Sexuelle Selbstbestimmung

Gisela Notz verwies darauf, dass der gesellschaftliche und politische „Regelungswahn“ sich vornehmlich auf Frauen beziehe. Selbstbestimmung bedeute für Frauen auch die Befreiung aus patriarchalischen und wirtschaftlichen Abhängigkeiten, es ist das Tor zur Gesellschaftskritik.

Selbstbestimmung ist die eine Seite, Selbstverantwortung für die eigenen Entscheidungen die andere Seite.  

Es gäbe keinen Grund, eine einzige Lebensform zu privilegieren und sie über das indivuelle Recht der eigenen Entscheidung zu stellen. Sowohl der Staat wie auch die Kirchen und Religionen seien dafür überflüssig. Die so genannten „Lebensschützer“, deren Demonstration sie einen Tag zuvor in Berlin erlebt habe, fordern im Kern die Entrechtung der Frauen. Ebenso ihre Fixiertheit auf Sexualität ausschließlich als Fortpflanzung und ihre Ablehnung der Homosexualität, da es keine „zielführende“ Sexualität sei. 

Eine Gleichberechtigung aller Lebensformen brauche aber auch eine Förderung durch eine entsprechende Familienpolitik, mit Kindergärten, Verhütungsmöglichkeiten, Aufklärung und grundsätzlich dem Recht der Frauen, wenn sie es so wollen, auch „Nein!“ zu sagen und sagen zu können.


Manfred Bruhns
, 1934 geboren, Heirat, Kinder, Enkelkinder, in die Konventionen der Nachkriegszeit gepresst, fragte: Was braucht der Mensch? Erstens, Nahrung und Wasser. Zweitens, einen warmen und trockenen Raum. Drittens: Ungestört schlafen zu können. Diese Bedürfnisse setzen sich durch. 

Sexualität ist sekundär. Bekommt der Mensch zu wenig Nahrung reduzieren sich auch seine sexuellen Bedürfnisse. Geht es jedoch dem Menschen gut, dann entwickelt sich die pure Lust. Sexuelle Bedürfnisse werden jedoch als gesellschaftlich „unvernünftig“ angesehen, müssen vorgeblich geordnet werden und so wurde und wird Homosexualiät als „abweichend“ bestraft. Diese ordnenden Ansprüche werden gesellschaftlich begründet und sind nicht auf das individuelle Glück bezogen. Die Absicht ist, Schuldgefühle zu erzeugen. 

Welche Grundsätze sollten für eine selbstbestimmte Sexualität gelten?
• Freiwilligkeit und Übereinstimmung der Beteiligten.
• Ohne Täuschung der anderen.
• Kein Vertrauensbruch.
• Ohne Ansteckung mit Krankheiten, und
• Fortpflanzung nur bei gemeinsamer Verantwortung.


Arzu Toker
, die in Ostanatolien aufgewachsen ist, hat 1975 in Düsseldorf eine Demonstration erlebt, bei der es Transparente gab, auf denen stand: „Hätte Maria abgetrieben, wäre Jesus uns erspart geblieben!“ Sie erlebte veschiedenste Reaktionen, aber keine Gewalt. Das war für sie Meinungsfreiheit. In Ostanatolien hatte sie erlebt, wie ein Vater seine Tochter getötet hatte, ein „Ehrenmord“, und sie hatte sich geschworen, niemals zum Opfer zu werden. 

Sexuelle Selbstbestimmung kannte man in der Türkei nicht. Obwohl die Türkei seit 1923 eine Demokratie ist, sei es eine Schein-Demokratie, da das Land vorher 750 Jahre lang unter der Scharia gestanden hatte, der islamischen Gesetzgebung. Und betrachte man sich Mohammeds Karriere, dann werden im Verlaufe seiner Schriften immer mehr die Rechte der muslimischen Frauen eingeschränkt. Im Islam, auch im „modernen“ Istanbul, werden die Rechte sexueller Minderheiten immer noch eingeschänkt und diese Menschen verfolgt. 

In den Gefängnissen der Türkei,in Syrien und weiteren Staaten werden die von Manfred Bruhns beschriebenen Grundbedürfnisse systematsich verletzt und die Menschen immer noch gefoltert. 

In Betrachtung ihres eigenen Lebens verwies sie – mit erheiternden Beispielen - abschließend darauf, dass die Befreiung von den eigenen Unterdrückungen das Schwierigste sei und lange dauern könne.

In der anschließenden Diskussion wurden viele Facetten aufgegriffen und ergänzt:

  • Es fehle der Begriff der Herrschaftsverhältnisse, Sexualpolitik ist Kampf um die Herrschaft über die Köpfe und Körper;
  • die unterschiedlichen biologischen Interessen von Frauen und Männern. Der notwendige und herrschaftsfreie Diskurs, um eine Regelung dieser unterschiedlichen Interssen auszuhandeln;
  • das Spannungsfeld zwischen Kulturwissenschaft und Naturwissenschaft. Die Diskussion, was ist gestaltbar und wie ließe es sich politsich umsetzen?
  • Die Fordeung nach mehr historischem Bewußtsein.

In den Stunden der Referate, Stellungnahmen und Beiträge ließ sich Vieles lernen, neues Wissen und historische Bezüge. Dennoch hatte ich am Ende der Diskussionen das Gefühl, auf der falschen Veranstaltung gewesen zu sein. Wohlmeinend, wissenschaftlich, politisch, aber sehr ‚verkopft’? So blieb für mich die noch unbeantwortete Frage: Was hatte ich eigentlich von so einer Diskussion erwartet?

C.F.