Dass bei Politikern gegenüber Alternativmedizin kein ausreichendes Problembewusstsein vorhanden ist, wurde ja deutlich. Müssten Skeptiker nicht also selbst politischer agieren? In Großbritannien gab es einen Versuch, homöopathische Mittel gesetzlich verbieten zu lassen. Soweit bekannt, ist er gescheitert. Wäre es also aus Sicht der Skeptiker nicht sinnvoller, auf eine gesetzliche Verankerung einer Kennzeichnungspflicht oder einer Abgabe zu drängen, von denen die Aufklärung über dieses Thema dann betrieben werden kann? Hier könnte man den Vergleich zur Zigarettenindustrie sehen.
Sarma: Für uns stehen Information und eine richtige Kennzeichnung im Vordergrund, nicht Verbote. Und wir fordern seit vielen Jahren Verantwortliche dazu auf, sich an strikte Regeln zur Sicherung der Qualität zum Wohle der Verbraucher und Patienten zu halten. Wenn etwas keine Medizin ist, soll man es auch nicht als Medizin verkaufen dürfen. Wenn etwas dagegen als Lebensmittel oder Nahrungsergänzung verkauft werden soll, müssen auch die jeweiligen Bestimmungen eingehalten werden.
Bisher haben wir versucht, das Thema auf europäischer Ebene hervorzuheben. Denn es existiert hier ein einzigartiges Phänomen: Da gibt es Regeln für den Verbraucher- oder Patientenschutz, nur im Bereich der homöopathischen und anthroposophischen Medizin gibt es Ausnahmen, wo die gleichen Kriterien nicht mehr gelten. Wir haben das häufiger politisch kritisiert und fordern die Rücknahme solcher Ausnahmen. Es verstößt nicht nur gegen die Idee des Verbraucher- und Patientenschutzes. Es ist auch unfair, wenn bestimmte Gruppen da einfach eigene Regeln aufstellen können und wir sehen das als einen unerhörten Vorgang. Trotzdem stellen wir weiterhin die sachliche Information und wissenschaftliche Auseinandersetzung in den Vordergrund und verlangen von der Politik eine Reaktion, wenn Methoden undVerfahren wissenschaftlich nicht mehr ganz sauber sind.
Vor kurzem hatte ich mit einer Tierärztin Kontakt, die hier sehr aufgeklärt erschien. Ich fand im Gespräch heraus, dass sie über die Hintergründe von Homöopathie informiert ist. Sie ist nun der Situation ausgesetzt, dass Menschen dort ihre tierischen Patienten hinbringen und aktiv entsprechende Mittel verlangen. Sie erklärte, dass sie es als Tierärztin aufgrund des Geisteszustandes der Kunden nicht schaffen würde, diese aufzuklären. Trotzdem muss sie diese als Patienten halten und fügt sich in das System. Da ergibt sich ein viel größerer Rahmen für die Aufklärung als das, was die GWUP derzeit bewerkstelligen kann.
Sarma: Zunächst finde ich erfreulich, dass die Tierärztin gut Bescheid weiß. Wenn da solche Patienten kommen, muss man natürlich diplomatisch vorgehen. Trotzdem kann man auch sehr überzeugte Kunden vorsichtig für ein langfristig angesetztes Umdenken mit Informationen versorgen. Bei den anderen Spezies gilt natürlich das Gleiche, wie für uns Homo Sapiens: keine notwendige Therapie versäumen.
Ab und zu kursiert die Meinung von einem Versagen der wissenschaftlichen Community gegenüber solchen und vergleichbaren Pseudowissenschaften. Ist da etwas dran?
Sarma: Ja, das sehe ich so. Auf der einen Seite – siehe Medizin – sind viele Wissenschaftler einfach nicht konsequent und machen zum Teil sogar mit – obwohl sie wissen, dass da nichts dran ist oder um ihren Kollegen nicht in die Suppe zu spucken. Viele, die es wissen müssten, nehmen aber auch nicht ihre Verantwortung gegenüber der Allgemeinheit war. Im Prinzip bräuchte man die GWUP überhaupt nicht, wenn die Universitätsprofessoren und Verbände ihre Aufgaben erledigen würden. Wir versuchen diesen Mangel als Teil der wissenschaftlichen Community auszugleichen, sozusagen als Müllmänner und Müllfrauen der Wissenschaft.
