„Tag der Patientenverfügung“

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Infostand / Alle Fotos: DGHS (Evelin Frerk)

BERLIN. (hpd) Am 1. September 2009 trat das Patientenverfügungsgesetz in Kraft. Für die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) war das Anlass, diesen 1.9. zum „Tag der Patientenverfügung“ zu erklären und auf dem Alexanderplatz in Berlin einen Informationsstand aufzubauen.

Viele Jahre der gesellschaftspolitischen Diskussion und ein zähes Ringen innerhalb der im Bundestag vertretenen Parteien waren der Verabschiedung dieses Gesetzes vorausgegangen. Mit Inkrafttreten dieser Änderung im Betreuungsrecht wurde die Bindungswirkung einer solchen Vorab-Willensverfügung des Patienten auch im Zivilrecht der Bundesrepublik verankert. Eine der wichtigsten Forderungen der Deutschen Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) war damit erfüllt.

Christoph Strässer, MdBder SPD und Sprecher der Arbeitsgemeinschaft Menschrechte und humanitäre Hilfe im Deutschen Bundestag, ist einer der Abgeordneten, die vor zwei Jahren den Gesetz gewordenen Entwurf vorangebracht hatten. Anlässlich des Jahrestages war er am Stand der DGHS vorbeigekommen, um damit seiner Unterstützung der Arbeit Ausdruck zu geben.

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Christoph Strässer, MdB SPD
Er ist seit 2002 im Deutschen Bundestag und bereits in der damaligen Legislaturperiode habe das Thema auf dem Tisch des Hauses gelegen. Allerdings sei der Entwurf aufgrund der vorzeitig beendeten Legislaturperiode nicht mehr behandelt worden. In der folgenden Periode war er zusammen mit seinem Kollegen Joachim Stüncker, dessen Namen der Entwurf damals trug und der heute nicht mehr Bundestagsabgeordneter sei, einer der Wortführer für den Entwurf, der sich dann 2009 auch durchgesetzt habe.

Die Diskussion und Abstimmung über die Entwürfe wurde seinerzeit aus der Mitte des Hauses vorgetragen, d.h. die Abgeordneten fanden sich über die Parteigrenzen hinweg in Unterstützergruppen zusammen. Ist das der parlamentarische Weg der Zukunft, dass auch für laufende und kommende Regelungen, die einen weltanschauliche Konnotation haben, der Fraktionszwang aufgehoben wird?

Christoph Strässer stimmt dem für einen bestimmten Teil von parlamentarischen Entscheidungen zu. „Alles, was mit Ethik zu tun hat, ist ja auch nicht an Fraktionsgrenzen gebunden und man fühlt sich auch nicht als Abgeordneter gebunden. Für mich ist als nächstes Thema die Organtransplantation auf der Tagesordnung und da bin ich der Meinung, dass man einen sehr weitgehenden Entwurf formulieren muss, die so genannte Widerspruchslösung, und das möchte ich mir von niemandem in meiner Fraktion streitig machen lassen. Auch wenn unser Fraktionsvorsitzender eine andere Auffassung dazu hat.“

Lösen sich die alten Parteigrenzen in ethischen Fragen auf?

Nein, auch das habe Grenzen. Wenn man sich anschaue, wer für den Entwurf der jetzt geltenden Patientenverfügung gestimmt habe, so sei so gut wie kein Abgeordneter der CDU/CSU dabei gewesen. Das habe auch nichts mit Fraktionszwang zu tun, sondern sei Ausdruck einer anderen geistigen Haltung. Es gab allerdings einige wenige Kollegen in der CDU, Peter Hintze als Beispiel, mit dem er in dieser Frage eine Übereinstimmung erzielt habe.

Die Annahme, dass in der jetzigen Legislaturperiode die religiös gesinnten Abgeordneten stärker geworden seien oder sich zumindest lauter äußern, lehnt Christoph Strässer ab: „Ich darf an die Entscheidung zur PID erinnern, die bereits in der ersten Lesung, zur allgemeinen Überraschung, in unserem Sinne erfolgreich war. Und das trotz des sehr harten Widerstandes der christlich Orientierten. Andererseits, was den Auftritt des Papstes im Deutschen Bundestag betrifft, den ich selber nicht für das deutsche Parlament für passend halte, da hat sich diese Seite durchgesetzt.“

