Tagung: Wissenschaft contra Aberglauben

Woran erkennt man denn, welches Thema gerade im Kommen ist? Ein persönlicher Indikator von mir war zu schauen, was in der aktuellen P.M.-Ausgabe geschrieben wird. Es ist eine sehr subjektive Einschätzung. Wie misst man, wo grad der größte Unsinn grassiert?

Sarma: (lacht) Neben der Alternativmedizin ist in Europa auch die Astrologie immer noch ein relativ großes Problem. Hier gibt es ja inzwischen sogar Dauerfernsehsendungen mit wirklich unmöglichen Inhalten. Horoskope, quasi als Einstiegsdroge, finden sich ebenfalls in zahllosen Zeitungen und Magazinen. Für viele ist es ja zunächst nur eine Art Spaß, aber es kann schon problematisch werden. Wenn Menschen beispielsweise ihre Lebensentscheidungen danach richten, wie bei der Frage „Soll ich meinen Freund oder meine Freundin verlassen oder nicht?“ So sind auch Beziehungen durch Astrologie zu Bruch gegangen. Oft wird da nicht drüber gesprochen, weil es sehr stark den persönlichen Bereich berührt. Im Beruf, in der Liebe oder beim Geld lassen sich nicht wenige Menschen von astrologischen Prognosen oder auch anderen dubiosen Praktiken leiten. Astrologie ist immer noch ein Dauerbrenner, der offiziell nicht wahrgenommen beziehungsweise ignoriert wird, aber in der Bevölkerung weit verbreitet ist.


Was wird denn in der Politik überhaupt wahrgenommen?

Sarma: Ein Bereich, der in problematischer Weise sehr weit in die Politik hineinragt, ist die Alternativmedizin. Da geht der Glaube bis zu Entscheidungsträgern und Berufsverbänden der Ärzteschaft. Das hat dann natürlich eine ganz andere Qualität als etwa die Astrologie, die von vielen immer noch als Kuriosität oder als Parawissenschaft angesehen wird.

Was ist in dem Fall mit Alternativmedizin gemeint? Das ist wieder ein Wort, das ja für unterschiedliche Konzepte verwendet wird.

Sarma: Wenn wie bei der sogenannten Alternativmedizin die Beweislage schlecht ist, werden andere Verfahren zur Anerkennung eingeschlagen. Im Bereich der Homöopathie und Anthroposophie sah man ein, dass man nach wissenschaftlichen Kriterien nicht weiter kommt. Also hat man hier eine Welt für sich geschaffen, in der es den Vertretern der jeweiligen Methoden gestattet wurde, selbst nach Gutdünken über eine Registrierung zu entscheiden. Eine verlässliche, wissenschaftliche Vorgehensweise wird aufgehoben. Therapien und Produkte werden ohne objektive Tests auf den Markt gebracht. Das ist, als ob bestimmte Fahrzeughersteller ein Sonderrecht erhalten, ihre eigenen Tests für ihre Fahrzeuge zu entwickeln und anzuwenden.


Die Homöopathie war im letzten Jahr sicherlich ein Dauerbrenner. Kann es sein, dass man hier einen bestimmten Bereich akzeptieren muss und der Glaube an die wirkstofflosen Zuckerkügelchen sich nicht aus der Welt schaffen lässt? Wie gehen Skeptiker mit solchen möglicherweise ubiquitären Phänomenen um?

