Wie berichtet, kam es aus parteitaktischen Gründen nicht mehr zu einer Abstimmung im Parlament über eine Neuregelung von Paragraf 218 StGB. Am 10. Februar stand jedoch die "Neuregelungen zu Schwangerschaftsabbrüchen" auf der Tagesordnung des Rechtsausschusses und damit der zugrundeliegende Gesetzentwurf von Carmen Wegge (SPD), Ulle Schauws (Grüne) und anderen. In der dreistündigen Anhörung stieß er bei den von der Union einerseits und von SPD und Grünen andererseits bestellten Sachverständigen auf ein sehr gemischtes Echo. Wären daraus Schlüsse zu ziehen, wie es künftig weitergehen könnte?
Hilfreich dürfte sein, die jeweiligen Argumentationsstränge in der Anhörung nachzuvollziehen und zu analysieren, um sich für die Auseinandersetzung unter einer CDU-geführten Bundesregierung zu wappnen. Letztendlich kommt es aber auf die Zusammensetzung des neuen Bundestags an.
CDU-Experte bezweifelt Ergebnisse der ELSA-Studie
Unter den elf geladenen Expert:innen waren gut die Hälfte Universitätsprofessor:innen. Ausgewiesene Kirchenvertreter:innen gehören inzwischen üblicherweise nicht mehr dazu.
Im Folgenden ging es zunächst um die zentrale Frage einer prekären Versorgungslage und Stigmatisierungserfahrungen von ungewollt Schwangeren – die ja eine Neuregelung dringend rechtfertigen. Die Ergebnisse wurden in einer Stellungnahme des Teams der "ELSA-Studie" und mündlich von deren Mitarbeiterin Rona Torenz auf Ladung der SPD vorgestellt. Als Ergebnis ihrer Studie, so Torenz, gibt es unter 400 Landkreisen 85, in denen nicht innerhalb von 40 Autominuten eine Einrichtung zu erreichen ist, die Abbrüche vornimmt. In Bayern würden 2,5 Millionen Menschen (rund 19 Prozent) außerhalb dieser Erreichbarkeit wohnen. Grundsätzlich sei die Situation im Südwesten bedeutend schlechter als im Nordosten. "Aus der ELSA-Befragung wissen wir auch", fuhr Torenz fort, "dass eine hohe große Zahl von Betroffenen Stigmatisierungen erfährt." Dies stehe "in einem deutlichen Zusammenhang mit einem geringeren psychischen Wohlbefinden nach dem Schwangerschaftsabbruch" – begleitet von Scham- und Schuldgefühlen. Daneben sei "auch ein Großteil der Ärztinnen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, von Stigmatisierung betroffen."
Die bestehende "Rechtswidrigkeit des indikationslosen Schwangerschaftsabbruchs" wirke sich jedenfalls negativ aus – völlig ungeachtet dessen, dass es jahrzehntelang so gut wie "keine Verurteilungen nach Paragraf 218 StGB gibt". Eine zukünftige Rechtmäßigkeit könne zudem Abhilfe dafür schaffen, dass derzeit Eingriffe für einen Schwangerschaftsabbruch nicht regulär von den Krankenkassen bezahlt werden: "Stattdessen können und müssen ungewollt Schwangere mit niedrigem Einkommen einen gesonderten Antrag auf Kostenübernahme durch die Länder stellen", so Torenz.
Unerwartet wurden einige Aussagen des Forschungsprojektes ELSA in einer zwölfseitigen Gegendarstellung mit fachärztlicher Expertise teils bezweifelt. Autor ist der von der CDU einberufene Prof. Matthias David, Gynäkologe und geschäftsführender Oberarzt an der Charité. Er ist Koordinator für die aktuelle Leitlinie zum Schwangerschaftsabbruch der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe, einer renommierten Fachgesellschaft mit rund 10.000 Mitgliedern. David stellte sich im Rechtsausschuss vor mit den Worten: "Sehr geehrte Damen und Herren. Ich führe Schwangerschaftsabbrüche durch. Ich wirke an Schwangerschaftsabbrüchen mit, und ich bilde junge Kolleginnen und Kollegen im Schwangerschaftsabbruch aus." Hinweise auf eine Verschlechterung der Versorgungslage gebe die Datenlage von ELSA nicht überzeugend her und das Erreichbarkeitskriterium von 40 Autominuten sei hinterfragbar, trug David vor.