Hinsichtlich der Frage, ob er die Patientenverfügung nun ‚in trockenen Tüchern’ sehe oder ob es Versuche gäbe, das wieder zu ändern, so wie der neue Erzbischof in Berlin erklärt hat, dass er die Pro-Ethik-Entscheidung nicht hinnehmen wolle, sieht er derzeit solche Bestrebungen nicht. Er sieht im Gegenteil große Bemühungen von Abgeordneten, auch solche, die es seinerzeit abgelehnt hatten, es auf den Weg zu bringen, aufzuklären: Was ist das und wie kann man damit umgehen. Die Frage der Vorsorgevollmacht sei ja zumindest genauso wichtig wie die Patenverfügung selber. Christoph Strässer ist zuversichtlich, dass man dem Gesetz eine Chance geben wird, sich zu bewähren. Seine Erfahrungen vor Ort im Wahlkreis seien auch überwiegend so, dass die Menschen froh seien, dass es dieses Gesetz gibt.

Diese positive Grundstimmung ist auch am Informationsstand und bei den Passanten, die stehen bleiben, zu spüren. Wega Wetzel, die Pressesprecherin der DGHS ist guter Dinge: „Wir feiern diesen Geburtstag!“ Dazu gibt es eine entsprechende Torte mit einer Kerze als Zwei und Sekt: „Hat es schon jemals für ein Gesetz eine Geburtstagstorte geben?“

Passanten kommen vorbei: „Das, was sie machen, finde ich große Klasse.“ Andere sind zögerlich und fragen dann nach Informationsmaterial. Es ist eine Art Heimspiel ohne anwesenden Gegner.

Doch handeln Ärzte und Pflegende nun immer im Sinne des Patienten?

Dazu gab es auch am Informationsstand eine Unterschriftenaktion. Im Vorfeld des Jahrestages der Patientenverfügung hatte die DGHS-Präsidentin, Elke Baezner, an die Landesärztekammern appelliert, die nach der Sommerpause zusammen kommen werden: Niemand kann Sie zwingen, den Beschluss des Bundes-Ärztetags zur ärztlichen Suizid-Beihilfe zu übernehmen!

Gewissensfreiheit für alle Ärztinnen und Ärzte!

In einem Brief vom 25. August 2011 hatte sie geschrieben: „Im Namen unserer rund 30.000 Mitglieder und vieler Menschen in Deutschland bitte ich Sie eindringlich: Lassen Sie den Ärztinnen und Ärzten ihre Gewissensfreiheit! Die Bundesärztekammer mag ihre Gründe gehabt haben, auf dem 114. Deutschen Ärztetag auf ein Verbot ärztlicher Suizidbeihilfe zu dringen. Uns bleiben sie verschlossen. Mehr als 2.300 Menschen haben in den vergangenen Wochen den Appell der DGHS „Kampf gegen Bundesärztekammer-Beschlüsse“ unterschrieben, weil auch sie nicht verstehen können, dass das Leiden eines Sterbenden, seine Schmerzen und seine Hilflosigkeit angesichts des fortschreitenden Verlustes seiner Lebensqualität und seiner Würde den Funktionären ihres Berufs offenbar gleichgültig ist.

Die Hilfe zu einem menschenwürdigen Sterben ist ein Kernbereich ärztlicher Aufgaben. Dazu gehört – unter strengen Sorgfaltskriterien – die Suizidbegleitung. Das in der Neufassung der Musterberufsordnung formulierte Verbot jeder ärztlichen Hilfe zum Suizid ist nicht nur ein Eingriff in die ärztliche Selbstverantwortung, sie ist auch eine Verletzung der ärztlichen Ethik. „Ärzte dürfen weder ihr eigenes noch das Interesse Dritter über das Wohl des Patienten stellen“, heißt es in der alten wie in der neuen Berufsordnung. Wir fragen: Wo bleibt diese Ethik, wenn Menschen dazu verdammt sind, mit qualvollen, oft ungeeigneten Mitteln selbst Hand an sich zu legen, weil sie kein Vertrauen zu ihrem eigenen Arzt haben können? Noch haben Sie es in den Landesärztekammern in der Hand, sich für Gewissenfreiheit auszusprechen.

Die DGHS ruft die Landesärztekammern, die Landesregierungen, die Landespolitiker und alle am Patientenwohl orientierten Kräfte in diesem Land noch einmal dringend auf, die Bedürfnisse der Bevölkerung ernst zu nehmen und die vom Ärztetag beschlossenen verschärften Einschränkungen der Handlungs- und Gewissensfreiheit der Ärzte nicht zuzulassen."

Auf der Seite der DGHS kann dieser Appell auch online unterzeichnet werden

C.F.