BERLIN. (hpd) Vom idealisierten Tier zum Tier als leidenden Wesen wandelt sich das Bild des Tieres in der Kunst vom 20. zum 21. Jahrhundert. Auch in der Kunst wird es zunehmend zum Subjekt. Das zeigt eine Ausstellung in Dortmund, in der es um Tiere und Menschen geht.
Es muss wohl eine Schnapslaune gewesen sein. Im katalanischen Cadaqué fragten sich Dieter Roth und sein britischer Künstlerkollege Richard Hamilton in den Siebzigern, wie wohl Bilder nicht von sondern für Hunde aussehen müssten. Was interessiert Hunde? Na klar, Würstchen, Laternenpfähle, Gummiknochen. Also malten die beiden Würstchen und immer wieder Würstchen. Schön mittig auf dem Teller. Übersichtliche, einfache Kompositionen. Auch einen kopflosen Hund dafür mit zwei Steißpartien, vorn und hinten, ein Dackel wohl, ebenfalls ziemlich wurstförmig. Gehängt wurden die Bilder in der Galerie Cadaqué in Augenhöhe der Hunde (die aber eher uninteressiert geblieben sein sollen). Zu sehen ist nun ein Teil der Bilder wieder in der Ausstellung “Arche Noah. Über Tiere und Menschen in der Kunst” im U des Museums am Ostwall in Dortmund. Ist´s Zufall, dass die beiden ihre künstlerischen Explorationen in derselben Sturm-und-Drang-Zeit machten, als auch Peter Singer mit seinem Buch “Animal Liberation” einen radikalen Perspektivwechsel einleitete? Vom Tier als Objekt zum Tier als Subjekt. Wohl kaum.
In der Kunst, zeigt die Ausstellung, war dies ein langer Weg. August Macke suchte im Zoo noch die Idylle. Für Franz Marc verkörperten die Tiere eine paradiesische Gegenwelt zum Menschen ohne Gewalt und Schuld. Herbert Mataré fand in der Nachkriegszeit in der Silhouette ruhender Rinder klare, sanfte Linien, eine Reinheit der Form, die geradezu meditative Qualitäten hat.
Heute sehen wir kaum noch Rinder auf den Wiesen. Bereits in den Achtzigern fotografierte der früh verstorbene Jörg Knoefel für eine große Rauminstallation mit dem Titel “Schlachthaus” sterbende blutüberströmte Schweine. Daneben werden Innereien von einem Mitarbeiter des Betriebs vom Boden aufgewischt. Eine behandschuhte Hand eines Fleischers stößt Metzgerhaken in bleiche Schwarten. Die Installation ist labyrinthartig. Der Betrachter kann den meist von unten aufgenommenen Bildern nicht entkommen. Wie sich Sterben anfühlt, wird visualisiert, bedrückend eindrucksvoll. Diese Arbeit war damals Kunst und Aktion in einem.
Kunst und Wissenschaft in einem sind bis heute die feinen Aquarellzeichnungen Cornelia Hesse-Honeggers, in denen sie seit den Achtzigern die Farb- und Formmutationen und Verkrüppelungen verschiedener Blattwanzenarten im Dunstkreis Tschernobyls dokumentiert. Die Künstlerin begann ihre berufliche Laufbahn als wissenschaftliche Zeichnerin.
Björn Braun beteiligt das Tier schließlich im 21. Jahrhundert am Entstehen von Kunst. Zeisigen legte er bunte Holzwolle, blau gefärbte Blätter und Kunststoffblumen in den Käfig. Die Vögel bauen oder überbauen damit ihr Nest, das so artifiziell im doppelten Sinne wird. Eine eher ästhetische Demonstration, gleich der von Carsten Höller, der für ein Video Liebesfinken Songs von Jimi Hendrix und italienische Volkslieder vorspielte, bis die Vögel sie nachahmten. Eine Reminiszenz an die Coburger Dompfaffen, denen ein Baron Ferdinand von Pernau im 18. Jahrhundert Liebeslieder andressierte, die von ihren Nachfahren noch heute gelegentlich zu vernehmen sein sollen.
Auch das Tierporträt bekommt im 21. Jahrhundert eine ganz neue Dimension. Frank Noelker fotografiert Menschenaffen, denen ein Leben in Tierlaboren ins Gesicht geschrieben steht. Mehr als jedes Pamphlet überzeugen Gabriele Muschels große Grafitzeichnungen der Gesichter von Menschenaffen, die sie zum Teil in Auswilderungsstationen in Afrika und Indonesien machte, vom subjektiven Blick auch der Tiere umgekehrt auf uns Menschen. Dem eigentlichen Faszinosum für uns Menschen im Umgang mit dem Tier. Es kann uns ansehen, unserem Blick entgegnen. Erhöht wird die Wirkung effektvoll durch die biedermeierlich ovalen Bildausschnitte.
Seit der Mensch zum Autor von Leben wurde, mit Klon-Schaf Dolly, und den Mitteln der digitalen Bildbearbeitung wird die reale Möglichkeit moderner Metamorphose Thema der Kunst. Das Serielle wird dementsprechend Gegenstand und künstlerische Methode bei Thomas Bayrle und Andreas Gursky in Film und Fotografie von Ochs und Schaf.
Glanzvoller Schlusspunkt der Ausstellung ist Christiane Möbius’ Installation “Auf dem Rücken der Tiere” aus den frühen Neunzigern. 14 ausgestopfte Tiere wie Wasserbüffel, Zebra, Flusspferd tragen ein großes plumpes Holzschiff, die “Arche Noah”. Rekurriert wird auf einen Mythos, der so alt ist wie die babylonische Kultur. Wie die Kreuzigungsgeschichte, in der in Deborah Sengels Skulptur und Zeichnungen ein Hahn an die Stelle von Jesus tritt, lässt neben der unmittelbaren emotionalen Betroffenheit auch sie die Frage aufkommen, warum gerade die Künstler als Gefolge der Tierrechtsbewegung, zu dem sie mittlerweile geworden sind, auf religiöse Mythen zurückgreifen. Auf jeden Fall beweisen sie auch die Wirkkraft der Mythen durch ihre Eingängigkeit. Wenn man nicht annehmen will, dass hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe erschlagen werden sollen. Oder benötigt die Moral den Mythos um anzukommen? Jedenfalls dann, wenn sie in der Kunst mit Bildern arbeitet. Vielleicht, es gilt aber auch, anders als etwa in der Fabel: Wenn hier das Tier in Rollen schlüpft, ist wirklich das Tier gemeint.
Museum Ostwall im Dortmunder U: “Arche Noah. Über Tier und Mensch in der Kunst”, Leonie Heygers Terrasse, 44137 Dortmund bis 11.4.2015.
Buch zur Ausstellung,142 S.,13 Euro zu beziehen über das Museum: info@dortmunder-u.de