(hpd) Sie hat Rechte wie sonst keiner und sie hat das schlechteste Gewissen. Denn sie ist immer schuld, wenn etwas schiefläuft. Dabei ist sie grundgut und hat immer nur das Beste für ihre Kinder im Sinn. Das Bild der Mutter ist stereotyp und widersprüchlich. Dem müsste so nicht sein, meint Fiona Lorenz.
Ob die Rabenmutterideologie, wie sie in Deutschland vorherrscht, im Nazideutschland wurzelt, sei dahingestellt. In anderen Ländern dürfen Mütter arbeiten, in vielen sollen und müssen sie sogar arbeiten. Doch hierzulande ziehen sich Frauen allzu häufig in die Kuschelecke zurück, sobald sie Kinder bekommen. Sie dürfen das nicht nur, sie sollen allein das sein: Mutter. Und das, obwohl es nachweislich den Kindern nichts nützt, wenn Mama daheimbleibt, denn Kinder berufstätiger Mütter sind auf ganzer Linie besser dran, wie neue Studien zeigen.
Gesellschaftlich und damit in Konsequenz juristisch gesehen sind Mütter angeblich auch die einzigen, die über das Kindeswohl entscheiden können. Damit haben sie gewissermaßen eine Alleinherrschaft über das Kind erlangt und das Kind wird dadurch zum Besitz, zur Spielfigur, welche zu oft in einem für alle schädlichen Spiel eingesetzt wird. Diese Argumentationslinie soll jedoch nicht, wie mittlerweile üblich, in das Lamento „böse Mutter“ versus „armer Vater“ verfallen, sondern ich will Möglichkeiten aufzeigen, wie diese Situation verhindert werden kann.
Unsere Gesellschaft hat sich gewandelt, und zwar rapide. Das ist selbstredend eine Binsenweisheit. Aber einige Vorstellungen sind hängen geblieben von dem, wie Dinge angeblich sind oder sein sollen. Die Realität von Müttern, von Kindern, der Berufswelt und von Beziehungen – und damit auch der Väter – hat sich massiv geändert, ohne dass diesen Entwicklungen konsequent Rechnung getragen würde.
Kontraproduktive Standpunkte
Nicht nur gesellschaftlich, auch individuell besteht Veränderungsbedarf. Welchen Sinn hat es da, auf Standpunkten zu verharren, die sich als kontraproduktiv erwiesen haben? Es geht hier nicht um die Frage der Normierung von Frauenbiografien – wem würde unterstellt, Männerleben normieren zu wollen, wenn man davon ausgeht, dass sie berufstätig sein müssen, um ein Einkommen zu erzielen, von dem sie leben können? (Genau dieser „Normierungs-Aufschrei“ erfolgt jedoch, wenn man darauf hinweist, dass Frauen nicht ausschließlich Hausfrauen, sondern ebenfalls berufstätig sein sollen.)
Für einen relativ kurzen Zeitraum in der Menschheitsgeschichte öffnete sich ein Fenster, in dem es „Vollbeschäftigung“ gab und Männer ihre Frauen nicht mehr zur Arbeit schickten, weil sie besser dran waren, wenn die Frau sie zu Hause rundum versorgte. Die Möglichkeiten, Karriere zu machen, sind wesentlich besser, wenn zwei Personen sich die damit verbundenen Aufgaben teilen. Schließlich muss auch ein Karrieremensch noch den Alltag abwickeln. Besser also, wenn sich zwei diese Arbeit teilen: Eine macht den Abwasch, der andere die Karriere. Freigestellt für die Arbeitswelt.
Jetzt hat sich die Situation aber gewandelt. Beziehungen sind in der Tendenz partnerschaftlich geworden, das Schuldprinzip bei der Scheidung wurde 1976 abgeschafft, schmutzige Wäsche muss also nicht mehr gewaschen werden, sondern es reichen der Scheidungsantrag und eine gewisse Wartezeit. Man braucht eigentlich gar nicht mehr zu heiraten, denn Kinder werden nicht mehr wie noch vor wenigen Jahrzehnten als Bastarde bezeichnet, wenn sie in nichteheliche Verbindungen hineingeboren wurden. Die Müttersterblichkeit wurde immens reduziert und die Lebenserwartung insgesamt, besonders die von Frauen, hat sich seit 1900 etwa verdoppelt.
Auch in der Arbeitswelt besteht bis zu einem gewissen Grad Mitbestimmung und Arbeitgeber haben sich auf die Besonderheiten der Lebensläufe von Frauen eingestellt, indem sie Teilzeit und Wiederkehr nach dem Mutterschutz ermöglichen.