Sarma: Es wird sicher immer Verkehrsunfälle, Kriminalität oder andere problematische Dinge geben. Das heißt doch nicht, dass man nichts tut! Es ist unser Anspruch, in unseren Themenbereichen mit Informationen und der Popularisierung von wissenschaftlichen Methoden aufzuklären. Auch wenn wir wissen, dass nicht alle unsere Informationen oder das kritische Denken als Verfahren annehmen werden. Derzeit versuchen wir vor allem im Bereich der Homöopathie ein Defizit auszugleichen, das in der Öffentlichkeit besteht. Viele halten sie einfach für Natur- oder pflanzliche Mittel und meinen, dass das gesamte Thema völlig harmlos ist. Wir weisen darauf hin, was hinter dem Ganzen steckt und was beispielsweise auch Erfinder wie Samuel Hahnemann selbst gesagt haben. Da geht es eben nicht um pflanzliche Inhaltsstoffe, sondern vielmehr um das Simile-Prinzip oder das Prinzip der Verdünnung. Und in Vorträgen habe ich immer wieder gemerkt, dass viele Menschen dies nicht wissen. Sie glauben, Homöopathie sei schlicht Naturmedizin. Und sind ganz erschrocken, wenn sie erfahren, dass auch gefährliche Substanzen wie Arsen, Quecksilber oder Sprengstoff verwendet werden. Eine Tatsache, die für sie überhaupt nicht zum Marketing-Image passt. Und da müssen wir immer wieder klarmachen, was Homöopathie wirklich ist und warum man sich nicht vom Marketing blenden lassen soll.


Gibt es noch weitere Argumente?

Es wird immer wieder behauptet, dass Homöopathie wirkt. Wie kommt es dann, dass, wenn man die Tests der letzten 30 Jahre in ihrer Gesamtheit betrachtet, keine über den Placebo-Effekt hinausgehende Wirksamkeit schlüssig nachgewiesen werden konnte? Die Homöopathie ist nicht nur aus theoretischer Sicht – von den Thesen der Befürworter ausgehend – unplausibel. Sie ist auch in der Praxis gescheitert. Hinzu kommt: Während zumindest die Hochpotenzen tatsächlich ungefährlich sind, weil sie soweit verdünnt sind, dass da kein Molekül mehr drin ist, werden viele Mittel auch in Niedrigpotenzen verkauft. Bei Potenzen wie D3 oder D6 können durchaus Stoffe enthalten sein, die nicht mehr unbedenklich sind.

Um die Homöopathie hat sich mittlerweile eine Industrie aufgebaut. Nach den mir bekannten Zahlen werden damit weltweit zwei Milliarden Euro umgesetzt, die Hälfte davon in Europa. Ein geringer Anteil wurde von Ärzten verschrieben, der überwiegende Konsum geht auf selbstgekauften Verbrauch zurück. Warum fühlen sich eigentlich die Skeptiker in erster Linie für die Aufklärung verantwortlich? In der Zigarettenindustrie läuft es anders, denn da werden die entsprechenden Unternehmer und Verbraucher über Steuern herangezogen, um über die Risiken und Nebenwirkungen aufzuklären. Auf den Verpackungen könnten beispielsweise deutliche Hinweise auf den Mangel an wissenschaftlichen Belegen über die Wirksamkeit angebracht werden.

Sarma: Wenigstens wurde erreicht, dass bei den homöopathischen Mitteln keine Indikationen mehr angegeben werden können. Das würde im Übrigen ihren eigenen Thesen widersprechen, nachdem jeder Mensch individuell angepasste Mittel braucht. Dennoch wird dieses Verbot, Indikationen anzugeben, oft durch begleitende Informationen umgangen. Leider haben sich viel zu viele – auch Ärzte- und Pharmaverbände – längst mit den Homöopathen arrangiert. Außer Skeptikern halten nur noch einige Scienceblogs und Wissenschaftsjournalisten dagegen. Die Berufsverbände haben schlicht und einfach versagt. Wir fragen uns manchmal auch, warum wir die Arbeit machen müssen. Innerhalb der Ärzteschaft und bei den medizinischen Fachverbänden müsste es Gruppen geben, welche hier Aufklärung als Selbstreinigungsprozess betreiben. Diese wird aber liegengelassen, weil sich die einen die Hände nicht schmutzig machen wollen und andere sich mit den betreffenden Alternativmedizinern arrangiert haben. Dabei hat das Geschäft mit alternativer Medizin mittlerweile so große Ausmaße angenommen, dass kritische Stimmen mehr als je zuvor gebraucht werden.