(hpd) Der Politikwissenschaftler Timo Stein fragt danach, inwieweit in dem angesprochenen politischen Lager Formen der Judenfeindschaft auszumachen sind. Dabei liefert er eine knappe Darstellung im Sinne einer bejahenden Ausrichtung, die aufgrund ihrer analytischen Defizite aber nicht ganz überzeugen kann.
Angesichts der mitunter heftigen Kritik aus der politischen Linken an der Außenpolitik des Staates Israel kommt immer wieder der Vorwurf des zumindest versteckten Antisemitismus auf. Was ist davon zu halten? Dieser Frage geht der Journalist und Politikwissenschaftler Timo Stein in seiner Arbeit „Zwischen Antisemitismus und Israelkritik. Antizionismus in der deutschen Linken“ nach. Darin unterteilt er diese Problemstellung in drei Fragekomplexe: Zunächst will Stein feststellen, inwieweit Antizionismus antisemitische Inhalte transportiert. Danach geht es ihm darum, die Bedingungsfaktoren für diese Prägung aufzuarbeiten. Und schließlich soll eine Einschätzung zur Frage formuliert werden, ob Antisemitismus in der Linken eine Ausnahme oder ein Bestandteil ist. Als Ausgangsthese formuliert der Autor: „Der spezifisch linke Antisemitismus nach Auschwitz generiert durch seine ideologische Nähe zu antisemitischen Denkformen antisemitische Inhalte und kann [...] in seiner radikalsten Ausprägung als ein prototypischer Antisemitismus nach Auschwitz gelesen werden“ (S. 10f.).
Die Arbeit gliedert sich in vier große Teile: Zunächst geht es um eine Definition von Antisemitismus, die Unterscheidungsmerkmale einer antisemitischen und nicht-antisemitischen Israel-Kritik und die theoretische Erfassung des linken politischen Spektrums. Dem folgt eine Darstellung zur Entstehung und Entwicklung des Antizionismus in der Bundesrepublik Deutschland nach 1945 von der pro-israelischen Ausgangssituation über die antizionistische Wende nach 1967 bis zur antizionistischen Agitation während des ersten Golfkriegs Anfang der 1990er Jahre. Danach erörtert der Autor mögliche Quellen eines linken Antisemitismus, die neben den Frühformen der Klassiker und der neulinken Faschismus-Rezeption vor allem in dem antiimperialistischen Weltbild der marxistisch-leninistischen Ideologie ausgemacht werden. Und schließlich steht noch die Renaissance des Antizionismus in gegenwärtigen linken Bewegungen und Parteien am Bespiel der globalisierungskritischen Bewegung und der Partei „Die Linke“ im Zentrum des Interesses.
Entsprechend der Ausgangsthese heißt es als Fazit dann in den Worten des Autors: „Der spezifisch linke Antizionismus nach Auschwitz generiert durch seine ideologische Nähe zu antisemitischen Denkformen antisemitische Inhalte und kann, da er die Staatswerdung Israels als notwendige Konsequenz der Shoah ignoriert, in seiner radikalsten Ausprägung als ein prototypischer Antisemitismus nach Auschwitz gelesen werden. Was ihn als prototypisch kennzeichnet, ist der Umstand, dass er nicht immer direkt, sondern häufig über Umwege Ressentiments bedient und dabei verdeckt – mittels Codes und Chiffren – agiert. Da offener Antisemitismus nach Auschwitz weitgehend geächtet ist, muss der ‚typische’ Antisemitismus nach Auschwitz daher eine subtilere Gestalt annehmen. ‚Typisch’ ist auch, dass er sich innerhalb des Bezugsfeldes Nahost kontextualisiert, das er sich sozusagen an Israel abarbeitet. Israel bietet eine ’dankbare’ Projektionsfläche, auf welche alte Stereotype in einem neuen Kontext projiziert werden“ (S. 95).
Wer eine kurze Darstellung im Sinne dieser Deutung des Themas sucht, ist mit dem Band gut beraten. Ansonsten enttäuscht er allerdings mehr: Überwiegend referiert Stein den in diese Richtung orientierten Stand der Literatur mit eigenen Worten, wobei er sich in den einzelnen Kapiteln (aber mit den nötigen Nachweisen) stark an Thomas Haury und Martin Kloke orientiert. Während sein Antisemitismus-Begriff noch relativ trennscharf entwickelt ist, bleibt sowohl unklar, was hier im engeren Sinne mit Antizionismus und dessen Verhältnis zum Antisemitismus gemeint sein soll. In starker Anlehnung an die Argumentation von Haury hebt Stein zwar zutreffend hervor, dass der Antiimperialismus und der Antisemitismus ähnliche strukturelle Merkmale aufwiesen. Hierbei handelt es sich aber um einen formalen und keinen inhaltlichen Gesichtspunkt. Und überhaupt fragt Stein nur selten dezidiert danach, inwieweit in der Tat überaus bedenkliche Auffassungen von Linken gegenüber dem Staat Israel als Formen des Antisemitismus im Sinne einer Feindschaft gegen Juden gelten müssen.
Armin Pfahl-Traughber
Timo Stein, Zwischen Antisemitismus und Israelkritik. Antizionismus in der deutschen Linken, Wiesbaden 2011 (VS Verlag für Sozialwissenschaften), 105 S., 29,95 €