Johannes Paul II war kein Heiliger

NIJMEGEN. (hpd) Liberales, der Thinktank der flämischen liberalen Bewegung publiziert eine kritische Betrachtung zu der Seligsprechung von Karol Wojtila von Peter Nissen, Professor für Kulturgeschichte der Religiosität an der Radboud Universität Nijmegen und Dirk Verhofstadt, Doctor der Moral Science an der Universität Gent.

Der Vatikan hat angekündigt, dass Karol Wojtyla, der ehemalige Papst Johannes Paul II., am 1. Mai selig erklärt wird. Das ist ein Schritt in Richtung seiner Heiligsprechung, die sicher folgen wird. Rom erwartet einen Zustrom von zwei Millionen Gläubigen um die Seligsprechung zu erleben und auch an anderen Orten wird dies Ereignis massenhaft gefeiert. Dass der ehemalige Papst so schnell selig- und heiliggesprochen werden kann, ist nicht erstaunlich. Bereits unmittelbar nach seinem Tod im Jahr 2005 erhoben sich Stimmen ihm diese sakrale Unterscheidung zu verleihen. Bei seiner Beerdigung trugen Pilger Spruchbänder mit der Aufschrift "Santo Subito!" ("Machen Sie ihn sofort heilig"), eine Aktion die, wie sich später herausstellte, von einigen konservativen katholischen Bewegungen inszeniert war. Der Vatikan ging hierauf schnell ein und begann das Verfahren ohne die üblichen fünf Jahre Wartezeit nach dem Tod des Kandidat-Heiligen zu beachten. Der aktuelle Papst hat hier eine Ausnahme gemacht.

Die Frage ist, ob Johannes Paul II. diesen Status verdient? Schließlich bedeutet die Selig- und Heiligerklärung eines Menschen für die Kirche zwei Dinge: erstens, dass der "Heilige" lebte und handelte nach dem Willen Gottes, und zweitens, dass er als "Heiliger" ein nachzufolgendes Vorbild darstellt. Nun kann die Kirche feststellen, dass es Nichtkatholiken nicht gestattet ist, ihre Entscheidungen über eine ihrer wichtigsten Führer zu kommentieren. Mit dem Wissen aber, dass die katholische Kirche eine der wichtigsten moralischen Wortführer in der Welt ist und fast 1,3 Milliarden Gläubige zählt, scheint es uns offensichtlich, dass eine mögliche Heiligsprechung von Johannes Paul II. auch von Nicht-Mitgliedern der Kirche beurteilt werden können muss, wobei die wesentlichste Frage ist, ob der voraussichtliche Heilige ein zu folgendes Vorbild für alle Mitmenschen war und ist.

Die Wahl von Karol Wojtyla im Jahr 1978 zum Papst hatte einen enormen Einfluss auf Osteuropa und besonders auf das Denken in Polen. Mit gut organisierten Besuchen in seiner Heimat konnte Papst Johannes Paul II. die Saiten der unterschwelligen Ressentiments in Osteuropa treffen. So wurden die Kirchen eine wichtige Kraft in der Opposition gegen die kommunistischen Regimes. Dass das Christentum so starke Impulse bekam, besonders in Polen, ist nach Jahren der Unterdrückung durch die Kommunisten nicht überraschend. Aber der Drang nach Freiheit ging weit über den Wunsch nach Freiheit des Glaubens hinaus. Es war ein Aufstand gegen alle Formen der Unterdrückung. Es war ein Schrei nach Freiheit, Selbstbestimmung und Konsumismus - Phänomene, die der Papst geradezu verabscheute. In diesem Zusammenhang war Johannes Paul II. zwar ein wichtiger Faktor bei der Beseitigung des Kommunismus, aber kein entscheidender. Denn es waren die Ungarn, die zuerst ihre Grenzen öffneten, sodass die Mauer fiel.

Dass Karol Wojtyla kein Heiliger war, zeigt sich aus vielen Tatsachen, die eben beweisen, dass er nicht ein nachzufolgendes Vorbild war und ist. Zuerst war da seine unglaubliche Energie, so viele Menschen wie möglich selig und heilig zu erklären. In den 24 Jahren seines Pontifikats sind mehr Heilige hinzu gekommen, als in den vier Jahrhunderten davor. Dies ist an sich kein Problem, wäre es nicht, dass er auch zweifelhaften Figuren den Status eines „nachzufolgenden Vorbildes" gegeben hat. Unter ihnen Josemaría Escrivá, der Führer des ultrakonservativen Opus Dei, das sich den Neuerungen des Zweiten Vatikanischen Konzils widersetzt. Aber besonders die Seligsprechung des kroatischen Erzbischofs Stepinac 1998 war umstritten. Der hatte sich im Krieg ja zugunsten des ehemaligen Diktators und Massenmörders Ante Paveliæ ausgesprochen. Nach Schätzungen war der für den Mord an 800.000 Menschen, überwiegend Juden und serbisch-orthodoxen Gläubigen, verantwortlich.

