TRIER. (hpd) Gestern präsentierte der Missbrauchsbeauftragte der katholischen Kirche, Bischof Stephan Ackermann, die Leitlinien der Deutschen Bischofskonferenz zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch. Auf den ersten Blick seriös und überzeugend, erscheinen bei näherem Hinschauen doch einige Punkte problematisch.
Laut den Ausführungen des Sekretärs der Deutschen Bischofskonferenz, Dr. Hans Langendörfer SJ, wurde „psychiatrisch-psychotherapeutischer sowie juristischer Sachverstand und fundierte fachliche Erfahrung und Kompetenz in der Arbeit mit Opfern sexuellen Missbrauchs“ konsultiert und in die Arbeit an den Leitlinien eingebracht. Kirchliche wie – ausdrücklich – nichtkirchliche Experten wurden gemäß Langendörfer beteiligt.
Bischof Ackermann wies darauf hin, dass die meisten der bekannt gewordenen Fälle in den Zeitraum vor 2002 fallen, das Jahr, in dem die „Leitlinien zum Vorgehen bei sexuellem Missbrauch im kirchlichen Bereich“ erlassen wurden, die sich zwar „in der Breite bewährt“ hätten, die man aber nun präzisierte. Mithilfe der neuen Leitlinien sollten Vertuschung und Verschleierung verhindert, missbrauchende Täter nicht mehr in der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen eingesetzt, Opfer ermutigt werden, sich bei den zuständigen Stellen zu melden sowie Kinder zu schützen. Rechtsquellen der neuen Leitlinien sind die entsprechenden Paragraphen des StGB, §§ 8a und 72a SGB VIII sowie der Codex des Kanonischen Rechtes 1983.
Leitlinien zusammengefasst
Ackermann stellte sodann sechs Bereiche vor, welche durch die Leitlinien abgedeckt werden. Der Anwendungsbereich wurde erweitert auf Kleriker, Ordensangehörige und Mitarbeiter/innen sowie ehrenamtlich Tätige. Die Unterstützung der Staatsanwaltschaft soll nach den Worten des Bischofs ein „ausgewogenes Verhältnis zwischen Anzeigenpflicht und der Gewährleistung eines Opferschutzes“ erreichen, die Strafverfolgungsbehörde wird jedoch bei Verdacht auf sexuellen Missbrauch „grundsätzlich informiert“. Darüber hinaus sei das parallel laufende kirchenrechtliche Verfahren „in keiner Weise vorgeordnet“. Es handele sich um zwei Rechtskreise (http://www.dbk.de/de/presse/aktuelle-meldungen/details/?tx_ttnews[tt_new...): staatlich und kirchlich. Kirchen können keine Straftaten ermitteln, das kirchliche Verfahren läuft parallel und greift auf die Ergebnisse staatlicher Ermittlungen zurück.
Die Missbrauchsbeauftragten in den Bistümern sollen nicht zur Leitung des Bistums gehören und ein ständiger Beraterstab kann aus kirchlichen oder nichtkirchlichen Mitarbeitern bestehen. Täter werden aus der Arbeit mit Kindern und Jugendlichen abgezogen und sollen sich – nach forensisch-psychiatrischer Begutachtung – einer Therapie unterziehen. Präventiv müssen zukünftig Personen, die mit Kindern und Jugendlichen arbeiten, ein polizeiliches Führungszeugnis vorlegen. Die Opfer können, je nach Einzelfall, seelsorgerische und therapeutische Hilfen in Anspruch nehmen.
Zwei Rechtskreise?
Die Leitlinien sind, so Ackermann, verbindlich. Es handele sich zwar nicht um einen Rechtstext, die Bistümer müssten sich aber – unter Umständen mit Adaptionen - daran halten.
Auch zum Thema „finanzielle Anerkennung von erlittenem Unrecht“ äußerte sich der Missbrauchsbeauftragte, da diese in den Leitlinien nicht geregelt sei. Für die Bischöfe gelte der Runde Tisch, hinter dem sie sich nicht verstecken werden, sie hielten aber ein abgestimmtes Vorgehen für richtig. Ihm sei es ein Anliegen, so Ackermann, diese Frage „vorrangig zu behandeln“.
Später führte er aus, die Kirche werde keine eigenen Vorschläge einbringen, aber sich der Frage prinzipiell stellen, sonst bestehe die Gefahr der Ungerechtigkeit bei disparaten Lösungen der Einzelorganisationen. Langendörfer ergänzte, es liege kein fertiges Konzept zur Entschädigung in der Schublade, sondern kirchenintern fänden Gespräche statt, das Ergebnis werde dem Runden Tisch vorgetragen.
