(hpd) Stephen Hawking ist als genialer Astrophysiker und Buchautor weltweit bekannt. Seine allgemeinverständlichen Bücher „Eine kurze Geschichte der Zeit“ und „Das Universum in der Nussschale“ waren Bestseller. Falls die nach ihm benannte „Hawking-Strahlung“ von Schwarzen Löchern noch zu seinen Lebzeiten experimentell bestätigt werden sollte, würde er sicherlich sofort den Nobelpreis für Physik bekommen.
Mit seinem neuen Buch, das er zusammen mit dem Physiker Leonard Mlodinow verfasst hat, geht er nun auf die zentralen Fragen unseres Weltbildes ein: Was ist Wirklichkeit, wie ist die Welt entstanden und was ist der Mensch?
Zum Realitätsbegriff zeigen die Autoren, dass alles, was wir über unsere Welt erfahren können, von unseren Sinnen abhängig ist und dass wir aus diesen Eindrücken in unseren Köpfen ein Modell der Welt, bzw. dessen was wir Realität nennen, erstellen. Außersinnliche bzw. spirituelle Erfahrungen sind Konstruktionen unseres Gehirns und haben mit der Außenwelt nicht viel zu tun. Unsere Vorstellungskraft ist an unsere Erfahrungen in der Alltagswelt gebunden.
Diese Alltagswelt ist bezüglich Zeit, Raum und Größenordnung aber nur ein winziger Ausschnitt der Wirklichkeit. Die Erfahrungen, dass alles einen zeitlichen Anfang und ein Ende hat und dass alles eine Ursache hat, lassen sich aber nicht ohne weiteres auf den Anfang und das Ende unserer Welt anwenden. Transzendenz führt in der Regel nicht zu Erkenntnissen über die Wirklichkeit, sondern sie kultiviert nur unsere Wunschvorstellungen. Es gibt keinen abbild- oder theorieunabhängigen Realitätsbegriff, sondern das, was man einen modellabhängigen Realismus nennen könnte. Nach diesem Realismus ist die Frage sinnlos, ob ein Modell real ist, entscheidend ist nur, ob es mit der Beobachtung übereinstimmt. Gibt es mehrere Modelle, die diesem Anspruch genügen, so ist das einfachere Modell, das mit möglichst wenigen Zusatzannahmen auskommt, zu bevorzugen.
Mystische bzw. religiöse Erklärungen verschieben das Problem auf irgendwelche Gespenster oder Gottheiten, die dann nicht weiter hinterfragt werden können. Insofern sind das keine guten Modelle. Die Wahrscheinlichkeit, dass z.B. die christliche Heilsgeschichte nahe an der Realität liegt, dürfte etwa so groß sein wie die der Harry Potter Geschichten. Die Ursache dafür, dass in nahezu allen Völkern Götter erfunden wurden, lag vor allem in der Unkenntnis der Naturgesetze. Der größte Feind der Religionen ist daher auch heute noch die naturwissenschaftliche Bildung. Im Gegensatz zur Meinung vieler Theologen lassen sich religiöser Hokuspokus und naturwissenschaftliche Erkenntnis eben nicht miteinander vereinbaren.
Antworten mit Hilfe der Naturwissenschaften
Während die Philosophie in ihrer mehrere tausend Jahre alten Geschichte kaum zu eindeutigen Antworten der grundlegenden Fragen unserer Existenz gelangt ist und sich möglichen Antworten auch kaum genähert hat, beantworten die Autoren die Fragen mit Hilfe der Naturwissenschaften. Diese Antworten können erst in unserer Zeit gegeben werden aufgrund der enormen Fortschritte in der Astrophysik, der Elementarteilchenphysik, der theoretischen Physik und auch der Hirnforschung. Mit der Superstringtheorie bzw. der übergeordneten M-Theorie haben wir zum ersten mal in der Menschheitsgeschichte eine Hypothese zur Hand, die in der Lage ist, eine Antwort auf die Frage zu geben, wie die Welt entstanden ist. Die Antwort ist, dass eine Quantenfluktuation bzw. der Zufall unsere Welt hat entstehen lassen, aber nicht nur unsere Version des Universums, sondern daneben auch noch 10exp(500), d.h. eine 1 mit fünfhundert Nullen, andere Versionen mit anderen Naturgesetzen und anderen Naturkonstanten. Nach dem starken anthropischen Prinzip ist damit auch die Frage beantwortet, warum die Naturgesetze und die Naturkonstanten genau so abgestimmt sind, dass in unserem Kosmos intelligentes Leben entstehen konnte. Weiterhin ist damit auch klar, dass es nichts jenseits von Zufall und Notwendigkeit gibt. Philosophische Phantasiebegriffe wie Seele, freier Wille, das Gute und das Böse sind Wunschvorstellungen, die keinen Bezug zur Wirklichkeit haben.
M-Theorie
Dennoch ist natürlich die M-Theorie kein Beweis gegen die Existenz eines Schöpfergottes, aber sie macht ihn als solchen völlig überflüssig. Kritiker könnten an dieser Stelle immerhin noch einwenden, dass die M-Theorie im Moment nicht mehr als eine physikalische Hypothese ist und von daher auch nur geglaubt werden kann. Aber auf der anderen Seite ist sie so ziemlich die einzige rationale Hypothese, die ohne Mystik die Entstehung unserer Welt erklären kann. Wer dies in Frage stellt, sollte eine bessere Hypothese vorstellen. Auch ist grundsätzlich nicht auszuschließen, dass wir in der nahen Zukunft Eigenschaften bzw. Vorhersagen der Theorie herausfinden, die experimentell bzw. durch Beobachtungen bestätigt oder widerlegt werden können. Auf eine objektive, experimentelle Bestätigung von irgendwelchen religiösen Schöpfungsgeschichten werden wir dagegen wohl vergeblich warten.
Auch die Frage „was ist der Mensch?“, beantworten die Autoren letztlich mit Hilfe der Naturwissenschaften (Seite 35): „Es ist schwer vorstellbar, wie sich der freie Wille Geltung verschaffen kann, wenn unser Verhalten von physikalischen Gesetzen bestimmt wird. Daher hat es den Anschein, dass wir lediglich biologische Maschinen sind und dass der freie Wille nur eine Illusion ist.“ Die Idee ist zwar nicht wirklich neu, denn schon um die Mitte des 18. Jahrhunderts hat der französische Philosoph Julien Offray de La Mettrie etwas scherzhaft formuliert: „der Mensch ist eine aufrecht kriechende Maschine“. Damals war das nicht mehr als eine kühne Behauptung, für die er verspottet und angefeindet wurde. Inzwischen aber bestätigen die Forschungsergebnisse der modernen Hirnforschung immer wieder aufs Neue, dass dieser Standpunkt die Realität am besten beschreibt.
Das entscheidende zusammenfassende Statement geben die Autoren eigentlich schon auf der ersten Textseite: „Die Philosophie ist tot“. Ich möchte nach der Lektüre des Buches noch hinzufügen: „…und die Theologie ist noch viel toter“.
Während das Buch für Physiker nicht allzu viel Neues bringt, ist es doch eine hervorragende, leicht verständliche Darstellung von möglichen Antworten auf die grundlegenden Fragen unsere Existenz. Gerade für Nichtphysiker und auch generell für Nichtnaturwissenschaftler ist es daher besonders lesenswert.
Bernd Vowinkel
Der große Entwurf: Eine neue Erklärung des Universums. Von Stephen Hawking & Leonard Mlodinow. Rowohlt; Auflage: 1. Aufl. (7. September 2010), 192 Seiten, Preis: 24,95 €