Tagung: Die Freiheit zu sterben

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Tagung / Foto. Carsten Frerk

BERLIN. (hpd) Die Heinrich Böll Stiftung, die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben und die Humanistische Union hatten zu einer Tagung eingeladen, die dem „Nachdenken über assistierten Suizid und aktive Sterbehilfe“ gewidmet war. Ein Blick über die Grenzen, nach den Niederlanden, berichtet einiges über die Realität dort. Und ein Gespräch mit Dr. Pieter Admiraal.

Wie weit sterbende Menschen ihr Lebensende selbst bestimmt gestalten können ist auch ein bürgerrechtliches Anliegen. Eine strafrechtliche Klärung von Sterbegleitung und Sterbehilfe steht in Deutschland noch aus. Es ist fraglich, ob man nach der derzeit geltenden Rechtslage überzeugend begründen kann, dass es gerecht sei, den assistierten Suizid straffrei zu stellen, den ärztlich assistierten Suizid aber wegen der ärztlichen Garantenstellung und die aktive Sterbehilfe zu verbieten. Was heißt, dass ein Arzt in Deutschland zwar beim Suizid behilflich sein darf, er aber, wenn die Mittel wirken, mit lebensrettenden Maßnahmen eingreifen muss, da er sich sonst der unterlassenen Hilfeleistung schuldig macht.

Die unterschiedlichen Positionen wurden von der Heinrich Böll Stiftung in Vorbereitung der Berliner Tagung und zur weiteren Informationsmöglichkeit auf das Internetportal www.sterbehilfe.fuerundwider.org gestellt.

Eine ärztliche Aufgabe? Ja!

In der Diskussion in Deutschland ist etwas in Bewegung gekommen, was sich auch darin zeigt, dass die Bundesärztekammer ihre Position zur ärztlichen Suizidassistenz modifiziert hat. Hieß es früher: „Das widerspricht dem ärztlichen Ethos“ – Ärzte hatten die Aufgabe Leben zu erhalten, um jeden Preis, so wird jetzt eine andere Haltung erwogen: „Es ist keine ärztliche Aufgabe“. Es wird auch nicht bestritten, dass ein Regelungsbedarf vorhanden sei. Vielleicht ist es möglich, aus Erfahrungen in anderen Ländern etwas zu lernen

In den Niederlanden ist die Diskussion völlig anders verlaufen, worüber auf der Tagung Prof. Dr. Erhard Blankenburg (Amsterdam) berichtete.

Die Bezüge auf die Niederlande haben seiner Ansicht nach häufig leider den Mangel, dass die Situation dort zu wenig bekannt sei. So seien die Regelungen in den Niederlanden keineswegs „liberal“, wie es immer wieder heißen würde, sie sind dagegen pragmatisch und sehr kontrolliert.

Vor rund dreißig Jahren hätten die Ärzte in den Niederlanden anerkannt, dass sie, ob sie es wollen oder nicht, Menschen beim Sterben begleiten. 1995 wurden nach langen Diskussionen unter den Ärzten Richtlinien für eine ärztliche Sterbebegleitung formuliert. Natürlich gab es anfangs Grenzfälle, denn das Kriterium war „aussichtsloses Leiden“. Ein Arzt (Sartorius), der einem ‚lebensmüden’ 96-jährigen half zu sterben (was auch heute nicht zulässig ist) wurde verurteilt. 2002 kam es dann zu einem Gesetz, das Sterbehilfe zwar nicht erlaubt, es aber unter bestimmten Bedingungen straffrei lässt.

Handelnde sind in den Niederlanden ausschließlich die Ärzte, für die Strafausschließende Gründe gelten. Bei der Sterbegleitung und der aktiven Sterbehilfe muss der Arzt zu der Überzeugung gelangt sein, dass

  1. ein freiverantwortliches und wohlüberlegtes Verlangen des Patienten vorliegt,
  2. ein aussichtsloses und unerträgliches Leiden gegeben ist,
  3. der Arzt den Patienten über seine Lage und seine Aussichten informiert hat,
  4. der Arzt und der Patient zusammen zu dem Schluss gelangt sind, dass es in der gegenwärtigen Lage keinen anderen Ausweg gibt,
  5. der Arzt mindestens einen anderen unabhängigen Arzt hinzugezogen hat, der den Patienten untersicht hat und eine schriftliche Stellungnahme zu den bereits genannten Punkten abgegeben hat,
  6. der Arzt die Lebensbeendigung oder Hilfe bei der Selbsttötung medizinisch sorgfältig durchgeführt hat.