Wie eigene Untersuchungen erbracht hätten, "nimmt die Häufigkeit medikamentös durchgeführter Schwangerschaftsabbrüche zu und somit die der operativen entsprechend ab." Bei den stationär durchgeführten Schwangerschaftsabbrüchen würden in den allermeisten Fällen "gesunde Frauen – respektive keine Krankheiten – behandelt und werden gesunde Embryos beseitigt." Er sei nicht stolz darauf, achte aber voll und ganz die Selbstbestimmung der Frauen. Noch nie habe er sich dabei gefragt, "ob ich gerade eine strafbare Handlung durchführe oder eine rechtswidrige, aber straffreie."
Stellungnahmen von Vereinsvertreterinnen
Alicia Baier, in der gynäkologischen Weiterbildung tätige Ärztin und Vorstandsmitglied von Doctors for Choice Germany, versteht sich als feministische Aktivistin. Sie betonte die Evidenzbasiertheit des Gesetzentwurfs, der nunmehr im "Schwangerschaftskonfliktgesetz" (SchwKG) statt im Strafgesetzbuch geregelt werden sollte1. Es sei vielfach wissenschaftlich belegt worden, dass durch eine Legalisierung Abbrüche nicht häufiger, sondern – wie ja wünschenswert – früher stattfinden würden. "Zudem verbessert der Gesetzentwurf die Arbeitsbedingung der durchführenden Ärztinnen und Ärzte und legt die Basis, dass Schwangerschaftsabbrüche in die medizinische Aus- und Weiterbildung integriert werden können", sagte sie.
In ihrer schriftlichen Stellungnahme meldet sie jedoch teils grundsätzlichen Änderungsbedarf am Gesetzentwurf an: So wäre laut Baier unbedingt "auf strafrechtliche Sanktionen für Ärzt:innen im eingefügten Paragraf 14 SchwKG zu verzichten", die dorthin aus dem Strafgesetzbuch übernommen worden sind. Zudem wäre die kriminologische Indikation bei Spätabbrüchen zu entfristen, denn es sollte "die Fortführung einer durch Gewalt entstandenen Schwangerschaft zu keinem Zeitpunkt der Schwangerschaft erzwungen sein." Im Sinne aller ungewollt Schwangeren müsse zudem auf die Pflichtberatung während der ersten zwölf Wochen verzichtet werden – die ebenfalls mit ins SchwKG hinein verschoben worden ist. Zudem macht Baier eine Reihe fachmedizinischer Änderungsvorschläge wie etwa: Es sollte ergänzt werden, "dass die Vakuumaspiration und der medikamentöse Schwangerschaftsabbruch in die gynäkologische Muster-Weiterbildungsordnung eingefügt" werden.
Beate von Miquel, Vorsitzende des Deutschen Frauenrats, empörte sich im Nachgang zur Rechtsausschussanhörung, das Scheitern des Gruppenantrags zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen sei "ein schwerer Schlag für Frauen und ihre körperliche Selbstbestimmung". Im Rechtsausschuss hatte sie argumentiert: "Der für die UN-Frauenrechtskonvention zuständige CEDAW-Ausschuss betont immer wieder, dass die Kriminalisierung und die Verzögerung sicherer Abbrüche als eine Verletzung von Frauenrechten gewertet werden kann." Alles sei nun "wirklich ausreichend diskutiert worden" und ein Gesetz endgültig abstimmungsreif.
Stellungnahmen der beiden von SPD und Grünen benannten Juristinnen
Zustimmend äußerte sich die Expertin für Öffentliches Recht und Sozialrecht Prof. Frauke Brosius-Gersdorf von der Universität Potsdam zum Reformentwurf, der aus ihrer Sicht verfassungsrechtlich zulässig ist. Denn der Gesetzgeber sei bei einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs nicht an die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden, sondern dürfe eine eigene verfassungsrechtliche Neubewertung vornehmen. In ihrer schriftlichen Stellungnahme heißt es: "Die geltenden Strafvorschriften zum Schwangerschaftsabbruch (§§ 218 ff. StGB) sind maßgeblich geprägt durch zwei Urteile des Bundesverfassungsgerichts vom 25. Februar 1975 und vom 28. Mai 1993." Diesen liege die gleichlautende Feststellung zugrunde, es würde für den Embryo wie auch den entwickelten Fetus "die Menschenwürdegarantie (Art. 1 Abs. 1 GG) ohne Schutzabstufung gelten". Das Bundesverfassungsgericht habe damit entschieden, dass ein Abbruch "grundsätzlich für die gesamte Dauer der Schwangerschaft rechtswidrig – wenngleich nicht zwingend strafbar – ist und Ausnahmen nur bei Unzumutbarkeit der Fortsetzung der Schwangerschaft wie der medizinischen, der kriminologischen und der embryo- beziehungsweise fetopathischen Indikation gelten."
