Neue Zweifel an der historischen Existenz Jesu

Beispielbild
Hermann Detering / Foto: privat
In Frage steht also nicht nur die historische Person Jesu, sondern auch die Existenz eines frühen Christentums im ersten Jahrhundert?

Richtig.

Was ist der erste zuverlässige Beleg, wenn schon nicht für Jesus, dann wenigstens für das frühe Christentum?

Die ersten Zeugnisse kommen aus der Mitte bzw. der zweiten Hälfte des 2. Jahrhunderts. Kaiser Marc Aurel ist sicher ein vertrauenswürdiger Zeuge. Ebenso Lukian, der in seinem „Leben des Peregrinus Proteus“ auf humorvolle Weise einen Scharlatan porträtiert, der in den frühen christlichen Gemeinden eine führende Rolle spielte.

Worin unterscheidet sich die These, Jesus habe nicht gelebt, von der in der Frühaufklärung oft vertretenen „Priesterbetrugshypothese“?

Der Vorwurf des Priesterbetrugs setzt voraus, dass Menschen von Priestern bzw. Theologen wissentlich hinters Licht geführt wurden. Der Mensch Jesus von Nazaret ist nicht das Ergebnis eines wissentlichen Betrugs, sondern einer längeren, sehr komplizierten historischen Entwicklung, an deren Ende niemand mehr genau wusste, was am Anfang wirklich passiert war.

Richtig ist allerdings, dass die Kirche einen „geschichtlichen“ Jesus besser gebrauchen konnte als ein metaphysisches Himmelswesen. Mit Letzterem hätte sich beispielsweise die kirchliche Ämternachfolge, die auf Handauflegung beruhte, nur schlecht begründen lassen. Außerdem hatte die Kirche darauf zu reagieren, dass für die Mehrheit der Gläubigen nur das wirklich ist, was historisch ist. Das ist ja bis heute so. Leider.

Wie, wo und wann kann das Christentum, wenn es nicht auf einen Jesus von Nazaret zurückzuführen ist, sonst entstanden sein?

Nachdem auch das eine Weile bestritten wurde, weiß man heute wieder, dass die Verehrung sterbender und auferstehender Gottheiten in der Antike sehr verbreitet war. Die Mythen eines Attis, Adonis, Dionysus, Herakles weisen –– trotz unterschiedlicher Einzelheiten – im Kern das gleiche Grundmuster auf wie die Überlieferung über Tod und Auferstehung Jesu. Klage- und Auferstehungsfeiern für Adonis, Attis und andere Kultgottheiten waren über den ganzen Mittelmeerraum verbreitet und fanden teilweise zu derselben Zeit statt wie Karwoche und Ostern.

Das Christentum hat den Grundgedanken des sterbenden und auferstehenden Mysteriengottes mit dem des auf die Erde kommenden und wieder zum Himmel fahrenden gnostischen Erlösers kombiniert und daraus einen ganz selbstständigen, eindrucksvollen Mythos geschaffen. Der war ursprünglich noch ohne zeitliche Fixierung. Erst gegen Mitte des 2. Jahrhundert entstanden daraus die heutigen Evangelien. Darin wird Jesus als geschichtliche Person unter Pontius Pilatus dargestellt. Zugleich wurden dabei die kirchlichen Auseinandersetzungen des 2. Jahrhunderts in die vermeintlichen Anfänge im ersten Jahrhundert zurückprojiziert. Die Weichen für diese ganze Entwicklung wurden in Rom gestellt.

Wenn Jesus nie existiert hat, sondern eine Erfindung von Menschen ist, eine Art ins Religiöse gewendeter „Harry Potter“, was bleibt dann vom christlichen Glauben übrig, von der Autorität der Kirchen?

Die Wahrheit des Glaubens sollte sich nicht über die Geschichte definieren. Das Gleichnis vom „Verlorenen Sohn“ verliert nicht an Wert, wenn ich weiß, dass Vater und Sohn fiktive Gestalten sind. Und umgekehrt wird das Gleichnis für mich nicht dadurch wichtiger, dass ich Namen und Adresse der auftretenden Personen kenne.

Ob es einen historischen Jesus gegeben hat, der am Kreuz gestorben ist, ist in religiöser Hinsicht irrelevant… sollte es jedenfalls sein für jemanden, der für die Sprache der Zeichen und Symbole empfänglich ist. Entscheidend ist, welche Bedeutung das Kreuz für mich und mein Gottesbild hat. Wir müssen wieder zurück zu einer poetischen Betrachtungsweise der Bibel. Die ersten Evangelien wurden als Gleichnisse und nicht als Geschichte verfasst.

Fürchten Sie nicht, Probleme mit Ihrer Kirche zu bekommen?

Wovor sollte ich mich fürchten? Da sich meine Kollegen nach eigenem Selbstverständnis als „Wahrheitswissenschaftler“ betrachten, werden sie gerne mit mir um die geschichtliche Wahrheit streiten wollen. Ich freue mich auf jede offene und sachliche Auseinandersetzung.

 

Die Fragen stellte Martin Bauer.

Hermann Detering: Falsche Zeugen. Außerchristliche Jesuszeugnisse auf dem Prüfstand. Aschaffenburg: Alibri 2011. 243 Seiten, kartoniert, Euro 19.-, ISBN 978-3-86569-070-8

 

Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.