Bei der Siebentage-Gedenkzeremonie für den iranischen Rechtsanwalt und Menschenrechtsverteidiger Khosrow Alikordi sind in der iranischen Stadt Maschhad zahlreiche Teilnehmer festgenommen worden, darunter die Friedensnobelpreisträgerin Narges Mohammadi. Der Kämpferin gegen die Todesstrafe droht sie nun womöglich selbst.
Die Siebentage-Zeremonie ist eine traditionelle Trauer- und Gedenkveranstaltung im Iran, die sieben Tage nach einem Todesfall abgehalten wird. Sie fand vergangenen Freitag in der Ghadir-Moschee statt und wurde von Sicherheitskräften gewaltsam aufgelöst.
Mohammadi berichtete in einem kurzen Telefonat mit ihrer Familie, sie sei bei ihrer Festnahme mit heftigen Schlagstockhieben gegen Kopf und Nacken misshandelt worden. Wie Exilmedien unter Berufung auf ihre telefonischen Angaben berichten, seien die Übergriffe derart schwer gewesen, dass sie nach der Festnahme zweimal in ein Krankenhaus sowie in die Notaufnahme gebracht worden sei. Auch zum Zeitpunkt des Anrufs habe sich ihr gesundheitlicher Zustand nicht stabil gezeigt.
Darüber hinaus habe Mohammadi ihrer Familie mitgeteilt, ihr werde die Führungsrolle bei der Demonstration sowie eine Zusammenarbeit mit Israel vorgeworfen. Zudem sei sie mit dem Tod bedroht worden. Nach iranisch-islamischem Recht wird die Zusammenarbeit mit Israel mit der Todesstrafe bestraft.
Das Norwegische Nobelkomitee verurteilte die Festnahme scharf und forderte die sofortige und bedingungslose Freilassung von Narges Mohammadi. Sie hatte 2023 den Friedensnobelpreis für ihren jahrzehntelangen Einsatz für Frauenrechte und gegen die Todesstrafe im Iran erhalten.
Verschiedene Nachrichtenagenturen berichten, dass während der Veranstaltung regierungskritische Parolen sowie Slogans zur Unterstützung von Reza Pahlavi gerufen wurden, darunter "Frau, Leben, Freiheit", "Tod dem Diktator" und "Weder Gaza noch Libanon, mein Leben für Iran". Dies deutet darauf hin, dass an der Gedenkveranstaltung unterschiedliche oppositionelle Strömungen beteiligt waren, darunter sowohl royalistische als auch republikanische Gruppen.
Die Narges-Mohammadi-Stiftung bestätigte, dass Mohammadi von Sicherheits- und Polizeikräften unter Gewaltanwendung festgenommen wurde. Neben ihr wurden unter anderem Sepideh Gholian, Hasti Amiri, Pouran Nazemi und Aliyeh Motalebzadeh sowie weitere Aktivisten in Gewahrsam genommen. Berichten zufolge wurden mehrere der Festgenommenen geschlagen und in Haftzentren des Geheimdienstes der Revolutionsgarden in Maschhad gebracht. Indessen meldete die Staatsanwaltschaft 39 weitere Festnahmen bei der Gedenkfeier für Alikordi.
Propaganda als Herrschaftsinstrument
Die Behörden bestätigten die Festnahmen, erklärten jedoch, diese seien "vorübergehend" erfolgt und auf Anordnung der Staatsanwaltschaft wegen "normabweichender Parolen".
In diesem Zusammenhang stuften die Behörden bereits die Teilnahme an der Gedenkveranstaltung als sicherheitsrelevant ein und bezeichneten die Teilnehmer an der Demonstration als solche, denen sie unterstellten, die öffentliche Ordnung, die staatliche Sicherheit oder die politische Stabilität zu gefährden, unabhängig davon, ob hierfür belastbare Beweise oder rechtskräftige Urteile vorlagen.
Mizanonline, das offizielle staatliche Medienorgan der iranischen Justiz, schrieb:
"Nach Angaben der Behörden kam es am Rande der Trauerzeremonie in Maschhad zu Unruhen und gesetzeswidrigem Verhalten, bei dem ein Polizeikommandant und ein weiterer Beamter durch Messerangriffe verletzt wurden; mehrere Personen, darunter auch solche mit sicherheitsrelevanten Vorstrafen, seien daraufhin festgenommen worden, und die Justiz habe die weiteren rechtlichen Schritte eingeleitet."
Die totalitäre Diktatur bedient sich eines breiten Spektrums repressiver Instrumente, um Menschenrechtsaktivistinnen und -aktivisten systematisch zu diskriminieren, zu kriminalisieren und aus dem öffentlichen Raum zu verdrängen. Dazu zählen willkürliche Festnahmen, politisch motivierte Strafverfahren, Diffamierung durch staatlich kontrollierte Medien sowie der Missbrauch sicherheits- und strafrechtlicher Vorwürfe. Ziel dieser Maßnahmen ist es, zivilgesellschaftliches Engagement einzuschüchtern, oppositionelle Stimmen zu delegitimieren und unabhängige Menschenrechtsarbeit zielgerichtet zu unterbinden.
Instrumentalisierte staatliche Propagandadarstellungen dienen in der islamistischen Diktatur dazu, Repressionsmaßnahmen zu legitimieren, Kritik zu delegitimieren und die öffentliche Wahrnehmung im Sinne der Machthaber zu steuern.