In der Anhörung vertrat Brosius-Gersdorf mündlich die Auffassung: "In der Gegenüberstellung und Gewichtung mit den Grundrechten der Schwangeren tritt das Lebensrecht des Embryos in der Frühphase der Schwangerschaft aber zurück." (Bezeichnend: Ein solches "Stufenmodell" war der Hauptangriffspunkt eines von der AfD benannten Abtreibungsgegners und des entschiedensten "Lebensschutzvertreters" bei der Anhörung.)
Als zweite (von den Grünen geladene) Juristin äußerte sich Prof. Liane Wörner, Expertin für Strafrechtsvergleichung und Medizinstrafrecht von der Universität Konstanz, positiv zur notwendigen Reform. Wörner war auch Mitglied der von der Bundesregierung eingesetzten "Kommission zur reproduktiven Selbstbestimmung und Fortpflanzungsmedizin". Sie sprach einen radikalen Perspektivenwechsel an, der im zur Debatte stehenden Gesetzentwurf deutlich würde: Genau umgekehrt zur bisherige Kriminalisierung bedürfe es nunmehr des Strafrechtsparagrafen 218 "zum Schutz der Schwangeren vor nicht selbstbestimmten Schwangerschaftsabbrüchen gegen oder ohne ihren Willen sowie zum Schutz vor der Nötigung gleichermaßen zum Abbruch wie zu dessen Unterlassung." Als Strafmaß also bei einer Nötigung (wie immer diese definiert sei) auch den Abbruch nicht durchführen zu lassen, hat der Gesetzentwurf ein Strafmaß von sogar 10 Jahren Gefängnis vorgesehen.
Von der CDU und FDP benannte Jurist:innen gegen den Reformvorschlag
Einer Verfassungsmäßigkeit hielten die vier von der CDU sowie der FDP vorgeschlagenen juristischen Lehrstuhlinhaber:innen teils massiv und teils moderat entgegen: Die Leitentscheidungen des Bundesverfassungsgerichts seien nicht durch Standards internationaler Entwicklungen überholt oder über die Jahre veraltet. Jedenfalls dürfe über sie nicht einfach "nonchalant" hinweggegangen werden. Die derzeitige Rechtslage sichere zudem hinreichend Straffreiheit für Schwangerschaftsabbrüche zu, was die jährlich rund 100.000 legalen Fälle belegten.
Kritisch bewertet wurde die gängige frauenrechtliche Aussage, die sich wie folgt auch im Begründungstext des gescheiterten Gesetzentwurfs findet: "Die aktuelle Rechtslage in Deutschland widerspricht Vorgaben und Standards des internationalen Rechts". Kritisiert wurde daran die mangelnde Präzisierung, was damit eigentlich gemeint sei (Vollständige "Entkriminalisierung" durch Abschaffung einer entmündigenden Beratungspflicht und verzögernden dreitägigen Bedenkfrist?). Deutschland sei zwar dazu angehalten, europa- und völkerrechtliche Vorgaben des Menschen- und Frauenrechtsschutzes bei der Auslegung der Grundrechte zu berücksichtigen. Eine deutliche Grenze, Empfehlungen umzusetzen, sei allerdings stets das nationale Verfassungsrecht.
Besonders scharf kritisierte Prof. Gregor Thüsing, Sozial-, Arbeits- und Kirchenrechtler von der Universität Bonn, den Gesetzentwurf. Mit ihm werde eine "Brandmauer" eingerissen. Aus seiner moralischen Sicht sei der Entwurf "mitnichten minimalinvasiv oder ausgewogen", sondern senke "radikal" den Schutz "des sich als Mensch entwickelnden Lebens", so Thüsing.
