Schuldfrei: Von der Wiege zur Wiege

Zusammenhänge

Jüngst haben die EU und Marokko ein Fischereiabkommen zum illegalen Fischen in Westsahara unterzeichnet. Westsahara ist strategisch, militärisch sowie ökonomisch für Europa interessant und wird daher von Europa ausgebeutet – vor allem das Phosphat ist ein Rohstoff, das wir täglich benötigen. Statt diesen Rohstoff in eigenen Kreisläufen zurückzugewinnen, müssen wir Rohstoffvorkommen der ganzen Welt plündern und notfalls Krieg mit den Ländern führen, die diese Rohstoffe haben. So einfach ist das.

Die Besatzungsflüchtlinge aus Westsahara fahren in kleinen Nussschalen nach El Hierro, der Heimatinsel von de Winkel. Eine Fahrt in der Nussschale kostet sie 2000-3000 Euro. Wenn sie Glück haben, kommen sie auch an.

Die Frage kommt auf, wie wir Gesellschaften so organisieren können, dass sich Menschen nicht so auf die Nerven gehen. Wie können wir Konfliktfähigkeit lernen, Herz für den Anderen entwickeln?

Zumindest im Kleinen wäre zwischen Marokko und Westsahara sicherlich eine Lösung der Westsahara-Problematik möglich. Wenn auch schwierig mit einer Diktatur. Allerdings hat Marokkos König Mohammed VI. in der vergangenen Woche eine umfassende Verfassungsreform angekündigt. Das lässt hoffen.

Ineffiziente Terroristen sind besser

In Deutschland geht man nun daran, die Umwelt zu schützen, indem man versucht, sie weniger kaputt zu machen, sie schützt mit weniger Zerstörung. Allerdings kommt dies, so Michael Braungart, der Aufforderung gleich: „Schlagt euer Kind nicht mehr fünf-, sondern nur dreimal“ – eine komische Logik. Denn wir versuchen, unsere Rohstoffe effizienter zu machen, statt sie effektiv zu machen. Sie richten in dieser Logik allerdings immer noch großen Schaden an. „Ressourceneffizienz“ ist Ökologismus – ein ineffizienter Terrorist ist Michael Baumgart lieber als ein effizienter.

Das Ziel sollte sein, dass unsere Rohstoffe in Rohstoffkreisläufe gelangen, dass wir Produkte bauen, die leicht auseinandermontierbar sind, damit wir die darin verwendeten Rohstoffe wiedergewinnen können, statt sie irgendwann in hochgiftigen Mischungen verbrennen zu müssen. Um dann die Rohstoffvorkommen anderer Länder wieder auszubeuten. Die Bestandteile sind nur giftig, wenn sie in die Biosphäre gelangen, nicht aber, wenn sie in der Technosphäre bleiben: „Mit Effizienzsteigerung macht man die falschen Dinge perfekt und damit perfekt falsch.“

Biomimetisch verfahren

Wie der Biokreislauf sollte auch der Rohstoffkreislauf gestaltet sein. Der Abfall eines Kirschbaums schädigt nicht die Umwelt, sondern nützt ihr. Somit ist ein Produkt, das nur Müll wird und die Umwelt zerstört, ein schlechtes Produkt. Ein gutes Produkt ist eines, das wir uns vom Produzenten quasi leasen, etwa um damit fernsehen zu können. Wenn es alt ist, geben wir es dem Produzenten zurück, der es in seine Bestandteile zerlegt, um daraus neue Fernseher zu machen. Wir leasen uns dann einen neuen Fernseher oder Toaster oder Tisch.

Das funktioniert, wenn das Risiko bei dem Verursacher bleibt. Heute ist der Gewinn individualisiert, das Risiko vergesellschaftet. So kann es nicht bleiben. Eine Firma, die ihren Müll selbst entsorgen muss, wird dafür sorgen, dass kein Müll entsteht. Eine Firma, die die Kosten für die Rohstoffgewinnung komplett zu tragen hat, kümmert sich darum, dass sie die Rohstoffe aus den bereits verarbeiteten Materialien zurückgewinnen kann. Produktzyklen werden von Anfang an vollkommen anders geplant.

Frei von Schuld

An dieser Stelle kommt der Philosoph ins Spiel: Cradle to Cradle ist ein nicht moralischer Ansatz, mit dem man vom Schuldthema freikommt. Bisherige Ansätze gehen davon aus, dass Menschen aus freien Stücken entschieden haben, etwas Böses zu tun: die Umwelt zu zerstören. Die „Büßer“ dagegen haben sich „gut“ verhalten, indem sie sich einschränkten und ihre Emissionen begrenzten. Nach diesem Verständnis wäre der Mensch nur dann wirklich gut, wenn er nicht mehr da ist. C2C jedoch unterteilt nicht in gute und böse Menschen, sondern in gute oder schlechte Produkte. C2C ist damit der erste humanistische ökologische Ansatz.

Kulturelle Veränderungen, die für ein Umdenken nötig sind, können schnell vorangehen. Die Akzeptanz von Schwulen ging beispielsweise in Deutschland innerhalb weniger Jahrzehnte vonstatten. Noch in den 1970ern galt Homosexualität als Verbrechen, für das über 50.000 Männer verurteilt wurden. Heute können Politiker wie Klaus Wowereit stolz verkünden: „Ich bin schwul und das ist gut so!“

Andere Länder wie die Niederlande, Belgien, setzen immer mehr auf C2C, in Deutschland gibt es jedoch derzeit eher eine Abwärtsbewegung, sogar die Laufzeit der AKWs wurde verlängert. Da die Politik die Recycelbarkeit von Produkten durchsetzen muss, muss man selbst politisch tätig werden, statt dies anderen zu überlassen. C2C ist ein kulturelles, ein soziales, ein politisches Thema. Kein ethisches.