Diskriminierende Finanzierung eines privaten Booms
Die staatliche Finanzierung deckt zwar in Regelfall etwa „nur“ 75 bis 94 Prozent der Lehrergehälter ab und den Unterhalt für das Gebäude, die Reinigung, die Verwaltung etc. müssen die Eltern aus eigener Tasche bestreiten, aber die staatlichen Zuschüsse sind trotzdem erheblich. Trotz ständigen Rückgangs der Gesamtbildungsausgaben (öffentlich und privat) gemessen an ihrem Anteil am Bruttoinlandsprodukt gab es jedoch fast eine Verdoppelung der Subventionen der Länder an die privaten Schulen zwischen 1995 und 2006 (2,406 zu 3,972 Milliarden Euro). Noch bemerkenswerter ist das Verhältnis der Zuschüsse pro Schüler in den privaten und in den öffentlichen Schulen.
Zuschüsse 2006 pro Schüler in privaten Schulen in Euro: 4.800 (Bayern 5.800, Baden-Württemberg 5.400, NRW 5000).
Zuschüsse 2006 pro Schüler in öffentlichen Schulen in Euro: 4.900 (Bayern 5.000, Baden-Württemberg 5.000, NRW 4.500). (1)
D. h., im Durchschnitt zahlt der Staat nur 100 Euro mehr für SEINE Schüler als für die privaten Schüler. Bei den Spitzenreitern der privaten Finanzierung bekommen die Schüler der öffentlichen Schulen sogar weniger. Ergo, kostenmäßig hat auch hier die Privatisierung keine Vorteile aufzuweisen. Und trotzdem verlangen die privaten Schulen noch Schulgeld: mal 50, 100 oder 200 Euro, aber, wie im Fall der Deutschen Landerziehungsheime z. B., auch 1.900 Euro oder noch höhere Monatsbeiträge (Zum Beispiel die Anmeldegebühr der „International school hannover region“ 2.500 Euro und 10.990 Euro pro Jahr in Klasse 11 oder 12).
Wenn vorerst in Deutschland noch nicht mit niederländischen oder belgischen Verhältnissen zu rechnen ist, boomt das private Bildungsgeschäft auf dieser sicheren Grundlage weiter. Der Anteil der Privatschulen liegt in diesen Ländern bei rund 70 bzw. 50 Prozent und das sind fast ausnahmslos kirchliche Schulen, was die Gefahr des aktuellen Trends in Deutschland verdeutlicht.
Immer mehr staatliche Schulen werden in Deutschland geschlossen. So wurden zum Beispiel in Sachsen im Zeitraum von 2000 bis 2005 einerseits 591 öffentliche Schulen geschlossen, die Zahl der Privatschulen stieg jedoch im gleichen Zeitraum um 54. Seit 1996 ist die Zahl privater Schulen unter den allgemeinbildenden Schulen von 2.200 auf über 5.000 gestiegen (13,7 % aller Schulen). Etwa
33 % davon unterstehen der evangelischen und katholischen Kirchen direkt. An den privaten Schulen werden jetzt mehr als sieben statt fünf Prozent der Schüler unterrichtet, eine Zunahme um 45 Prozent verglichen mit einem Rückgang um neun Prozent an den öffentlichen Schulen. Zu den privaten Schulen zählen sowohl konfessionell gebundene Gymnasien, die in diesem Bereich den Großteil der Privatschüler aufnehmen, als auch gemeinnützige Einrichtungen wie die Waldorfschulen.
Die Ursachen des Booms finden sich in die Remissionierungsbestrebungen der Kirchen, die komplettiert wird durch den Siegeszug der neoliberalen Deregulierung und Privatisierung. Im Rahmen der Kapitalüberakkumulation suchen die Finanziers nach neuen Kapitalanlagen und finden sie im Bildungswesen. Unterstützt durch den radikalen Abbau der öffentlichen Infrastrukturen wird das private Bildungssystem zur Profitquelle.
Symbol für die Profitorientierung des Privatisierungsbooms sind die Phorms Schulen bzw. – Kette. Bei denen wird versucht, Schulen wie gewinnträchtige Unternehmen zu führen. Damit sich die Profitvorstellungen rechnen, müssen Eltern je nach Einkommen ein Schulgeld zwischen 201 und 864 Euro zahlen. Inzwischen gründete Phorms eine ganze Firmengruppe: metaPhorms bietet Kurse für Lehr- und Führungskräfte. UniPhorms vertreibt Schulbekleidung. PerPhorms Management GmbH, eine Fondsgesellschaft die eine „attraktive feste Verzinsung“ anbietet. Zu den Aktionären der Phorms AG gehören u. a. die Manager Rolf Schmidt-Holtz (Sony) und Antonella Mei-Pochtler (Boston Consulting).