Demgegenüber befand Prof. Karsten Gaede (von der FDP benannt), Medizin- und Strafrechtler von der Bucerius Law School in Hamburg: Das Bundesverfassungsgericht habe unterstellt, dass der Körper der Schwangeren prinzipiell "fremdnützig zur Erfüllung von Schutzzielen verfügbar und eine Austragungspflicht damit grundsätzlich zumutbar sei". Jedoch sei eine Pflicht zur Austragung der "dauerhaft identitätsprägenden und den Körper fundamental umwandelnden Schwangerschaft" zumindest in der Frühphase nicht begründet, resümierte Gaede.
Der Gesetzentwurf sei rechtspolitisch verfehlt, urteilte Prof. Michael Kubiciel, Experte für Europäisches und internationales Recht von der Universität Augsburg. Er verändere die Rechtslage für Ärzte nicht, da diese ja schon im Sinne der bestehenden Rechtsordnung "beratene und indizierte Abbrüche" legal vornehmen könnten. Die Abschaffung der obligatorischen Bedenkzeit von drei Tagen widerspreche dem eigentlichen Selbstbestimmungszweck, gegebenenfalls neue Aspekte nach erfolgter Beratung zu reflektieren und sei zudem auch nicht erforderlich, um rechtzeitig einen Abbruch vornehmen lassen zu können.
Für die (ebenfalls von der FDP benannte) Prof. Frauke Rostalski, Rechtsphilosophin von der Universität zu Köln, gibt es keine Veranlassung dafür, an der geltenden Rechtslage zu rütteln. Weder empirisch noch normativ habe sich in Sachen Schwangerschaftsabbruch etwas geändert, "das nicht bereits ausführlich durch das Bundesverfassungsgericht in dessen Entscheidungen einbezogen wurde", sagte sie. Es wäre an der Zeit – "anstatt immer wieder die alte Frage der Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen zu diskutieren" – die Selbstbestimmung Schwangerer "durch tatsächlich dazu geeignete Maßnahmen" zu fördern. Hierzu bedürfe es "eines gesellschaftlichen Umdenkens und der ernstlichen Bereitschaft, soziale Missstände zu beheben, die derzeit insbesondere Alleinerziehende und die Kinder einkommensschwacher Eltern betreffen."
Persönliches Fazit und Ausblick
In der Anhörung gegenüber standen sich die Aktivistin Dr. Alicia Baier vom feministisch orientierten Verein Doctors for Choice Germany (knapp 300 Mitglieder) und der Professor "alter Schule" Prof. Matthias David von der – in politischen Gremien hochgeschätzten – über 10.000 Mitglieder starken Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe. Baier machte deutlich, dass es gegenüber dem jetzt gescheiterten Gesetzentwurf Änderungsbedarfe gibt, die ganz konkret die Ärzteschaft betreffen. Diese ist durchaus unschlüssig und müsste als Bündnispartner gewonnen werden, etwa durch verbesserte Kommunikation mit Verbänden wie dem Bundesverband der Frauenärzte, der Deutschen Gesellschaft für psychosomatische Frauenheilkunde und Geburtshilfe, dem Deutschen Ärztinnenbund sowie dem Hausärztinnen- und Hausärzteverband.
Wie immer bei "Ethikfragen" wird es im Bundestag erneut um Gruppenanträge von Abgeordneten ohne sogenannten "Fraktionszwang" gehen. Dazu bedarf es langwieriger und intensiver Gespräche über Parteigrenzen hinweg mit prinzipiell veränderungsbereiten Kolleg:innen. Zwar will die Union am Status Quo des Paragrafen 218 als eines "bewährten Kompromisses" festhalten (und die AfD ihn noch verschärfen). Aber es wird nicht auf die Regierungsmehrheit ankommen. Deshalb sollten SPD oder Grüne als mögliche Partner bei Koalitionsverhandlungen vereinbaren, dass zum emanzipatorischen Thema Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen nichts miteinander festzulegen ist, sondern dass auf dem Weg von Parlamentsinitiativen (dann ja mit den Linken und ggf. mit der FDP) Raum für eine überzeugende Mehrheitsbildung geöffnet werden soll.
Hinweis: Alle Zitate, sofern nicht gesondert ausgewiesen, sind dem stenographischen Protokoll der Anhörung vom 10.02.2025 entnommen.

1 Dieser Satz wurde am 19.02.2025 um 19 Uhr präzisiert.