Das heißt nicht, dass Hans Albert als Theoretiker bereit gewesen wäre, „faule Kompromisse“ einzugehen. Vor allem „große Worte ohne Substanz“ stachelten seine Lust an der Kritik immer wieder an. Ich erinnere mich gut an ein Symposium anlässlich seines 85. Geburtstags in Heidelberg: Ein hoch dekorierter Referent hielt damals einen typischen, geisteswissenschaftlichen Vortrag mit allerlei altgriechischen und lateinischen Zitaten, exotischen Fremdwörtern und derart kunstvoll verschachtelten Nebensätzen, dass kaum einer der Zuhörenden den Sinn des Ganzen noch zu erfassen vermochte. Als Hans Albert um ein kurzes Statement gebeten wurde, huschte ein schalkiges Lächeln über sein Gesicht. Er erklärte, dass er bedauerlicherweise nicht alles verstanden habe, doch höchst beeindruckt sei von der enormen Gelehrsamkeit des Kollegen. Nur eines hätte er am Ende doch allzu gerne gewusst: „Welches Problem wollten Sie mit ihrem Vortrag eigentlich lösen?“ (Ich musste mich in diesem Moment sehr zügeln, um nicht loszuprusten.)
Aus Alberts Aversion gegen substanzlose Argumentationen resultierten einige seiner schönsten Kritiken. Nachdem in der Vergangenheit vor allem die berühmten Philosophenkollegen Habermas und Apel sowie der Theologe Küng mit dem „Geschenk der Kritik“ bedacht worden waren, musste 2008 der Papst höchstpersönlich dran glauben: In „Joseph Ratzingers Rettung des Christentums – Beschränkungen des Vernunftgebrauchs im Dienste des Glaubens“ zeigte Hans Albert in beeindruckender Weise, dass er auch im hohen Alter nichts von seiner intellektuellen Brillanz, seiner gedanklichen Klarheit und seinem scharfzüngigen Humor eingebüßt hat.
Ich denke, im Namen der gesamten Giordano-Bruno-Stiftung (der Hans Albert seit ihrer Gründung 2004 angehört) sprechen zu können, wenn ich sage, dass es für uns alle eine ganz besondere Ehre und Freude ist, mit einem solchen Mann zusammenarbeiten zu dürfen.
Ich wünsche dir, lieber Hans, zu deinem 90. Geburtstag alles erdenklich Gute! Auf dass du die Welt noch viele Jahre mit deiner Kritik beschenken kannst: Sie hat es wahrlich verdient…