(hpd) Der Historiker und Politikwissenschaftler Albert Scharenberg legt eine Lebensbeschreibung des Bürgerrechtlers Martin Luther King vor. Dabei wird die Aktualität von dessen Ideen deutlich, ging es ihm doch nicht nur um die rechtliche Gleichstellung der Schwarzen, sondern auch um den politischen Kampf gegen die Armut.
Seit 1983 gilt Martin Luther Kings Geburtstag in den USA als nationaler Feiertag. Sind aber mit dieser offiziellen Ehrung auch seine politischen Ideen zur sozialen Realität geworden? Diese Frage muss man wohl klar verneinen, obwohl 2008 erstmals in der Geschichte des Landes ein Schwarzer zum Präsidenten gewählt wurde.
Darauf macht nicht nur, aber auch eine neue Lebensbeschreibung von dem Historiker und Politikwissenschaftler Albert Scharenberg aufmerksam. Das schlicht „Martin Luther King. Ein biographisches Porträt“ betitelte Werk des Autors, der mit einer Studie über Malcolm X und als Redakteur der „Blätter für deutsche und internationale Politik“ bekannt geworden ist, versteht sich zwar in erster Linie als schlichte Darstellung von Leben und Werk. Dabei wird aber auch deutlich: King ging es keineswegs nur um die rechtliche Gleichstellung der Schwarzen. Sein Engagement reichte viel weiter: Nicht nur die Ablehnung des Vietnamkriegs, sondern auch der Kampf gegen Armut gehörten zur Agenda des Protestes.
Entgegen der üblichen Struktur einer Lebensbeschreibung geht Scharenberg von einem bestimmten Ereignis in Kings Leben aus, das immer wieder Bezugspunkt der Darstellungen über die Zeit davor und danach ist: Am 15. April 1963 sitzt der Bürgerrechtler im Gefängnis in Alabama und verfasst seinen „Letter from Birmingham“, worin die Begründung des gewaltfreien Protestes niedergelegt wurde. Die anderen Kapitel konzentrieren sich auf bestimmte Etappen von Kings persönlichem und politischem Wirken. Scharenberg beendet sein Buch mit den Worten: Dass es ihm, „dem angefeindeten, verfolgten und schließlich ermordeten politischen Außenseiter, gelang, gemeinsam mit den Armen und Entrechteten des Landes derart massive Gesetzesänderungen durchzusetzen, ohne dass er selbst über irgendeine institutionelle Entscheidungsmacht verfügt hätte, ist historisch beispiellos. Und deshalb macht der Triumph der sozialen Bewegung ihren selbstlosen Anführer, Dr. Martin Luther King junior, zum vielleicht größten Amerikaner, der je gelebt hat“ (S. 207).
Das klingt ein wenig nach „Heldenverehrung“ – und in der Tat zeichnet der Autor mit Ausnahme der Hinweise auf private Verfehlungen wie Affären oder Plagiate ein überaus positives Bild der dargestellten Person. Dafür gibt es aber angesichts dessen glaubwürdigen und mutigen Engagements auch gute Gründe, berücksichtigt man den historisch-politischen Kontext von Kings Wirken. Scharenberg macht etwa mehrmals darauf aufmerksam, dass der Bürgerrechtler bereits seit seinen ersten Aktivitäten immer Morddrohungen ausgesetzt war. Etwas geringere Aufmerksamkeit findet, dass King in den Protestbewegungen mit seinem Ansatz keineswegs als unumstritten galt. Kurzum, er bewegte sich in einem komplexen Spannungsverhältnis. Scharenberg geht in einem Kapitel auch auf die Überwachung Kings durch das FBI und die in diesem Kontext aufkommenden Kampagnen gegen ihn ein. Hierbei handelt es sich um einen – in seiner Dimension kaum zu unterschätzenden - Schandfleck auf der Geschichte des demokratischen Verfassungsstaates in den USA.
Bereits zu Beginn seiner Lebensbeschreibung behandelt Scharenberg auch Kings religiöses Selbstverständnis. Hier referiert er ein wenig distanzlos die Bezüge zum Glauben, die womöglich auf eine sachlichere sozialwissenschaftliche Grundlage gestellt werden müssten. So heißt es etwa: „Offenbar hatte Gott ihm zu einer Radikalisierung geraten“ (S. 28). Könnten dafür nicht bedeutendere irdische Faktoren eine Rolle gespielt haben?
Besondere Aufmerksamkeit verdienen noch die Ausführungen, die sich auf die „Poor People’s Campaign“ gegen die Armut und die Wirtschaftsentwicklung beziehen. King sprach sich dabei für einen allgemeinen Krankenversicherungsschutz und für sozialstaatliche Programme aus. Gerade der Blick auf diese Forderungen und Positionen macht deutlich, dass die Ideen des Bürgerrechtlers nach wie vor noch aktuell sind und er entgegen seiner offiziellen Würdigung über einen Feiertag bisher nur eingeschränkt als historischer Sieger gelten kann. Scharenbergs Buch macht auf eine faszinierende Persönlichkeit aufmerksam.
Armin Pfahl-Traughber
Albert Scharenberg, Martin Luther King. Ein biographisches Portrait, Freiburg 2011 (Herder-Verlag), 224 S., 12,99 €.