Ein Berliner in Australien

(hpd) Oliver-Martin Rapsch ist der zweite Vorsitzende der Berliner Ortsgruppe der Giordano Bruno Stiftung (GBS). Im Sommer gab er Stephen Stuart von der „The Humanist Society of Victoria, Australia“ ein Interview. Das Interview wird in englischer Sprache im "Australian Humanist", Heft 100, erscheinen.

 

Stephen Stuart : Oliver, berichte doch einmal, wie Du dazu gekommen bist, Dich in der Humanisten-Bewegung zu engagieren?

Oliver-Martin Rapsch: Das ist eine lange Geschichte. Nachdem ich getauft wurde und in einer oberflächlich-christlichen Familie groß geworden bin, entwickelte ich nach und nach ein Interesse an Wissenschaften. Meine erste Freundin entstammte einer tiefreligiösen katholischen Familie und da man ja als junger, verliebter Mensch alles über seine Partnerin erfahren möchte, begleitete ich sie und ihre Familie zur Messe. Ich war etwas schockiert, erst zu sehen wie sich Menschen bekreuzigten und unterwürfig verhielten und dann anschließend arrogant gesagt zu bekommen, dass ich als Lutheraner ja sowieso nichts verstehen würde. Bei dieser Gelegenheit habe ich zum ersten Mal gemerkt, was die Kirche aus einem Menschen machen kann. Als ich mehr und mehr über Wissenschaft las war das wie ein geistiger Sonnenaufgang: Ein Weltbild, dass keinen Gott erforderte, stattdessen Evolution - was für ein aufregender Gedanke! Vor ungefähr acht Jahren traf ich dann meine jetzige Freundin, die einer methodistischen Familie entstammt, in der mir dann wieder dasselbe bornierte Verhalten begegnete. Ich dachte, dass sie wohl sehr unsicher sein müssten und nach jemandem suchten der ihnen Geborgenheit geben würde. Ich bin daran gewöhnt, rational zu denken und schließlich gerieten wir aneinander. Von meinen Verwandten war niemand daran interessiert, zu philosophieren.
Auf den Humanismus bin ich durch Zufall gestoßen, ich hatte über Erasmus von Rotterdam gelesen und fand seine Gedanken sehr attraktiv und was ich über den neuen Humanismus las, zog mich sogar noch mehr an. Ich nahm an einer Versammlung von Humanisten in Berlin teil und fand heraus, dass es noch mehr Leute gab, die dachten wie ich: Plötzlich war ich nicht mehr allein. Ich bin sehr froh, dass ich diese Menschen getroffen habe und auch froh über den entspannten Umgang, den wir miteinander haben.

Stuart: Es ist eigenartig, dass wir religiöse Gruppierungen missbilligen und doch nichtreligiöse Gruppen bilden, die sich gegenseitig unterstützen. Es ist eine wahrhaft menschliche Eigenschaft, dass man häufig Unterstützung benötigt, die man von Menschen erhält, die auf derselben Ebene denken.

Rapsch: Na ja, ich missbillige religiöse Gruppen ja nicht: Sie besitzen das absolute Recht, ihren Glauben zu haben und ihn auszuüben, so lange sie niemand anderen dadurch unterdrücken. Unglücklicherweise tendieren sie dazu, sich innerhalb ihrer Gruppe zu respektieren, aber auf die herabzusehen, die nicht dazugehören. Uns allen kann das passieren, aber ich glaube, wir Humanisten sind da etwas toleranter.

Stuart: Wenn man Deutschland als Ganzes betrachtet, wie sieht die derzeitige Situation des Humanismus und dessen Entwicklung aus?

Rapsch: Um ehrlich zu sein: Humanisten bilden nur einen Bruchteil der Gesellschaft. Was die GBS sich als Ziel gesetzt hat, ist die Arbeit als „Think-Tank“, eine Ethik des 21. Jahrhunderts zu entwickeln. Die Hauptaufgabe, so wie ich sie sehe, besteht darin, Menschen, die ähnlich denken, zusammenzubringen. Die meisten Humanisten sind recht gebildet und an neuen Ideen interessiert. Unglücklicherweise gibt es meiner Ansicht nach keinen Politiker, der sich öffentlich zum Humanismus bekennt. Es ist offensichtlich leichter, Wählerstimmen zu gewinnen, indem man auf christliche Geschichte und christliche Werte in den Vordergrund stellt und es gibt nicht viele Menschen, die humanistische Werte als solche kennen.


