Occupy Wall Street - Occupy Frankfurt

Runde eins: Billionenhohe Auslagerungen

Die versteckten - pardon, ausgelagerten - Gelder haben Billionenhöhe. Die beste Schätzung dürfte 50 Prozent Werthaltigkeit sein; aber man serviert diese Verluste scheibchenweise, 10 oder 20 Mrd. pro Jahr, auf 20 bis 30 Jahre. Realistisch betrachtet kommt leicht eine halbe Billion raus, die den Finanzkonzernen geschenkt wurde - und das rechtfertigt den Protest allemal.

Dabei war das erst Runde eins, und Runde zwei ist schon in Arbeit. Die Politik hat ja kein Problem, denselben Fehler zweimal zu machen, und dagegen treten die Protestierenden an. Keiner will mehr ansehen, wie die Verhältnisse auf den Kopf gestellt werden. Genau das ist doch der Fall, wenn die Politik übernimmt und die ökonomischen Realitäten aushebeln will. Die Bittsteller - marode Banken und Staaten - erhalten erst einmal bedingungslose Garantien: „Wir lassen niemanden allein, wir retten die Systemrelevanten.“ Dann macht sich die Politik Gedanken darüber, wie sie vielleicht doch den Reformdruck zustandebringen kann, den sie durch die Abwendung der Pleite vergeudet hat. Und am Ende laufen die Politiker den Geretteten hinterher, um ihnen wenigstens einen Anteil der Bürden aufzuerlegen.

Der unmittelbare Reformdruck aus dem Konkurs fehlt ja jetzt und ist durch willkürlichen Druck aus der politischen Mache ersetzt worden. Den Südländern einen Staatsbankrott per politischem Akt aufzuerlegen, fordert logischerweise den Protest der Betroffenen heraus; und in der Finanzindustrie läuft das schon gar nicht. Die Banker ziehen jeden Politiker so schnell über den Tisch, dass er die Reibungshitze für Nestwärme hält und sich wohlig akzeptiert vorkommt.

"Heilig" gleich "systemrelevant"

Verantwortungsabwälzung und Reformvermeidung sind nicht alles, was die Herren der Welt, Abteilung Wall Street, zustandebringen. Es geht bis zur Schaffung von Heiligtümern. Was in der Religion „heilig“ ist, ist in der Finanzwelt „systemrelevant“. Das Dogma vom unabwendbaren Zusammenbruch des Finanzsystems bei Lehman-Pleiten wurde von einer milliardenschweren Bankenlobby vorgebetet - und die Politik ist darauf reingefallen und hält die Großbanken für sakrosankt.

Aber wenn Banken pleitegehen, heißt das nicht, dass der Zahlungsverkehr eingestellt wird. Da kommt ein Insolvenzverwalter, der die wesentlichen Funktionen aufrechterhält. Der müsste natürlich die Gläubiger zur Beteiligung an dem Schaden heranziehen. Wenn's richtig gemacht wird, kann auch keiner schnell noch sein Geld abziehen und dadurch Panik ins System tragen.

Und wenn doch - was schert das die Leute mit den kleinen Konten? Für die ist doch leicht durch staatliche Garantien zu sorgen. Außer der Liebedienerei fürs Kapital gibt es keinen Grund, sich noch länger von der Systemrelevanz erpressen zu lassen. Es geht gar nicht darum, den Laden in drei Teile zu teilen, und dann machen die zusammen dasselbe wie vorher der ganze Verein. Die richten dann doch denselben Schaden an mit derselben Durchschlagskraft.

Es geht darum, sich von den vermeintlichen Heiligtümern zu emanzipieren und die sakrosankten Pfründe zu schleifen. Es geht darum, nicht länger Entscheidungsträger zu subventionieren, die keinen Nutzen schaffen und trotzdem den Profit absaugen. Es geht darum, das Zockertum aus den Finanzmärkten zu vertreiben, damit sie wieder der Realwirtschaft dienen.

Das ist es, was Occupy Wall Street anstrebt.

Niemand kann entkommen

So ist der Stand der Dinge: Niemand kann der Finanzindustrie entkommen, weil das meiste Geld jetzt im Computer steckt. In so einem Zwangssystem müssten Anstand und Redlichkeit herrschen, aber stattdessen herrschen dort die Finanzkünstler. Unter deren Ägide missbrauchen die Banken die Kundengelder, um den Aktionären übertriebene Renditen und dem Management überzogene Vergütungen zu erzocken; und obendrein entzieht sich die Finanzwelt weitgehend der Besteuerung. Trotz dieser Entsozialisierung wird der Steuerzahler gezwungen, die Fehler der Banken durch immense Geschenke auszubügeln. Indem die Banken das geschenkte Geld in deutschen Staatsanleihen anlegen, kehrt das Geld zurück - nur gehört es dann den Banken, und die Allgemeinheit muss ihnen auch noch Zinsen dafür zahlen.

Die Finanzkonzerne bezahlen nicht den Schaden, den sie anrichten. Sie halten sich auch sonst nicht an die Regeln, beziehungsweise sie wickeln das politische Establishment dermaßen ein, dass die Regeln für sie deformiert werden. Und die Allgemeinheit soll sich ihnen gegenüber dran halten!?

Der basisdemokratische Protest sagt nein. Der gewaltige Regelbruch der Finanzindustrie rechtfertigt den geringfügigen Regelbruch des unautorisierten Protests in jeder Weise. Es ist an der Zeit, die quasireligiösen Dogmen zu sprengen, mit denen die Umverteilung von arm zu reich betrieben wird. Weil die politischen Parteien vollständig versagt haben, ist die Occupy-Volksversammlung ein guter Weg, das Recht der Allgemeinheit gegen die Abkassierkünstler zu erstreiten. Wir sind lange genug die 99 Prozent-Zahler gewesen. Jetzt wollen wir die 99 Prozent sein, für die das Große Ganze stattfindet.
 

Wilfried Müller