Kontraproduktive Frauenrechte
Frauen haben sich also sehr viele Rechte erkämpft, unterstützt vom patriarchalischen Staat und zahlreichen Männern, per definitionem doch ihren Gegnern. Frauen profitieren auch von Frauenrechten, die eigentlich Mütterrechte sind, ohne dass sie jemals Mütter würden. Sie mussten weder Bundeswehr noch Zivildienst absolvieren. Sie erhalten Mutterschutz. Sie dürfen (müssen) in bestimmten Berufen nicht arbeiten oder nicht nachts arbeiten. Leider jedoch widerstreben die neuen Rechte zum Teil dem Gut, das sie schützen oder herstellen sollen. Namentlich dem Gut Emanzipation – Freiheit und Gleichheit.
Müttern wird meist die alleinige Verantwortung für das Kindeswohl zugesprochen, einfach weil sie Frauen sind. Sie brauchen, wenn sie Mütter sind, nicht arbeiten zu gehen, bis das jüngste Kind drei Jahre alt ist. Damit werden Frauen in einer Stasis festgehalten, die es ihnen sehr schwer macht, selbstständig wieder Fuß zu fassen. Sie verlieren berufliches Selbstvertrauen, sie verlieren berufsbezogene Kompetenzen und berufliches Wissen. Sie leben ihren Kindern nicht vor, selbstverständlich berufstätig und selbstverantwortlich zu sein, sondern auf Kosten eines Mannes oder des Staates zu leben. Dieses Konzept ist weit entfernt von jeglichem Gleichheitsgedanken.
Es kann nicht sein, dass Emanzipationsgesetze darauf hinauslaufen, Unterhaltsempfängerinnen zu generieren. Es kann und sollte nur dahin führen, den Einstieg in eine Berufstätigkeit anzuregen.
Berufstätig mit bestem Gewissen
In einer fünf Jahre währenden Untersuchung von 5500 Familien mit insgesamt 14300 Personen hat sich nun auch noch herausgestellt, dass Kinder berufstätiger Mütter in der Regel besser dran sind als Kinder von Hausfrauen: In der Schule, in ihrer Fähigkeit zur Selbstmotivation, in der Einschätzung der eigenen Kompetenzen und im Vertrauen in die eigene Leistungsfähigkeit. Wenn Mütter Vollzeit beschäftigt sind, haben ihre Kinder – bei gleicher Schulbildung der Eltern und identischer Familiensituation – eine 60prozentige Wahrscheinlichkeit, auf ein Gymnasium zu gehen, bei Kindern von Hausfrauen sind es nur 45 Prozent.
Mütter, die arbeiten gehen, verschaffen ihren Kindern in der Freizeit mehr kulturelle und soziale Anregungen und können ihren Kindern komplexe Arbeitsstrategien vermitteln. Kinder berufstätiger Mütter zeigen zudem weniger häufig psychische Auffälligkeiten. Das mütterliche Wohlbefinden, ihre Strukturiertheit und ihr Vorbildcharakter ist bei Vollzeit-Berufstätigen am höchsten – all das wirkt sich auf ihre Kinder positiv aus (vgl. „Berufstätige Mütter: Schluss mit dem schlechten Gewissen!“ Psychologie Heute Juni 2011, S. 38-42).
Bei der Arbeit geht es ja nicht nur um das Geldverdienen, sondern auch um soziale Kontakte, Anerkennung, Weiterentwicklung, Strukturiertheit und die Bewältigung von Herausforderungen.
Tatsächliche Gleichheit ermöglichen
Dabei sollte Vollzeit jedoch meines Erachtens kein Muss sein. Wer Kinder partnerschaftlich erziehen möchte, braucht allerdings die Option, dass beide Eltern gleichermaßen reduziert arbeiten und mehr Zeit mit den Kindern verbringen können. Das erfordert andere berufliche Entscheidungen beider Elternteile, damit deren Einkommen vergleichbar ist und die Entscheidung, wer die Kinder überwiegend betreut, nicht etwa wegen der ungleichmäßigen Einkommensverteilung zu Lasten des einen oder der anderen fällt.
Wer demnach das Kindeswohl im Auge hat, sollte großen Wert darauf legen, dass Frauen auch weiterhin problemlos ermöglicht wird, berufstätig zu bleiben, wenn sie Mütter geworden sind. Bereits bei der Berufswahl sollten junge Frauen beachten, dass sie eventuell ihr gesamtes Leben hindurch für sich und potenzielle Kinder die alleinige finanzielle Verantwortung zu tragen haben werden. Hier sollte sich jede Frau an die eigene Nase fassen und der Staat sollte sich beeilen, ausreichende Möglichkeiten zur Kinderbetreuung bereitzustellen.
