Der Fall Broch und die Systemkrise

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Michael Borch / Foto: Screenshot ARD

MÜNCHEN. (hpd) Michael Broch, der geistliche Leiter des Instituts zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp), eine so genannte Kaderschmiede der katholischen Kirche, ist nach Papstkritik zum Rücktritt veranlasst worden. Zeigen sich darin nicht nur die Kommunikationsprobleme der katholischen Kirche? Ein Kommentar.

Offensichtlich breitet sich auf dem Hintergrund der aktuellen gesellschaftlichen Entwicklung ein allgemeines Unbehagen aus, bis hin zu Ängsten über die Perspektiven der kollektiven und individuellen Lebensqualität. Momente dieses Unbehagens sind vor allem der Klimawandel mit seinen energetischen und ökologischen Katastrophen (von Tschernobyl über Überschwemmungen bis zum BP – Öldesaster), die Unsicherheiten über den Erhalt des Arbeitsplatzes und die diesbezügliche Einkommensverteilung sowie die Gesundheitssituation, die Finanzkrise, die Lage der Dritten Welt und der damit verbundenen Terrorismus etc.

Diese eher materiellen Ängste widerspiegeln sich natürlich auch auf der Ebene der ethnischen und moralischen Werte und ihrer Institutionen. Die tiefe Krise der christlichen Religionen und ihrer Trägerinstitutionen ist daher logisch und historisch nicht zufällig. Sie scheint in vieler Hinsicht die Beweisführung von denen, die von einer Krise des westlichen Systems sprechen, zu komplettieren. Betrachtet man in diesem Kontext die religiösen Institutionen als gesellschaftliche Regulierungsmechanismen, die über Tabus und Gebote das Handeln der gesellschaftlichen Subjekte zu ordnen versuchen, dann muss die notwendige Anpassung der Entwicklungspfade unserer Gesellschaft, wie bei allen anderen Weltanschauungen und Doktrinen, dort anfangen. Sie müssen ihre Kodizes so ändern, dass sie Signale zu Verhaltensänderungen, ja zur Anpassung oder sogar Änderung ihrer offenbarten Paradigmen, abgeben. Geschieht dies nicht, droht ihnen u. U. die Katastrophe, d. h. sie verschwinden als System.

Möglichkeiten zu einer diesbezüglichen Anpassung, die durch transformatorische Schritte gewalttätige Revolutionen oder existenzielle Systemkatastrophen vermeiden könnte, ist die Nutzung von bestehenden handlungsbestimmenden Freiräumen in ihrem Regulierungsmechanismus. Freiräume, die allerdings den Weg zu alternativen Entwicklungswegen ermöglichen müssen. Eine wichtige Voraussetzung dafür ist, dass es Freiräume in den Kommunikationsstrukturen des Systems gibt, so dass Informationen aus der Umwelt wahrheitsgemäß eintreffen und das System mit den ihm eigenen adäquaten Signalen bzw. Informationen intern reagieren kann.

Und hier sitzt der gordischen Knoten dieser Entwicklungsvariante. Regulierende Institutionen sind immer mit individuellen oder kollektiven materiellen bzw. Machtinteressen verbunden. Die Ausnützung der bestehenden alternativen Freiräume bedeutet meistens Einschnitte in dieses Interessengeflecht, ergo stoßen auf den Widerstand der etablierten Regulierer. Diese, wenn sie überhaupt die aufkommenden Störungen ihres Systems wahrnehmen, reagieren mit Regulierungsinstrumenten die nur dem alten System voll adäquat sind, d. h. sie unterbinden die Nutzung der Freiräume und insbesondere deren Kommunikations- bzw. Informationsstrukturen. Sie müssen deshalb zunehmend auf Zwang zurückgreifen, um das alte Regulierungsinstrumentarium noch anwenden zu können. Sie provozieren dadurch eine Beschleunigung des Weges zum Abgrund der Katastrophe.

Wer genau analysiert, kann in den aktuellen Versuchen zur Lösung der als Finanzkrise kaschierten systemischen Krise des westlichen wirtschaftlichen Entwicklungsmodells, leicht die Entfaltung des letzten Szenarios sehen. Ohne dann die These der methodologischen Dialektik von Überbau – Basis zu strapazieren und sie einen gesetzmäßigen Automatismus zu verleihen, kann doch die Krise der christlichen Religion in vieler Hinsicht als eine Widerspieglung bzw. weltanschauliche Komplettierung dieser Art der Konfliktlösung begriffen werden. Um eine paradigmatische Veränderung der Entwicklung unserer materiellen Strukturen zu vermeiden, muss der verhaltensbestimmende Moralkodex gleich bleiben und jede alternative Anpassung seiner gesperrt werden. Der neulich bekannt gewordene Versuch einer Konfliktlösung in der katholischen Journalistenschule ifp illustriert m. E. glänzend diese methodologische These.