Noch bemerkenswerter war die Haltung von Johannes Paul II. gegenüber den Befreiungstheologen in Lateinamerika, Priester und Bischöfe, die sich für die Armen einsetzten und gegen die diktatorischen Regimes der damaligen Zeit auftraten. Moralisch hoch stehende Menschen wie Don Helder Camara, Leonardo Boff und Gustavo Gutierrez, die sich gegen die Ausbeutung durch die Mächtigen kehrten, wurden durch den Papst zurückgepfiffen und oft aus dem Amt entfernt. Angeregt durch Wojtyla wurden die Befreiungstheologen gezügelt und ersetzt durch konservative Jünger, welche bedingungslos der Linie von Rom folgten. Mit allen nachteiligen Folgen für die lateinamerikanische Kirche.

Der dritte Fehler von Johannes Paul II. war seine hartnäckige Haltung gegenüber der Verwendung von Verhütungsmitteln in Afrika. Die AIDS-Epidemie entstand in den späten 70er und frühen 80er Jahren und durch das Human Immunodeficiency Virus (HIV) starben Millionen von Menschen. Der Gebrauch von Kondomen könnte das Risiko von Nebenwirkungen drastisch reduzieren, aber die Kirche weigerte sich, dies zu ermöglichen. Im Gegenteil, zahlreiche Kirchenvertreter behaupteten, dass die Verwendung von Kondomen nur die Krankheit anheizen würde. Diese eindeutig unwissenschaftliche Haltung des Papstes hat zu einem enormen Anstieg des AIDS-Virus in Afrika und damit zu dem Tod von Millionen Menschen beigetragen. Viele Ethiker charakterisieren daher die Haltung des Papstes als unmoralisch.

Ein vierter und entscheidender Grund, warum Johannes Paul II. es nicht verdient, heiliggesprochen zu werden, ist seine laxe Haltung gegenüber den Pädophiliefällen in der Kirche. Am 30. April 2001 unterzeichnete er den Brief "Motu Proprio Datae quibus Normae De Gravioribus Delictis". Damit bestätigt er, dass alle Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern durch katholische Verantwortliche an die Kongregation des Glaubens des Vatikans übergeben werden müssten und dass sie der päpstlichen Schweigepflicht unterliegen. Damit bestätigte Wojtyla de facto die gängige Praxis, dass solche Tatsachen nicht den normalen Gerichten gemeldet werden sollten, sondern innerhalb der Mauern der Kirche zu behandeln sind. Diese Haltung hat mit dazu geführt, dass Tausende von Opfern sexuellem Missbrauch in der Kirche mit ihrem Schicksal allein gelassen wurden. Johannes Paul II. hielt überdies dem mexikanischen Priester Marcial Maciel Degollado, der Gründer der konservativen Bewegung der Legionäre Christi, schützend die Hand über den Kopf, während es seit den siebziger Jahren Anzeichen gab, dass er Kinder und Seminaristen missbraucht hatte.

Dass die Kirche Johannes Paul II. so schnell wie möglich heilig erklären will, ist verständlich. Nach all den Skandalen um Pädophilieaffären möchte der derzeitige Papst mit "positiven Nachrichten" kommen. Es werden zweifellos viele Feste organisiert, um den neuen Heiligen zu feiern. Die Frage ist aber, ob das die zahlreichen Armen, Aidspatienten und Opfer von sexuellem Missbrauch nützt. Gerade unter Wojtylas Pontifikat wurden die Errungenschaften des Zweiten Vatikanischen Konzils zurückgefahren und wählte die Kirche eine eher konservative Richtung, die Millionen von Gläubigen in der Kälte stehen lässt. Benedikt XVI kann argumentieren, dass Johannes Paul II. den Willen Gottes folgte - wer kann sagen, was sein Wille ist -, aber er kann nicht sagen, er wäre ein nachzufolgendes Vorbild. Wojtyla war ein pragmatischer Papst, der vor allem versuchte die Macht der katholischen Kirche zu stärken. Das tat er auch. Aber damit hat er die Menschheit keinen Dienst bewiesen, im Gegenteil. Die vielen Armen, Aidskranken und Opfer von sexuellem Missbrauch in der Kirche sind dafür ein lebendes Beispiel.

 

Originalartikel.

Übersetzung von R. Mondelaers