen ist unglaubliches Unrecht widerfahren

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Essener Münster (auch Essener Dom)
Essener Münster

Mindestens 423 Fälle von sexuellem Missbrauch und über 200 Beschuldigte – das ist das Ergebnis einer jetzt veröffentlichten Studie über Vorfälle im Bistum Essen. Den Abschlussbericht stellte das unabhängige Institut für Praxisforschung und Projektberatung (IPP) vergangene Woche vor.

Fast drei Jahre lang hatte das Forschungsteam um IPP-Geschäftsführerin Helga Dill an dem 400-Seiten-Papier gearbeitet, teils geheime Akten ausgewertet und Interviews mit Betroffenen, Fachleuten sowie kirchlichen Führungskräften geführt. Im Gegensatz zu Untersuchungen in anderen Bistümern stand kein juristisches, sondern ein sozialwissenschaftliches Interesse im Vordergrund. Es ging vielmehr um die systemischen Hintergründe und Ursachen.

Die Studie deckt eine jahrzehntelange Kultur des Wegschauens auf. Oder, wie es der Bischof von Essen Franz-Josef Overbeck zusammenfasst: "Es wurde viel vertuscht, wurde viel kleingeredet, durch Versetzung und Lügen auch verheimlicht. Und es ist den Betroffenen unglaubliches Unrecht widerfahren."

Dem IPP zufolge haben sich 226 Betroffene gemeldet, die von Missbrauch durch Kirchenvertreter als Minderjährige berichten. 163 Betroffene hätten einen Antrag auf Anerkennungszahlungen für ihr Leid gestellt, knapp 2,6 Millionen Euro seien gezahlt worden – magere, oft nur vierstellige Beträge für diejenigen Opfer, die nach dem Missbrauch chronische Erkrankungen entwickelten und arbeitsunfähig wurden.

Unter den Beschuldigten sind 129 Geistliche und 29 Ordensfrauen, Studienleiterin Helga Dill geht von einer erheblichen Dunkelziffer aus. Sie spricht von 53 Anzeigen und 33 Verurteilungen nach Kirchen- oder Strafrecht.

Einige der mutmaßlichen Täter haben offenbar über mehrere Jahrzehnte hinweg Missbrauch begangen. Der Bericht listet beispielhaft einige Fälle von Grenzüberschreitungen und sexualisierter Gewalt an Minderjährigen auf. So sei ein Kaplan in Bottrop nach Bekanntwerden der Taten lediglich nach Essen versetzt worden. Für die Betroffenen brachte der Wechsel indes keine Verbesserung, denn auch sein Nachfolger in Bottrop entpuppte sich als Missbrauchstäter. Zeugen berichten sogar, dass beide Kapläne über den Wechsel kommunizierten – auch über Missbrauchsopfer, wie Dill sagte. Später sei der ursprüngliche Bottroper Kaplan weiter nach Bayern versetzt worden und blieb bis 2010 im Dienst.

Auf der Pressekonferenz am vorvergangenen Dienstag berichteten auch Betroffene ihre Erlebnisse. Einer von ihnen war Wilfried Fesselmann. Er habe mit zehn Jahren in einer Jugendgruppe Missbrauch durch einen Kaplan erfahren. Nachdem er dies bekannt gemacht hatte und der Kaplan an eine andere Stelle versetzt worden war, musste der Junge Beschuldigungen und Misshandlungen durch Gleichaltrige ertragen. Sie machten ihn dafür verantwortlich, "dass unser geliebter Kaplan weg ist", erinnerte sich Fesselmann. Erst nach dem Umzug der Familie in einen anderen Stadtteil hatten die Angriffe ein Ende.

Der Essener Generalvikar und Personalverantwortliche Klaus Pfeffer kündigte an, bis zum Jahresende Regeln für die Übernahme von Therapiekosten und unbürokratische Hilfen aufzustellen. Seit Anfang Februar gilt im Bistum Essen eine strenge Berichtspflicht für Personalentscheidungen. Das bedeutet, dass nicht allein Kleriker über Kleriker entscheiden.

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