Doppelresidenz für Trennungskinder
Dann ist da noch die Sache mit den Trennungen. Bislang wird in Streitfall richterlich meist entschieden, dass der Mutter das Kind zusteht, erst recht bei Nicht-Ehe, da aufgrund antiquierter (oder sonst woher resultierender) Vorstellungen davon ausgegangen wird, dass Mütter automatisch besser für ihre Kinder seien. Und dies auch dann, wenn offensichtlich nicht das Kindeswohl im Fokus der Mutter steht, sondern ihre Probleme mit dem Ex. Auf dem Rücken des Kindes werden dann Beziehungsgefechte ausgetragen, der Vater kann bzw. muss Unterhalt zahlen und darf im schlimmsten Fall sein/e Kind/er nicht einmal sehen, weil die Mutter Probleme irgendwelcher Art damit hat. Der Vater ist auf Gedeih und Verderb der mütterlichen Willkür ausgeliefert, während er meist dazu verpflichtet wird, zu zahlen, und zwar für Mutter und Kind/er - auch wenn sich die Situation diesbezüglich seit 1.1.2008 enorm gebessert hat und Mütter in der Regel per Gesetz seither dazu gezwungen sind, mehr und früher Verantwortung zu übernehmen.
Sicher gibt es frevelhafte Väter – ebenso wie es frevelhafte Mütter gibt. Und dennoch hat ein Kind ein Recht auf beide Eltern. Unter dem Titel „Harmonie kann verordnet werden“ plädierte jüngst Anton Pototschnig in Der Standard (Österreich) für die „automatische“ gemeinsame Sorge für ein Kind. Pototschnig ist Mitarbeiter des Jugendamtes, Familiencoach, Teilnehmer der Experten-AG im österreichischen Justizministerium und Obmann des Vereins „Doppelresidenz“.
Nach seinen Erfahrungen und in einigen auf Österreich bezogenen sowie internationalen Studien zeigt sich, dass durch die von vornherein gemeinsame Obsorge, „das Konfliktpotenzial sinkt, die Zahlungsmoral steigt und sich das Engagement fürs Kind verstärkt.” Das ist nachvollziehbar, denn wenn Vätern einfach nur weil sie Männer sind das Recht entzogen wird, sich regelmäßig um ihre Kinder zu kümmern, ist es kein Wunder, wenn sie grantig reagieren.
Gesellschaftliche und individuelle Aufgabe
Es ist also eine gesellschaftliche Aufgabe, dafür zu sorgen, dass Eltern grundsätzlich das gemeinsame Sorgerecht für ein Kind erhalten, egal ob sie verheiratet sind oder nicht. Darüber hinaus ist es eine individuelle Aufgabe der beteiligten Eltern, dafür zu sorgen, dass Mutter, Vater und die Kinder einander so häufig wie möglich sehen und angenehme Zeiten miteinander verbringen können. Laut Pototschnig sehen sich Mütter in dieser Konflikt vermeidenden Sorgerechts-Strategie „keinen Angriffen ausgesetzt, die Alimente treffen regelmäßiger ein, das Vertrauen wächst.”
Der Autor beendet seine Ausführungen mit dem Fazit: In der bisherigen Strategie überhöhe „man letztlich Mütter in ihrer Entscheidungskompetenz und Bedeutung gegenüber dem Kind und sollte sich nicht wundern, wenn Frauen in Folge auf diese Rolle festgenagelt bleiben. Die gemeinsame Obsorge auch gegen den Willen eines Elternteiles sowie allfällige Sanktionen helfen Frauen, sich aus dieser mythologischen Überhöhung zu befreien. Das Signal an die Mütter: Du darfst und sollst loslassen.“ Es ist meines Erachtens jedoch nicht nur die mythologische Erhöhung, sondern auch das kuschelige Kissen, auf dem eine Frau sich gewissermaßen ausruhen und vor der Berufswelt „in Sicherheit“ bringen kann, wenn sie sich auf die Mutterrolle beschränkt und aus der Berufswelt zurückzieht.
Fazit
Somit hat sich gezeigt, dass die Festlegung der Frau auf die Mutterrolle durch „die Gesellschaft“ (auch juristisch), durch den Vater und durch sie selbst nicht den Effekt hat, der ihm nachgesagt wird: Kindern geht es dadurch nicht unbedingt besser. Müttern und (getrennten) Vätern ebenso wenig. Kindern geht es in der Regel am besten, wenn ihre Mutter berufstätig ist und sich die Eltern bei der Trennung aktiv darum kümmern, wenigstens als Eltern ordentlich zu funktionieren, wenn es schon als Paar nicht (mehr) klappt.
Frauen ergeht es nicht besser, wenn sie wegen der Kinder zu Hause bleiben, denn sie verlernen wichtige berufliche und soziale Kompetenzen, mit denen sie sich außerhalb der häuslichen vier Wände beweisen könnten und zufriedener wären. Einzig das aus der „Rabenmutterideologie“ resultierende schlechte Gewissen, das vollkommen deplatziert ist, stellt noch ein gewisses Problem dar.
Auch für die Schulkarriere der Kinder erweist sich das Hausfrauendasein als kontraproduktiv. Für das Paar dürften insoweit Vorteile entstehen, als dem Mann durch die Hausfrau der Rücken freigehalten wird und er sich uneingeschränkt dem Berufsleben widmen kann. Ob dies allerdings die anderen Nachteile für die Frau, die Kinder und letztendlich den Mann (bei einer eventuellen Trennung, mit einer unzufriedenen Hausfrau) aufwiegt, ist fraglich.
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