Ein Leitfaden zum Kopftuch-Verbot

f.  In Kairo hat das Kopftuch (Hijab), sich wieder durchgesetzt, aber noch ist diese Bewegung nicht sehr weit vorgedrungen. Viele fortschrittliche, besonders intellektuelle Frauen tragen keine Kopftücher (einschließlich der jordanischen Königin Rania). Selbst auf einer internationalen Website für Hochzeitskontakte gläubiger Muslime tragen unter Hunderten von Fotografien der Muslima nur rund 32% ein Kopftuch (www.moslima.com 'women's gallery"). Die Lufthostessen der Emirates Airlines und Qatar Airlines, aus muslimischen Länder also, tragen kein Kopftuch, Haar und Hals sind sichtbar. Sind sie dort rassistisch, intolerant oder islamophob?

Soheib Bencheickh, Großmufti von Marseille schrieb: "Si le voile empêche les femmes d'étudier et de travailler, qu'elles l'ôtent et qu'elles restent pudiques. L'islam n'est pas là pour pousser nos filles à l'ignorance ou au chômage". (Wenn der Schleier die Frauen daran hindert zu studieren und zu arbeiten, sollen sie ihn ablegen und keusch bleiben. Der Islam ist nicht da, um unsere Mädchen in die Dummheit oder die Arbeitslosigkeit zu treiben. N.d.Ü) Und schließlich erklärt der Botschafter von Marokko am 29. 09. 2009 in LeVif / L'Express : "Le voile n'est pas nécessairement islamique. Il est surtout l'expression d'une affirmation identitaire, conséquence d'un réel mal-être au sein de la société, en l'occurrence, au sein de la société belge. Les contenus qu'il véhicule s'avèrent très nombreux. Il faut donc relativiser cette notion de 'voile islamique'". (Der Schleier ist nicht notwendigerweise islamisch. Er ist vor allem der Ausdruck einer Identitätsbejahung, Konsequenz einer reellen Diskriminierung in der Gesellschaft, d. h. im Herzen der belgischen Gesellschaft. Die Formen, die sie hervorbringt, sind zahlreich. Man muss daher die Bedeutung dieses Begriffes „islamischer Schleier“ relativieren. N.d.Ü)

g. Schlussfolgerung.  
 
(1) Die Aussagen über Kleidung im Koran haben, sowohl bei den Islamgelehrten als auch in dem tatsächlichen Verhalten der Frauen, zu einer solchen großen Vielfalt der Interpretationen geführt, dass von einer klaren Regelung keine Rede sein kann. So ist es sehr schwierig auf sie zu verweisen um von einer Verletzung der Religionsfreiheit  sprechen zu können (siehe auch oben, "1. d. (3) (ii)).
 
(2) Obwohl der Gesichtsschleier (Niqab) und später das Kopftuch (Hijab) unbestreitbar von progressiven muslimischen Frauen viele Jahre lang als Symbol der Unterdrückung gesehen wurden, ist dass jetzt, vor allem im Westen, anscheinend weniger der Fall. Die meisten Muslima kennen ja die Geschichte der Frauen im Islam nicht, oder besser, durch irreführende Ausbildung haben sie darüber eine völlig falsche Vorstellung. Doch kann es ihnen nicht unbekannt sein, dass heute noch in vielen islamischen Ländern eine bestimmte Kleidung brutal erzwungen wird: Peitschenhiebe in Iran und Sudan, Schwefelsäure ins Gesicht in Algerien, Gewehrschüsse in Kaschmir, Brutalisierung in Afghanistan, Pakistan, etc. Diese Länder zeigen, dass der "Herr über das eigene Haupt" sicherlich keine islamische Tradition ist. Es ist überraschend, sogar schmerzhaft, dass Solidarität mit den Frauen, die wegen ihrer Kleidung misshandelt wurden und werden, unsere Muslima wenig berührt. Fragwürdige Textinterpretationen scheinen über die Sympathie mit dem Leiden ihrer muslimischen Schwester zu gehen.
 
(3) Unter Berücksichtigung der oben erwähnten Vielfalt, ist das Tragen des Hijabs vom al Amira Typ, mit dem Schwerpunkt auf das Bedecken von Hals und Haaren, ohne Zweifel ein Ausdruck und damit ein Symbol für eine fundamentalistische Auslegung des Korans und der Sunna: Man verweist wiederholt auf die gleichen Verse, mit der Auslegung, die frauenfeindliche islamische Gelehrten seit Jahrhunderten gegeben haben. Viele junge Muslima bei uns sind sich dieses Aspektes nicht bewusst: Man hat ihnen von Kindheit an diese Interpretation als normal dargestellt. Das Gleiche gilt übrigens auch für den Kreationismus, den viele als einen wesentlichen Bestandteil des Islams sehen. Die Hauptschuldigen sind so die Lehrer und Imame. Aber unser Verständnis und sogar Scheu vor dieser irregeleiteten Jugend sollte uns nicht daran hindern, sie mit der Wahrheit zu konfrontieren.
 
(4) Jeder hat das Recht fundamentalistisch zu sein – d. h. in einer traditionellen Lesart streng nach dem Buchstaben des Korans zu leben - aber wenn dieses offen gezeigt wird, entsteht der wachsende Verdacht, dass man auch die anderen Koranverse fundamentalistisch interpretiert. Diese Art von Textinterpretation führt dann zu der Annahme der Gehorsamspflicht der Frau gegenüber ihrem Mann, dem Recht des Mannes sie zu schlagen, dem Recht des Vaters über die Eheschließung der Tochter zu entscheiden, die Autorität des Bruders über seine Schwestern, die Akzeptanz von Kinderehen, die Abscheu vor der Homosexualität, die Negation der Shoah und die Ablehnung der Evolutionstheorie.
 
(5) Aus dieser Perspektive ist es offensichtlich, dass in Umgebungen, wo entschieden ein unaufdringlicher Umgang mit Andersdenkenden erwartet wird - wie in einem schulischen Umfeld oder bei Menschen, die Autoritätsfunktionen ausüben - solches radikale Verhalten unzulässig ist.