Aufruf zur Verteidigung der öffentlichen Schulen

(hpd) Im Rahmen der Wirtschaftskrise wird in den meisten europäischen Staaten in letzter Zeit mit Recht das enorme Potenzial der Bildung als Quelle des Reichtums hervorgehoben. Vielseitige Programme werden zur Entwicklung dieses Potenzials mit mehr oder weniger Aussicht auf Erfolg aufgelegt. Eine der vorrangigen Richtungen dieser Strategien ist die Ausweitung des Bereiches der privaten Schulen vor allem durch kirchliche Träger.

Wie durch eine europäische Zentrale gesteuert, tauchen solche Forderungen und Programme in den letzten zwei Jahre in fast allen europäischen Staaten auf.

Treibende Kraft hinter dieser Entwicklung sind die Interessenverbände der privaten Schulen und ihre Lobbyisten in Parteien und Staatsapparat. In Deutschland gibt es eine Reihe dieser Verbände, wie z. B. der Verband Deutscher Privatschulverbände e. V. (VDP), die Bundesarbeitsgemeinschaft Freier Schulen (AGFS), der Bundesverband der Freien Alternativschulen, die Waldorfschulen, die Vereinigung Deutscher Landserziehungsheime etc., etc. In Berlin ist in dieser Hinsicht die Volksinitiative „Schule in Freiheit“ eines Herren Kurt Wilhelmi sehr rührig, die mittels einer Unterschriftensammlung eine stärkere Angleichung von privaten und staatlichen Schulen, vor allem im Bereich der Finanzierung, erreichen will. Dass dabei die de facto bereits heute bestehende Diskriminierung der öffentlichen Schulen unerwähnt bleibt, ist nur konsequent.

Hinter diesen scheinbar auf den allgemeinen Nutzen ausgerichteten Forderungen verbergen sich meistens Interessen von bestimmten weltanschaulichen, aber insbesondere konfessionellen Organisationen, deren erzieherischen Prinzipien oft nicht mit den Prinzipien einer modernen Demokratie übereinstimmen. Logischerweise schaffen die Kirchen dann auch des Öfteren direkt oder indirekt die für diese Initiativen notwendigen politischen Rahmenbedingungen. Diese Initiativen haben auch in Deutschland in verschiedenartiger Form zunehmend Erfolg. Es wäre deshalb eine dringende Aufgabe der humanistischen und nichtkonfessionellen Organisationen, diese für das Weltbild der zukünftigen Generation prägende Entwicklung mehr in den Mittelpunkt ihrer Aufmerksamkeit zu stellen.

Eine in dieser Hinsicht nachahmenswerte Initiative, die auch sehr gut die Lage in Frankreich illustriert, haben Vertreter der Nationalen Vereinigung der Freidenker (Libre Pensée) und der Radikalen Linkspartei in Frankreich gezeigt. Am 30. Januar 2011 veröffentlichten sie den nachfolgenden Aufruf (in Übersetzung):

Öffentlicher Aderlass zugunsten des Privaten.

Öffentliche Bildung ist das erste Opfer der Strategie zur Demontage des Staates und der öffentlichen Dienstleistungen zugunsten privater Interessen. Im gleichen Moment, in dem das öffentliche Schulsystem ausgetrocknet wird, entfaltet sich, organisiert mit Zustimmung der Regierung, das private Bildungswesen. Zwei Ereignisse bestätigen diesen Standpunkt.

Erstens gibt es, durch ein Dekret des Ministerpräsidenten vom 18. März 2008, die Anerkennung der Gemeinnützigkeit der "Stiftung für die Schule“, im Jahr 2007 von Anne Coffey gegründet, um freie private Schulen im "unternehmerischen" Geiste zu unterstützen. Seitdem definiert sie sich selbst als das wirksamste Instrument für die Einwerbung von steuerlich begünstigten Geldern. In der Tat können Spender bis zu 75 % Vorsteuerabzug erhalten. Der Staat gewährt ihr also viel Unterstützung und eine de facto Anerkennung – obwohl die Aktion der Stiftung gegen die Grundsätze der säkularen und kostenlosen republikanischen Schule verstößt.