Es gibt trotzdem einen erheblichen Wettbewerbsnachteil, wenn man mit wissenschaftlichen und wissenschaftlich begründbaren Methoden gegen unbegründete und unbegründbare Theorien vorgehen möchte. Einiger Hokuspokus ist leicht erfunden. Und zu Hokuspokus jedes Mal sorgfältig eine Doppelblindstudie aufzuziehen, ist doch ein riesiger strategischer Nachteil.
Sarma: Sie haben recht: Ein normales Medikament ist sehr intensiven Prüfungen unterworfen. Auch wenn hier immer mal wieder etwas schief geht, wird da sehr viel investiert, bevor etwas auf den Markt gebracht werden darf. In vielen alternativmedizinischen Bereichen ist das nicht der Fall und die Produkte gehen direkt in den Markt. Da sagt man, es sei traditionell bereits belegt und dabei macht die Politik auch mit. Hier haben sie einen großen Vorteil. Aber auch bei der Förderung von kritischem Denken haben wir große Defizite. Wir versagen hier auch in der Schule, wenn sogar in den Naturwissenschaften von oben herab Fakten und nicht die Methoden gelehrt werden, mit denen man zu dieser Erkenntnis gelangt ist. Wie stelle ich fest, ob etwas nicht nur in einem Lehrbuch steht, sondern ob es auch zutreffend ist? Diese kritische Auseinandersetzung – beispielsweise auch mit Zeitungsartikeln – gibt es zu wenig.
Wie könnte man sich das vorstellen?
Sarma: In der Ingenieursschule in Grenoble gab es beispielsweise einen schönen Versuch mit dem Mondglauben. Es kursiert ja unter Hebammen der Spruch, bei Vollmond würden mehr Babys geboren. Da setzt man sich nun mit einer Schülergruppe zusammen und überlegt, wie diese Aussage geprüft werden kann. Und hier geht es nicht darum, eine Antwort zu geben, sondern den Schülern die Gelegenheit zu geben, selbst die Antwort herauszufinden. Man könnte zum Beispiel in ein Krankenhaus gehen und versuchen, Daten zu bekommen, um zu prüfen, ob statistisch gesehen mehr Babys bei Vollmond geboren werden. Das Verständnis dafür, Aussagen nicht einfach so aufzunehmen, sondern erst zu prüfen, könnte durch diese Experimenten verbessert werden. So etwas kann ja auch Spaß machen. Experimente sind ja nicht nur in der Physik oder Chemie möglich, sondern auch mit solch stark verbreiteten Meinungen. Eine andere Möglichkeit wäre die Legende von Freitag dem 13., wo man bei der Polizei mal nachfragen könnte. Diese grundsätzliche Denke ist in uns allen zu wenig verankert. Damit kann man nicht früh genug anfangen und darum ist es auch seit langem eine unserer Forderungen: Kritisches Denken frühzeitig in der Schule zu trainieren. Aber vermutlich ist es nicht in jedermanns Interesse, dass die Kinder frühzeitig mit kritischem Denken beginnen. Aus welcher Interessenslage es hier Gegenwind gibt, kann man sich ja denken!
Nun sprechen wir schon über Schulen. Wie sieht es denn an den Hochschulen aus? In anderen Ländern gibt es hier Skeptiker-Hochschulgruppen, in Deutschland nicht. Woran liegt es?
Es ist bedauerlich, aber offenbar organisieren sich die Skeptiker hier an den Hochschulen noch nicht. Wir wollen uns aber nicht beklagen, denn wir haben viele engagierte junge Leute, allerdings in Regionalgruppen und nicht in Hochschulgruppen. Schöner wäre es, wenn sich insgesamt mehr Frauen für die Skeptiker interessieren würden, aber dafür haben wir einige sehr engagierte Frauen, die Regionalgruppen leiten. Unser erster Präsident war Frau Professor Oepen und Inge Hüsgen ist unsere derzeitige Skeptiker-Redakteurin.