Aber der Boom hat auch noch andere Gründe. Die neoliberale Offensive braucht auch neue Denkstrukturen. Was die Aufklärung und die sozialen Bewegungen bzw. der Wohlfahrtsstaat im Kampf mit Kirchen und der Ideologie der sogenannten unsichtbaren Hand als Erziehungsziele aufgebaut haben, muss dafür beseitigt werden. Wegen der Profitorientierung werden Managementkonzepte aus der Privatwirtschaft als Erziehungsziele übernommen. Per Vertrag arbeiten Firmen und Schulen zusammen. Erklärtes Ziel ist, den Unterricht sogenannt „praxisnäher“ zu gestalten. Sponsoren und Werbung werden in die Schule geholt. Versteckt hinter angeblich gemeinnützigen Stiftungen, die in Wirklichkeit meistens Steuerhinterziehungsgebilde sind, wird die Ideologie des Neoliberalismus und des Kampfes gegen die Staatsquote (d. h. die öffentlichen Schulen) betrieben. Glänzendes Beispiel einer solchen Stiftung ist die Bertelsmann Stiftung.
Das Erziehungsprinzip der Selbstbestimmung hat hier keine Chance mehr. Im Gegenteil. Unter dem Einfluss eines wettbewerbs- und outputorientierten Steuerungsmodells verengen sich die Erziehungsziele und das Leistungsspektrum auf das, was als Output definiert ist: wirtschaftliche Effizienz. Schüler und Eltern werden zu Kunden, Schulen zu Bildungsunternehmen, die eine vorab definierte Bildung als „Ware“ produzieren und vermarkten. Dieses neue Verständnis von Bildung unterschlägt, dass es beim Lernen auch darum geht, sich selbst und sein Können zu entdecken, sich selbst zu bestimmen.
Sind die privaten Schulen effizienter?
Verteidiger der privat geführten Schulen behaupten, dass wegen der oben angedeuteten Managmentprinzipien des Wettbewerbs, der Eigeninitiative und des unternehmerischen Denkens, diese effizienter als staatliche Schulen arbeiten. Schulen in freier Trägerschaft sind nämlich Wirtschaftsbetriebe, die auf die Zufriedenheit von „Kunden“ angewiesen sind. Privatschulen stellen ihr Lehrpersonal selbst ein und können sich so diejenigen LehrerInnen aussuchen, die zu ihrem Schulkonzept am besten passen.
Das Statistische Bundesamt hat die Situation untersucht und kommt zu interessanten Ergebnissen. (2)
- Die Klassengröße ist in beiden Schulformen fast immer identisch, beziehungsweise unterscheidet sich nur um einen Schüler.
- Die Erfolgsquote von Schülerinnen und Schülern in Bezug auf den Bildungsabschluss ist in öffentlichen Schulen und Privatschulen nahezu gleich.
- Nur 3,9 % aller ausländischen Kinder besuchen Privatschulen.
Berücksichtigt man dann noch die unterschiedliche soziale Herkunft der Schüler, schmilzt der Leistungsvorsprung der Privaten völlig dahin. Zusätzliche Privatschulen zu gründen, sei deshalb eine wenig aussichtsreiche Politik, um das Bildungsproblem in den Griff zu bekommen. Das bedeutet nicht, dass in den öffentlichen Schulen alles gut läuft. Im Gegenteil, gerade in Bezug zu der Anwendung des Prinzips der Selbstbestimmung liegt vieles im Argen und wird oft übermäßig verwaltet. Das liegt aber nicht an den Schulen und LehrerInnen, sondern an den Rahmenbedingungen des staatlichen Bildungswesens.
Aktuelle Studien ziehen auch für die manchmal als leuchtendes Vorbild erfolgreicher Privatisierung angegebenen Länder Schweden und die Niederlande ein ernüchterndes Resümee ihres Leistungsniveaus. Hinzu kommt, dass dort die soziale, ethnische und leistungsmäßige Segregation der Schülerschaft zugenommen hat. Beispiele anderer Länder zeigen Ähnliches. Vielfach verbesserten sich zwar die gemessenen Schülerleistungen durch Wettbewerb und Outputsteuerung. Aber eine nachhaltige Qualitätsentwicklung des ganzen Systems konnte nicht erreicht werden.