Die katholische Kommunikationsschmiede ifp

Das Institut zur Förderung publizistischen Nachwuchses (ifp) ist eine für das Kommunikationssystem der katholischen Kirche enorm wichtiges Teilsystem. Es ist die Journalistenschule der katholischen Kirche und bildet Journalistinnen und Journalisten für alle Medien aus. Zum Ausbildungsprogramm des ifp gehört auch die Medienausbildung für Theologinnen und Theologen. Es richtet sich an hauptamtliche kirchliche Mitarbeiter, Priester, Ordensleute, Pastoralreferentinnen und Pastoralreferenten sowie wissenschaftliche Bedienstete.

Neuerdings noch bescheinigte Der Spiegel die hohe Qualität der Ausbildung im ifp. Es verlangt von den Bewerbern um ein Stipendium oder um ein Volontariat zwar gesellschaftliches Engagement in der Kirche und eine überzeugte christliche Grundhaltung, sei nach Spiegel trotzdem „grundsolide“

Das „Grundsolide“ kann auch als die Bereitstellung von kommunikativen Freiräumen für die Kirche interpretiert werden. So bestimmte der Gründungsdirektor des ifp, der konzilsbewegte Publizist und heute papstkritische Jesuit Dr. Wolfgang Seibel SJ, das Selbstverständnis des Instituts mit u. a. folgenden bemerkenswerten Leitsätzen (für alle folgende Angaben über das ifp):

„Es ist also keine Institution, deren primäre Aufgabe die Hinführung zum Glauben wäre oder vielleicht auch der Ausgleich wirklicher oder vermeintlicher Defizite des Religionsunterrichts.“

„Glaube kann nur wachsen in einem Raum der Mitmenschlichkeit, der Freiheit, der Offenheit, des Vertrauens (…)“

„Dem Glauben als einer in freier Entscheidung übernommenen Lebensform widerspricht ja jeder Versuch der Indoktrinierung, jede Art von Druck, Disziplinierung oder gar von Zwang.“

„Als Journalisten haben Christen keine andere Aufgabe und keine anderen Normen als die Kolleginnen und Kollegen, die von einer anderen Welt- und Lebensanschauung herkommen. Auch die ethischen Normen sind für alle gleich, weil sie ja in der unveräußerlichen Würde des Menschen und seinen Grundrechten wurzeln. Von daher versteht es sich von selbst, dass christliche Journalisten immer in der ersten Reihe derer stehen sollen, die die Menschenwürde und die Menschenrechte verteidigen und für einen fairen, verantwortungsbewussten Journalismus eintreten.“

Analysiert man die durch das Institut selbst veröffentlichten Angaben, wird die Möglichkeit der Ausnützung dieser Freiräume sowohl für interne als externe Kommunikation deutlich.

Seit 1970 haben über 2000 Journalistinnen und Journalisten ihre Ausbildung beim ifp oder bei der Katholischen Medienakademie (kma) gemacht. Deutlich wird dabei die auf Offenheit orientierte Funktion der Kaderschmiede. Von den etwa 50 namentlich erwähnten Absolventen haben nur 22 % einen Job in kirchlichen Institutionen aber 41 % in den öffentlichen Rundfunkanstalten und 31 % bei nicht direkt kirchlichen Zeitungen gefunden.

Fast genau so offen ist der Input. Von den Referenten kommen nur 5 % aus kirchlichen Institutionen jedoch 34 % aus den öffentlichen Medien und 24 % aus nicht direkt katholischen Zeitungen. Der Rest sind meistens free lance Journalisten. Insgesamt also einerseits ein beeindruckendes Bild vom missionarischen Einfluss der katholischen Kommunikatoren.

Zu den Absolventen gehören z. B. der Moderator Thomas Gottschalk, der Innenpolitiker der Süddeutschen Zeitung, Heribert Prantl sowie RBB-Intendantin Dagmar Reim, Bettina Schausten, Leiterin des ZDF-Hauptstadtbüros oder der heutige Intendant des Deutschlandradios Willi Steul und das Ganze liest sich wie das Who-is-Who der Branche.

Von den 330 ausgebildeten TheologInnen arbeiten immerhin 25 % hauptberuflich in den Medien. Dies wertet der Hauptreferent des ifp, Ludger Verst, ganz offen: „Sie gelten aber für die Kirche insofern nicht als ‘verloren’, als viele von ihnen mit gehöriger Sympathie für ihre Konfession bzw. den früheren Dienstgeber nun von anderer Warte aus christliche bzw. kirchliche Optionen mit vertreten. Einen Ausbildungseffekt, den sich das publizistische Institut in München (…) gern auf seine Fahnen schreibt.“

Andererseits aber deutet dies doch auch auf die hier gegebenen praktischen Möglichkeiten, offen „die Menschenwürde und die Menschenrechte (zu) verteidigen und für einen fairen, verantwortungsbewussten Journalismus ein (zu) treten.“ Wären da nicht die Machtstrukturen innerhalb des ifp! Im Aufsichtsrat und Trägerverein dominieren mit fast 45 % bzw. 47 % eindeutig kirchliche Funktionsträger und der sogenannte geistliche Direktor ist ein Pfarrer: bis vor Kurzem eben Michael Broch. Aber gerade an diese Struktur und am Fall Broch lässt sich das Regulierungsdilemma der katholischen Kirche im Kommunikationsbereich illustrieren.