Ein Anwalt stirbt: Die Umstände bleiben ungeklärt
Der Tod von Khosrow Alikordi, einem bekannten iranischen Rechtsanwalt und ehemaligen politischen Gefangenen, hatte landesweit erhebliche Zweifel an den staatlichen Reaktionen ausgelöst. Alikordi, der in den vergangenen Jahren zahlreiche politische Gefangene, Protestierende der Bewegung "Frau, Leben, Freiheit" sowie Familien von Getöteten vertreten hatte, wurde am 6. Dezember tot in seinem Büro aufgefunden. Die Beisetzung fand am Tag darauf in Sabzewar unter großer öffentlicher Anteilnahme statt.
Offizielle Stellen, darunter der stellvertretende Sicherheits- und Polizeigouverneur der Provinz Chorasan Razavi sowie der Gouverneur von Maschhad, erklärten unter Berufung auf die Gerichtsmedizin, die Todesursache sei ein Herzinfarkt gewesen. Staatliche Medien wiesen Nachfragen und Zweifel als politisch motivierte Spekulationen "ausländischer Medien" zurück. Es habe keine Hinweise auf eine nicht-natürliche Todesursache gegeben.
Demgegenüber äußerten zahlreiche Anwälte, Aktivisten und Menschenrechtsverteidiger ernste Zweifel an der offiziellen Darstellung. Mehrere Anwälte sprachen von "schwerwiegenden Unklarheiten" und bezeichneten den Tod als "verdächtig". Sie berichteten unter Berufung auf informierte Quellen, dass unmittelbar nach dem Auffinden des Leichnams Überwachungskameras aus Alikordis Büro von Sicherheitskräften entfernt worden seien und ein Bereitschaftsrichter für Tötungsdelikte rasch am Tatort erschien, ein Vorgehen, das aus Sicht von Juristen auf eine anfängliche Einstufung des Falls als verdächtig hindeute.
In den Tagen danach erklärten 82 im Iran tätige Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte in einer gemeinsamen Stellungnahme ihre Bereitschaft, die Familie bei der Aufklärung der Todesumstände zu unterstützen. Sie forderten die vollständige Herausgabe aller Beweismittel, insbesondere der Videoaufnahmen, sowie eine fachlich unabhängige und transparente Untersuchung.
Weitere Berichte aus dem Umfeld der Familie sprechen von Druck auf Familie und Freunde, öffentlich keine Zweifel an der offiziellen Todesursache zu äußern. Andere Quellen berichten, Alikordi sei möglicherweise durch einen Schlag auf den Kopf ums Leben gekommen; eine unabhängige Bestätigung hierfür liegt jedoch nicht vor.
Zeitgleich wurde Javad Alikordi, der Bruder des Verstorbenen und ebenfalls Jurist, wenige Tage nach der Beerdigung vor das Revolutionsgericht in Maschhad zitiert. Diese Vorladung steht in direktem Zusammenhang mit seinen öffentlichen Stellungnahmen zu den weiterhin ungeklärten Umständen des Todes seines Bruders.
Erinnerungen werden wach an die Kettenmorde an Intellektuellen in den Jahren 1998 und 1999, eine Serie von gezielten Tötungen, bei denen zahlreiche Schriftsteller, Künstler, Journalistinnen und Akademiker auf brutale Weise getötet wurden. Diese Morde lösten seinerzeit weitreichende Bestürzung im In- und Ausland aus und stehen bis heute für eine der dunkelsten Episoden der repressiven Gewalt gegen kritische Stimmen im Land.
Kritische Stimmen zur aktuellen Eskalation
Hamid Nowzari, Geschäftsführer des Vereins iranischer Flüchtlinge in Berlin, sagt dazu:
"Obwohl die Verhaftung oppositioneller Kräfte, insbesondere dann, wenn unterschiedliche Stimmen an einer Versammlung teilnehmen, in der Islamischen Republik Iran nichts Neues ist, müssen die jüngsten Festnahmen in Maschhad sowie mehrere frühere Angriffe in einigen anderen Städten direkt mit der vor wenigen Tagen erteilten Anweisung von Ali Chamenei in Zusammenhang gebracht werden. Darin forderte er einen stärkeren Druck der Sicherheitskräfte auf jene, die seiner Ansicht nach im Inneren des Landes 'die Worte der Feinde' wiederholen. Angesichts der äußerst kritischen Lage im Iran sind die Verantwortlichen der Islamischen Republik zutiefst besorgt über jede Versammlung und jede politische Stimme der Opposition, die sich zu einem Funken des Fanals von neuen Protestwellen entwickeln könnte."
Die Juristin und Journalistin Shila Behjat, die seit Jahren zu Menschenrechten und Feminismus arbeitet, erklärt:
"Solche Verhaftungen zeigen das wahre Gesicht dieses Regimes: ein frauen- und menschenverachtendes Regime. In den vergangenen Monaten konnte sich erneut das Narrativ von angeblich gemäßigten islamistischen Machthabern festsetzen. Menschen, die die aktuelle Situation nicht kennen, sehen Frauen ohne Hijab und lassen sich zu dem Glauben verleiten, es habe sich etwas an diesem Unrechtsregime geändert. Tatsächlich aber ist es allein der Mut der Menschen, der unerschütterlich und unverändert bleibt."