Stuart: Daraus folgt, dass eine Aufgabe des Humanismus darin besteht, die Menschen im allgemeinen darüber zu informieren, dass man auch ohne religiösen Glauben ein guter Mensch sein kann, dass man sich selbst respektieren und sich auch ohne Gott ehrenwert verhalten kann

Rapsch: Ich hätte es selbst nicht besser ausdrücken können: Das ist definitiv der Fall. Das Interessante daran ist, dass die große Mehrheit in Berlin das bereits verstanden hat ohne sich darüber im Klaren zu sein. Erst letztes Jahr gab es eine Abstimmung über Religionsunterricht in Schulen, in der Leute gebeten wurden, darüber zu entscheiden, ob Religionsunterricht verbindlich sein sollte oder nicht. Der Lehrplan beinhaltete bereits Ethik und man sollte zwischen evangelischen, katholischen oder muslimischen Unterricht und Ethik wählen können. Der Antrag, dass Religionsunterricht verbindlich sein sollte wurde von den Kirchen gestellt.


Stuart: War die Abstimmung etwas, dass wir ein Referendum nennen, also verbindlich für die Regierung oder handelte es sich um eine Empfehlung für die Regierung, wie sie handeln sollte?

Rapsch: Sie wäre verbindlich für die Regierung gewesen. Eine Volksabstimmung war etwas sehr Neues für Deutschland und Berlin, denn man war bisher nicht in der Lage gewesen, Entscheidungen direkt beeinflussen zu können. Es wurden viele Leute benötigt, die eine Petition unterschreiben mussten um die Volksabstimmung durchführen zu können, im Falle Berlins so ungefähr 300.000, und diese Zahl wurde auch erreicht. Als dann die Volksabstimmung tatsächlich durchgeführt wurde und die Leute tatsächlich abstimmten, na ja, von da an ging es bergab für die Kirche. Die Menschen informierten sich darüber, was die Kirche tatsächlich unter dem Begriff Religionsunterricht verstand und meinten: „Nein, SO wollen wir das nicht, es stimmt nicht, dass Werte Gott benötigen“. Dies war eines der Schlagworte, die die Kirche benutzte: „Werte brauchen Gott“ und damit Leute, die eben nicht an Gott glauben beinahe zu Kriminellen stempelte. Dies war einer der Gründe, die Leute dazu brachten, mit „Nein“ zu stimmen.
Ethikunterricht wird also weiterhin durchgeführt und kann nicht abgewählt werden, indem man ihn durch Religionsunterricht ersetzt. Die Gründe für die Einführung des Ethikunterrichts war übrigens ein so genannter „Ehrenmord“, bei dem ein Mädchen von ihren Brüdern getötet wurde, weil diese der Ansicht waren, sie hätte die Familie entehrt.

Stuart Ich glaube, es gibt einen derartigen Fall nicht in Australien, zumindest keiner, der mir bekannt wäre. Aber das ist natürlich eine Bedrohung und ich hoffe wir sind in der Lage, angemessen darauf zu reagieren. Was wir bisher getan haben, ist die Beschneidung von Mädchen absolut illegal zu machen. Es ist zumindest ein Schritt gegen die Scharia oder wogegen auch immer.

Rapsch: In diesem Zusammenhang ist es vielleicht interessant zu erfahren, dass es in Deutschland sehr populär ist, Kinder aus der Dritten Welt virtuell zu adoptieren indem man sie durch regelmäßige Geldüberweisungen unterstützt, die primär für die Ausbildung des Kindes gedacht sind, welches Afrika oder Bangladesch oder wo auch immer bleibt. Die überwältigende Mehrheit der Menschen, die sich für dafür interessieren, sind sich jedoch nicht darüber im Klaren, dass keine der Organisationen, die diese Adoptionsform anbietet, sich gegen weibliche Beschneidungen aussprechen, dies würde als Post-Imperialistische Einmischung betrachtet.


Stuart: Aber dies findet in deren eigenem Land statt, ich sprach hingegen über Dinge, die in diesem Land geschehen.