BERLIN. (hpd) Am 29. April eröffnet das Haus der Kulturen der Welt die Ausstellung "Ape Culture/Kultur der Affen". 17 internationale Gegenwartskünstler haben sich eigens an diesem Thema abgearbeitet. Ausgangspunkt und Zentrum der Schau ist der Dokumentarfilm "Primate" von Frederick Wiseman aus dem Jahr 1974 über das Yerkes-Primatenforschungszentrum in Atlanta. Für sein Gesamtwerk wurde der Regisseur 2014 bei den Filmfestspielen in Venedig ausgezeichnet.
Welch monströse Apparate ersann man sich damals! Welch belanglose Fragen stellte man! Die Plastikstühle, in die die Schimpansen und Paviane eingeklemmt werden, gefesselt wie mutmaßliche Häretiker, gleichen Folterstühlen der Inquisition. Mitunter schauen nur ihre Köpfe durch eine dem Hals maßgerecht zugeschnittene Öffnung heraus wie die einer mittelalterlichen Lynchjustiz unterworfener Delinquenten. Und was wollte man wissen? Im beiläufigsten Tonfall legt ein Forscher mit Jimi-Hendrix-Frisur und gemütlichem Vollbart dar, in welchen Stellungen und wann und wie oft Gorillas miteinander kopulieren. Schimpansen lernen über eine Tastatur mit Bildern Sätze zu bilden wie “Lieber Computer, bitte gib mir Saft”, der ihnen dann über einen Getränkeautomaten im Käfig zugänglich wird. Der Zeitgeist der siebziger Jahre, denkt die Betrachterin resigniert. Doch das unfreiwillig Komische ist nur des Schrecklichen Anfang.
Nur wenige Momente bleiben der Orang-Mutter, sich ihren frischgeborenen Winzling spielerisch aufs Gesicht und um die Schultern zu legen, nur bis sie den Mutterkuchen verzehrt hat, dann geht es für ihn ab in die Frühchen-Kiste. Und sein Leben als Proband beginnt; Wie lange vermag er sich an der glatten gläsernen Kistenwand festzuklammern, ohne abzustürzen, dies der erste Versuch, dem er unterworfen wird.
Einem Pavian wird ein kastenähnlicher Aufbau auf den Schädel gehämmert, mit Elektroden, die mit Schraubstock und Millimetermaß in die Tiefe des Primatenhirns versenkt, das willenlose Tier wie einen aufgezogenen Automaten wieder und wieder ein Weibchen bespringen lassen. Immer dann, wenn ihn ein Elektroschock ereilt. Das Tier ein Automat, wie Descartes es dachte, das wird es hier erst in Menschenhand! Ein Totenkopfäffchen wird unter Betäubung vivisektiert, später sein Gehirn in Scheibchen tiefgefroren. Paviane sperrt man in eine rotierende Kiste, um ihre optische Orientierungsfähigkeit in einer Situation ähnlich der Schwerelosigkeit zu testen. Schließlich begeben die Wissenschaftler sich mit ihren Probanden in einem Düsenflugzeug der Air Force für Sekunden in eine Situation ohne Schwerkraft. Die Männer taumeln im Flugzeug in der Luft, haltlos schwebend. Mit dieser geradezu gleichnishaften Szene schließt der Film.
Wenn nichtmenschliche Affen hassen können, diese Insassen von Yerkes in ihren engen aneinandergereihten Käfigen ohne Boden unter den Füßen und ohne Kontakt zueinander, sie tun es. Wird wieder einmal einer von ihnen in einer Kiste zum nächsten Versuch abtransportiert, kriechen die Leidensgenossen nicht etwa in die hinterste Ecke ihrer Gitterzellen. Wutentbrannt werfen sie sich an die Gitter, schreien ohrenbetäubend. Ja, sie würden ihre Peiniger gewiss in Stücke reißen! Aber zeigen sie darin nicht immerhin mehr Mitgefühl und Solidarität als die Menschen, die ihnen all das ohne mit der Wimper zu zucken antun?
Wie sehr die Malträtierten wie wir sind, wird erschütternd offensichtlich beim Anblick eines Orang-Weibchens, dessen ganze rechte Leibhälfte man geschoren hat, um mit implantierten Sensoren ihre Motorik messen zu können. Um zu erfahren, wieweit sich die Muskelarbeit vom Oberkörper in die Hüften verlagert hat auf dem halben Weg der Evolution zum aufrechten Gang. Nun wippt, hüpft und schaukelt ein Forscher aufgedreht in der Hoffnung auf Nachahmung seitens des in eine lederne Zwangsjacke gekleideten Tiers, das er fest hinter sich her zerrt. Doch noch so viel spielerische Forscherneugier vermag das Bild des wehrlos gekrümmten Rückens, dieser Schulter, dieses Halses, dieser Oberarme, die so sehr den unseren gleichen, nicht mehr aus dem Sinn der Betrachterin des Films zu vertreiben.
Frederick Wiseman, Jurist und Universitätsprofessor im Brotberuf, stellt uns einmal mehr mit "Primate" eine geschlossene Einrichtung vor, ein sich selbst bestätigendes System mit Opfern und Tätern. Er berichtet nicht, erklärt nicht, kommentiert nicht. Richtet die Kamera nur ohne Schwenk und ohne Zoom auf das, was geschieht, frontal. Es gibt nur vertikale und horizontale Kamerafahrten, analog der Geraden der Käfiggitter und der Gänge und Flure. Bewegungen genau auf die Kamera zu oder von ihr weg. Wisemans Kamera weicht nicht aus. Von dem, was sie aufnimmt, gibt es kein Entkommen. So wenig wie für die eingeschlossenen Primaten, für die jede Lebensetappe nur eine weitere Station ist in dieser danteschen Hölle, ersonnen mit einer fast ungebrochenen faustischen Allmachtssehnsucht einer Sorte Primaten, für die es vorgeblich nur eine Macht gibt, die der Erkenntnis. Deren Motto: Messen ist Macht.
"Primate" hat ein fast 20 Jahre später entstandenes Pendant: "Zoo", diesmal in Farbe gedreht. Auch hier geht es um Tiere hinter Gittern. Auch hier hält Wiseman die menschliche Manie des Messens und Dokumentierens fest und scheut auch nicht blutige Szenen. Ein Nashorn, das den Mutterleib ohne zu Atem zu kommen verließ, wird akribisch zerlegt und fotografiert. Berührend in diesem Film ist aber auch die Tierärztin, die dieses Nashorn noch in einem letzten verzweifelten Versuch per Mund-zu-Mund-Beatmung zu retten versucht.
Frederick Wiseman: "Primate", DVD 103 Min. Zipporah-Films Cambridge Massachusetts 1974,
"Zoo" DVD 130 Min. Zipporah-Films Cambridge, Massachusetts 1993,
zu beziehen über www.zipporah.com, jeweils 29,95 $ für privaten Gebrauch, 400 $ für Schulen, 200 $ ehrenamtliche Vereine und Organisationen
Ausstellung "Ape Culture/Kultur der Affen", Haus der Kulturen der Welt, John-Forster-Dullas-Alle 10, 10557 Berlin, 30.04 – 06.07.2015