Jeremy Demay zeigt zum Beispiel in der Zeitschrift ProChoix von Oktober 2010, dass sich hinter diesen freien privaten Schulen Kongregationen wie die Priesterbruderschaft St. Pius X verstecken oder dass die obige Stiftung erklärt, keine Einwände gegen die Idee zu haben, die Schule vom Heiligen-Projekt in Bordeaux (L’école du Saint-Projet: Bildungskomplex der Piusbrüderschaft N.d.Ü) zu finanzieren, wenn sie einen Antrag stellt.

Diese Offensive setzt sich fort durch das System der Verleihung der akademischen Grade in den durch staatliche Vertrage organisierten privaten Bildungseinrichtungen. Mit der Unterzeichnung des Vertrages zur gegenseitigen Anerkennung der akademischen Grade und Abschlüsse der Hochschulen zwischen der französischen Republik und dem Heiligen Stuhl im April 2009 hat die Regierung die grundlegenden Prinzipien der Erziehung seit Jules Ferry aufgegeben. Im Bildungsgesetzbuch steht eindeutig, dass "der Staat das Monopol der Verleihung von akademischen Qualifikationen hat." Der Staatsrat ist daraufhin von Gruppen der RDSE (vorwiegend linke Radikale) und der sozialistischen Senatsfraktion sowie von mehreren laizistischen Organisationen, wie die der Pensée libre angerufen worden. Er weigerte sich anzuerkennen, dass die Vereinbarung, wie von der Regierung behauptet, Bestandteil des Erasmusabkommens war. Am Ende hat er weitgehend den Anwendungsbereich der Vereinbarung darauf beschränkt, das Recht der privaten Hochschulen zur Verleihung nationaler Qualifikationen abzulehnen und ihnen verboten, den Titel Universität zu führen. Dennoch ist auch diese Offensive des Staates von Bedeutung.

Darüber hinaus wurde neuerdings auch eine Aufstockung des Budgets für die privaten Bildungseinrichtungen beschlossen, auf Kosten des öffentlichen Bildungswesens. Das Haushaltsgesetz für das Jahr 2011 sieht in der Tat vier Millionen € oder 250 zusätzlichen Stellen für das private, vertraglich gebundene Bildungswesen vor. Gleichzeitig wird die durchschnittliche Finanzierung der öffentlichen Schule stark reduziert, beginnend mit der Zahl der Lehrer: Mehr als 35.000 Arbeitsplätze gehen 2009 und 2010 verloren und noch einmal 16.000 im Jahr 2011!

Die Regierung und die gegenwärtige Mehrheit entfernen sich im Bereich der Bildung zunehmend vom Geist des öffentlichen Dienstes zugunsten einer Logik des Wettbewerbs, wovon der privaten Sektor der größte Nutznießer ist, zum Nachteil der öffentlichen Schulen und des allgemeinen Interesses. Die Mittel für private Ausbildung bleiben gewährleistet oder werden erhöht durch gemeinnützige Stiftungen wie die "Stiftung für die Schule" oder die "Stiftung für St. Matthäus für die katholische Schule."

Diese Übertragung öffentlicher Mittel an privaten Bildungseinrichtungen spiegelt eine Sicht der Gesellschaft wieder, die im Widerspruch zu der republikanischen Tradition der Gleichheit und des Säkularismus steht. Wie der gescheiterte Versuch, katholischen Hochschulen das Recht auf die Verleihung akademischer Grade zu verleihen, steht sie im Einklang mit den Aussagen des Präsidenten der Republik zu der Rolle des Priesters und des Lehrers.

Letztlich verkennt der Staat das in der Verfassung und dem Gesetz von 1905 verankert Prinzip des Säkularismus. Doch Säkularismus ist ein Grundprinzip der Gesetze der Republik. Es ist dringend notwendig, eine Bestandsaufnahme der Gefahr herzustellen, die von diesen Entwicklungen ausgeht. Wir fordern auf der einen Seite, die staatliche Anerkennung der Gemeinnützlichkeit von Stiftungen zur Finanzierung des privaten Bildungswesens zurückzunehmen und zweitens die Annullierung des Vertrages zwischen Frankreich und dem Vatikan über die Anerkennung von Bildungsabschlüssen des katholischen Hochschulwesens.

Es ist an der Zeit, dass der Staat und die Regierung die Auszehrungsprozesse der öffentlichen Schulen zugunsten der privaten Schulen beenden und Bildung erneut zu einer nationalen Priorität machen.

Rudy Mondelaers

Selbstbestimmung nur durch private Schulen? (26.10.2010)