Zunehmende Segregation als Ergebnis der privaten Schulen
Das größte Defizit der privaten Schulen ist jedoch, dass sie die Ausgrenzung zum Programm machen. Wenn gute Erziehung ein Menschenrecht und Garant für die Demokratie ist, dann müssen alle gleichermaßen darauf zugreifen können. Vorausgesetzt, die privaten Schulen hätten eine bessere Qualität, dann geht das nicht, wenn dort Schulgeld gezahlt wird. D. h., nur Eltern, die es sich leisten können, können sich eine Schule für ihr Kind auswählen, die ihrer Vorstellung von guter Bildung entspricht und wo z. B. das Prinzip der Selbstbestimmung noch hoch gehalten wird. Je schlechter die Rahmenbedingungen an öffentlichen Schulen werden, je mehr das öffentliche Schulsystem im Rahmen der sogenannten Finanzkrise kaputt gespart wird, umso mehr boomen die Privatschulen und die damit gepaart gehende Gefahr der Segregation. Wie sollten Harz IV Empfänger ihre Kinder auf private Schulen schicken, wenn das Schulgeld manchmal die Höhe ihres Regelsatzes übersteigt? Die soziale Herkunft bestimmt daher den Bildungsweg auch weiterhin. Für Kinder aus Arbeiter- und Migrantenfamilien bedeutet das die Reproduktion des Lebensweges ihrer Eltern, der oft in einer Sackgasse mündet. Es werden Ghettos von gutverdienender Elite und von deklassierter Überbevölkerung geschaffen und reproduziert.
Und auch wenn es alternative private Schulen gibt, die sich das Erziehungsprinzip der Selbstbestimmung leisten können, bleiben sie gefangen in dem Widerspruch zwischen prinzipieller Erziehungsaufgabe und sozialer Wirklichkeit, zwischen selbstständig definiertem Erziehungsmodell und finanzieller Abhängigkeit bzw. Schulgeld. Diese widersprüchliche Achillesferse der privaten Schulen macht auch sie zu einem Exekutor der sozialen Segregation, der de facto die Realisierung des Selbstbestimmungsprinzips in erweitertem Sinne verhindert.
Und auch wenn diese alternativen Schulen die Frage des Schulgeldes irgendwie lösen, bleibt das Problem der Auswahlkriterien der Eltern. Trotz aller Unterschiede in der pädagogischen Konzeption und bei den Kosten sind vorrangig die konkreten Präferenzen der Eltern für private Schulen relevant. Entscheidend ist dabei nicht immer primär das Einkommen. Ausschlaggebend sei vielmehr, so eine Studie des DIW, die berufliche Stellung und die Bildung der Eltern. 12,4 Prozent aller Eltern mit Abitur entscheiden sich für die Privatschule, aber lediglich 4,8 Prozent der Mütter und Väter, die keinen oder einen niedrigen Schulabschluss haben, treffen diese Wahl.
Der aus Sicht dieser Eltern entscheidende Vorzug der privaten Schulen ist aber, dass sie ihre Schülerinnen und Schüler in einem mehr (kostenpflichtige Privatschulen) oder minder (konfessionelle Gymnasien) großen Umfang anhand selbstbestimmter Kriterien auswählen können. Das bedeutet fast immer eine soziale Selektion zugunsten bildungsstarker Bevölkerungsteile, vor allem aus dem Akademikermilieu. Damit können sie aus Sicht der Eltern zum einen ein höheres Leistungsniveau, zum anderen ein von sozialen und ethnischen Problemen weit weniger belastetes schulisches Umfeld bieten. Und das bevorzugt kaum das Modell der Selbstbestimmung in sozial heterogenen Klassen. Um so mehr, da 40 bis 50 Prozent der Eltern der privaten Schüler eine fachlich gute, straff organisierte Schule wollen, wie sie sie selbst hatten und eine nur kleine Gruppe dagegen eine reformpädagogische Schule will.
Das heißt, diese Vorselektion verhindert fast von vornherein die Selbstbestimmung als pädagogisches Modell, sperrt gerade die für die demokratische Selbstbestimmung besonders infrage kommenden Bevölkerungsschichten völlig aus: Kinder von arbeitslosen, minderverdienenden und allochtonen Eltern. Ergo: Es sind vor allem die Sprösslinge der bildungsnahen Mittelschicht, die an evangelischen Gymnasien, Waldorf-, Montessori-Einrichtungen oder auch reformpädagogischen freien Schulen lernen. Kinder, deren Eltern sich vom sozialen und ethnischen Wandel besonders bedroht fühlen.
Die Lösung liegt bei den öffentlichen Schulen
Die Lösung des Problems kann nicht in einer Verschärfung des Gegeneinanders von staatlichen und privaten Schulen liegen. Dort, wo angebracht, ist ein gesunder Mix opportun. Sie kann aber auch nicht eine weitere Forcierung des Booms der Privaten sein.
Zwar leisten sehr viele Schulen in freier Trägerschaft, wie der Beitrag von Theresa Siess es anschaulich darstellt, eine engagierte und gute Arbeit und sind mit dem selbstbestimmten Erziehungsmodell ein Vorbild. Und einige Dachvereine von privaten Bildungsträgern beginnen sich inzwischen auch von der Profitmacherei in gewinnorientiert arbeitenden Privatschulen zu distanzieren. Man darf daher, indem allgemein der Begriff Privatschulen benutzt wird, nicht alle über den gleichen Leisten brechen. Aber die prinzipielle Achillesferse und die Gefahr der Segregation können auch sie nicht beseitigen.
Besser wäre es, sich für die Verwirklichung der Selbstbestimmung in den öffentlichen Schulen einzusetzen, um so die Selbstbestimmung als Recht für allen zu verwirklichen. Das verlangt jedoch eine Bildungspolitik, die Teil einer konsistent auf Selbstbestimmung ausgerichteten Sozialpolitik zu sein hat. Staatliche Schulen müssen sich oft mit einer schwierigen sozialen Klientel auseinandersetzen. Das macht es schwer, eine gute staatliche Reformschule auf den Weg zu bringen, aber bei abgestimmten Politiken nicht unmöglich. Entscheidend sind dann noch das richtige Konzept, motivierte Lehrkräfte sowie gute Lern- und Lehrbedingungen. In Berlin gibt es eine Reihe öffentliche Schulen, die Letzteres auch im Sinne der Selbstbestimmung bereits erfolgreich praktizieren und die man auch mal ins Licht setzen könnte.
R. Mondelaers
Anmerkungen
(1) Bildungsfinanzbericht 2009
(2) Statistisches Bundesamt: Private Schulen – Schuljahr 2006/2007 – Fachserie 11, Reihe 1.1 (2006/2007)