Wesentlich ist dabei die Rolle der Hausärzte – jeder Holländer ist bei einem Hausarzt eingetragen -, denn wer sonst weiß so viel über die persönliche, private, familiäre, soziale Situation. Der Hausarzt ist wiederum in ein Kontrollgremium eingebunden und kann sich von speziell weitergebildeten Kollegen (Scan-Ärzte) beraten und begleiten lassen.

Beispielbild
Dr. Pieter Admiraal / Foto © Evelin Frerk
„Oftmals verliere ich einen Freund“

Zu diesem Hintergrund veröffentlicht hpd ein Gespräch mit Dr. Pieter Admiraal – aufgezeichnet als Video – das anlässlich des 30. Jahrestages der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) Ende November 2010 in Berlin statt fand. Dort nahm Pieter Admiraal die Ehrenmitgliedschaft der DGHS an.

Anerkennungen, Ehrungen, Auszeichnungen gab es für ihn, den „Pionier auf dem Gebiet der freiwilligen Euthanasie“, Präsidenten der Holländischen Gesellschaft Anästesie, den Gründer und ersten Präsidenten der Holländischen Gesellschaft zum Studium über Schmerzen und weiterer Mitgliedschaften. 1994 erhielt er eine Auszeichnung des Holländischen Königshauses zum Offizier Oranje Nassau, 2000 den Janet Good Memorial Preis der Hemlock Society, USA. Pieter Admiraal ist der Urheber von über 70 Publikationen, mehr als 300 Vorlesungen und Vorträgen und einer Vielzahl von Interviews auf der ganzen Welt.

Holland war das erste Land der Welt, in dem Patienten Hilfestellungen von Ärzten zum Sterben erhalten durften und weiterhin dürfen, ohne dass diese sich verstecken müssen oder juristischer Verfolgung gegenüber stehen. Allerdings gab und gibt es klare Auflagen und Regeln, die einzuhalten sind.

Den heute über 80-jährigen Pieter Admiraal, Doktor der Medizin, Anästisist, führte sein Wissen um Schmerzbekämpfung zu den Menschen, denen ihr Leiden unerträglich geworden ist, keine Besserung eintreten wird, ihr Weg freiwillig in den Tod führt und sie den Zeitpunkt ihres Sterbens mitbestimmen.

Das Gespräch mit dem hpd beginnt Pieter Admiraal besorgt und eher skeptisch mit der Frage, ob Sterben in einem humanistischen Land sich tatsächlich zu ein Geschäft entwickelt müsse, in dem schon "Bemühungen" bzw. Vermittlungen honoriert werden, denn das hielte er für bedenklich. Im Gegensatz zu Deutschland gibt es in Holland keine Geldforderung für eine Sterbebegleitung, sie ist eine kostenfreie Kassenleistung, ökonomisches Interesse ist ausgeschlossen und das gilt auch für die Ärzte.

Admiraal spricht über Methoden, die Schwierigkeit und „Verhinderungen“, die wirksamen Medikamente zuverlässig zu bekommen und den von der holländischen Ärztekammer geregelten Bedingungen, den letzten Schritt einer oftmals jahrelangen Kette der Sterbebegleitung zu tun. „oftmals verliere ich einen Freund“, konstatiert Pieter Admiraal.

 

Video 1: Das kann doch kein Geschäft werden

[video:http://www.youtube.com/watch?v=_5WDuQUkILc]

 

Video 2: In Holland steht das Wort Euthanasie für milden Tod.

[video:http://www.youtube.com/watch?v=HJrCE1XMTeQ]

Wer das Buch von Dr. Peter Admiraal bestellen möchte, kann das hier per Internet tun.

Eine Zusammenfassung des Buches (Inhalt) kann man hier lesen.

C.F. / Evelin Frerk