Auch warb der Bischof um Verständnis dafür, dass er den Opfern, dessen Briefe und Telefonate ihn in den vergangenen Monaten erreichten, nicht immer habe gerecht werden können. Rund 3000 Gesprächspartner mit 22.000 Versuchen haben sich auf der Hotline gemeldet, nicht alle hatten direkt mit dem Thema sexueller Missbrauch zu tun. Die Hotline würde nicht eingestellt.
Die Zahl der Betroffenen sei gegenwärtig unklar. Zurzeit würde ein aufwändiges Verfahren mit Außenberatung durchgeführt, um die Opferzahl, die Täter, die Häufigkeit der Tat, Konsequenzen der Tat wie Strafanzeigen o. ä. statistisch zu erheben. Es handele sich um ein größeres Projekt, dessen Ergebnisse vor Ende nächsten Jahres nicht zu erwarten seien.
Keine Befangenheit der Kirche?
Soweit so gut, so sympathisch, so betroffen und so seriös. Wenn man näher hinschaut, erscheinen jedoch einige Punkte problematisch, und es stellen sich dann Fragen:
Besonders frappant erscheint, dass sich ein Opfer an die Täterorganisation wenden muss. Kann es denn legitim sein, dass jemand von derselben Organisation, die sie geschädigt hat, die vertuscht, verschleppt, geleugnet und gedroht hat, nun Hilfe in Anspruch nehmen soll, gar muss? Müsste nicht vielmehr eine unabhängige Organisation die Opfer betreuen und deren Fälle der Täterorganisation gegenüber vertreten?
Es sind Fälle bekannt, in denen gegen (mutmaßliche) Opfer Strafanzeige wegen Verleumdung erstattet wurde. Einerseits verlangen kirchliche Missbrauchsbeauftragte de facto Details wie Namen des Täters und Ort des Missbrauchs, das heißt, der oder die Geschädigte muss die Tat nachweisen, ansonsten wird der Tat nicht nachgegangen. Wenn aber jemand diese Details nennt, droht eine Strafanzeige (dies lässt sich auch aus Nr. 35 der Leitlinien ableiten). Siehe die Causa Mixa, der beharrlich seine Schläge im Heim leugnete, bis diese sich nicht mehr leugnen ließen. Und Schläge sind leichter nachweisbar als sexueller Missbrauch, der meist ohne Zeugen stattfindet. Diesen Widerspruch vermögen die Leitlinien nicht aufzulösen.
Auch auf Nachfrage ging der Bischof davon aus, dass ein „zu Unrecht“ des Missbrauchs Beschuldigter Strafanzeige erstatten könne, statt davon auszugehen, dass als allererstes geklärt werden sollte, ob ein Missbrauch denn tatsächlich stattgefunden hat oder nicht. Darüber hinaus wäre in einem solchen Fall das Signal ein anderes, ernstzunehmendes, wenn die Kirche auf das (mutmaßliche) Opfer zuginge und ein Gespräch anstelle einer Verleumdungsanzeige anböte.
Es war keine Gelegenheit mehr, aber weitere Fragen werden zu stellen sein: Wer finanziert die kirchliche Hotline, wer die therapeutischen Angebote? Werden diese aus Kirchenmitteln getragen? Oder erhalten gar die Täterorganisationen Finanzspritzen vom Staat, um ihre eigenen Vergehen intern aufzuklären und Hilfen anzubieten? Auch scheint der Täterschutz recht ausgeprägt. Was ist, wenn jemand die Therapie verweigert? Wie will die Kirche kontrollieren, dass jemand nicht doch wieder übergriffig wird, wenn er oder sie lediglich versetzt wird?
Alles in allem ist es löblich, dass die katholische Kirche offensichtlich etwas getan hat und weiterhin tätig zu werden gedenkt. Auch ist das persönliche Engagement des Herrn Ackermann spürbar. Doch zeigen die Ungereimtheiten in den Leitlinien sowie die Tatsache, dass die Kirche nicht begreift, dass sie als Täterorganisation nicht geeignet sein dürfte, das Problem wirklich anzugehen, dass zu Vieles beim Alten bleibt, um zu überzeugen.
Fiona Lorenz
Zu den Leitlinien
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