(hpd) Der ägyptischstämmige Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad legt mit seinem Buch eine Sammlung von Reflexionen in Essay-Form vor, welche auf die Überwindung ineffektiver Bildung, religiöser Herrschaftstreue und verlogener Sexualmoral in der islamischen Welt abzielen.
Es handelt sich dabei um persönliche Betrachtungen, nicht um ein historisch-soziologisches Werk - worin man aber sehr wohl eine Reihe von beachtens- und diskussionswürdigen Thesen zu einem aktuellen Thema findet.
Mitunter sehen westliche Medien den Islam auf dem Vormarsch, wobei so unterschiedliche Aspekte wie Bevölkerungswachstum, Gewaltpotentiale oder Re-Islamisierungstendenzen angesprochen werden. Der ägyptischstämmige Politikwissenschaftler Hamed Abdel-Samad, der auch Mitglied der Deutschen Islam-Konferenz ist, nimmt in seinem Buch „Der Untergang der islamischen Welt. Eine Prognose“ entsprechend des Titels eine ganz andere Perspektive ein. Demnach sei der Islam in der gegenwärtigen Situation alles Mögliche, aber: „Er ist nicht mächtig. Er ist im Gegenteil schwer erkrankt und befindet sich sowohl kulturell als auch gesellschaftlich auf dem Rückzug“ (S. 17). Abdel-Samad, der auch am Lehrstuhl für Islamwissenschaft der Universität Erfurt und am Institut für Jüdische Geschichte und Kultur der Universität München arbeitet, formuliert sogar noch schärfer: „Wäre der Islam eine Firma, dann wäre er längst pleitegegangen“ (S. 27). Diese Auffassung will der Autor in den 15 Kapiteln seines Buches im Sinne einer „persönlichen Analyse“ (S. 28) näher begründen.
Dabei geht es um unterschiedliche inhaltliche Schwerpunkte: Zunächst verweist Adel-Samad auf die Inhalte von arabischen Schulbüchern, welche ein einseitiges und verzerrtes Geschichtsbild zeichneten, religiösen Dogmatismus und praktischen Dschihadismus beschwören würden und Anders- und Nichtgläubige als Minderwertige diffamierten. Besonders bedenklich sei die Selbstbezogenheit im Denken über gesellschaftliche Entwicklungen: „Isolation und die lange Betrachtung des eigenen Schattens führt nicht nur zur Selbstverherrlichung, sondern auch zu Paranoia. Jede Kritik von außen wird als Kriegserklärung verstanden, Jedes Infragestellen von innen als Häresie, als Verrat gedeutet“ (S. 54). Diese Auffassung erklärt für den Autor auch das ständige Gefühl des Beleidigt- und Gekränktseins in der islamischen Welt, womit alle Schuld und Verantwortung für die häufig selbstgemachte Misere auf den Westen geschoben werde. Statt das Abenteuer der Öffnung einzugehen, flüchte man in die Sicherheit der Orthodoxie.
Gegenüber dieser Einstellung fordert Abdel-Samad die konstruktive Auseinandersetzung mit der Kritik: „Für mich persönlich stellt Islamkritik in der heutigen Zeit einen Ausdruck von ‚Humanismus’ dar, denn der Islam schadet sich selbst, seinen Anhängern und dem Rest der Welt. Der Islam hat in erster Linie ein Problem mit sich selbst und mit der Interpretation seiner Rolle in der modernen Welt“ (S. 103). Und wenn man die westliche Islam-Kritik für zu polemisch empfinde, sollten die Muslime sie selbst üben.
Einige Ansätze für eine damit verbundene Entwicklung wird in der Alphabetisierung, den Individualisierungstendenzen oder der Internet-Nutzung gesehen, wobei Abdel-Samad insgesamt doch eher pessimistisch ist. Man müsste im Sinne einer solchen Reform die Kette eines starren Systems sprengen: „Diese Kette besteht aus dem verankerten Stammesbewusstsein, der religiösen Herrschaftstreue, verlogener Sexualmoral und ineffektiver Bildung, die nicht den Verstand stimuliert, sondern veraltete Denkstrukturen zementiert“ (S. 212).
Wie bereits in der Einleitung betont wird handelt es sich nicht um eine historisch-soziologische Studie, sondern um eine persönliche Analyse. Demgemäss hat man es bei den einzelnen Kapiteln eher mit Essays zu den jeweiligen Themen und nicht mit Bestandteilen eines in sich stringenten Werkes zu tun. Abdel-Samad formuliert darüber hinaus auch Einschätzungen, ohne sie über die Fußnoten mit Quellenhinweisen zu belegen. Bei seinen einleitenden Bezügen auf Oswald Spenglers Werk „Untergang des Abendlandes“ dürfte der Autor sich auch ideengeschichtlich vergriffen haben, handelt es sich doch in höflicher Formulierung um ein sehr umstrittenes Werk. Berücksichtigt man aber all diese und noch andere Einschränkungen, so handelt es sich doch um ein lesenswertes Buch. Gerade in dem Mix von Erzählungen und Reflexionen besteht ein intellektueller Reiz, der mit seinen Inhalten quer zu der absonderlich emotional und polarisiert geführten öffentlichen Debatte um den Islam steht. Manche Aspekte werden nur angedacht, aber man kann ja selbst weiterdenken.
Armin Pfahl-Traughber
Hamed Abdel-Samad, Der Untergang der islamischen Welt. Eine Prognose, München 2010 (Droemer Knaur-Verlag), 234 S., 18 €