(hpd) Der von Wilhelm Heitmeyer herausgegebene Band „Deutsche Zustände. Folge 10“ präsentiert die aktuellen Ergebnisse zu Forschungen über „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ sowohl bezogen auf das Ausmaß wie die Kontexte. Vor allem der letztgenannte Gesichtspunkt verdient auch hier wieder besonderes Interesse.
Seit 2002 erscheinen die „Deutschen Zustände“. Die damit gemeinten Bände enthalten die Ergebnisse von Umfragen, die das von Wilhelm Heitmeyer geleitete Bielefelder Institut für interdisziplinäre Konflikt- und Gewaltforschung durchführt. Darin soll es um das Ausmaß und die Kontexte „Gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit“ (GMF) gehen. Im Kern sind damit Aversionen und Vorurteile gegenüber den Angehörigen von Minderheiten gemeint. Dementsprechend setzt sich die gemeinte GMF aus folgenden einzelnen Einstellungen zusammen: Abwertung von Asylbewerbern, Abwertung von Behinderten, Abwertung von Langzeitarbeitslosen, Abwertung von Obdachlosen, Abwertung von Sinti und Roma, Antisemitismus, Etabliertenvorrechte, Fremdenfeindlichkeit, Homophobie, Islamfeindlichkeit, Rassismus und Sexismus. Die Sozialwissenschaftler gehen bei ihren Analysen davon aus, dass eine Einstellung im erwähnten Sinne nicht für sich allein steht, sondern mit anderen Einstellungen verbunden ist. Daher sprechen sie von einem Syndrom.
Mittlerweile liegt „Deutsche Zustände. Folge 10“ vor, worin eine Bilanz zur Entwicklung der bisherigen Forschungen gezogen wird. Dabei konzentriert man sich wie in den vorherigen Bänden nicht nur auf die quantitative Dimension einschlägiger Aversionen und Ressentiments. Noch erkenntniserhellender sind die Analysen des empirischen Materials, die nach den Zusammenhängen derartiger Einstellungen mit anderen Gesichtspunkten wie Arbeitslosigkeit oder Bildung, Skandalen oder Wirtschaftskrisen fragen. Dabei sollten auch immer die gesamtgesellschaftlichen Entwicklungsprozesse allgemein als Rahmenbedingung und besonders als Bedingungsfaktoren Beachtung finden.
Heitmeyer macht dies im aktuellen Band bezogen auf die „Entsicherung“ deutlich, geht er doch davon aus, „dass das zurückliegende Jahrzehnt von Entsicherung und Richtungslosigkeit ... markiert ist, in dem auch die schwachen sozialen Gruppen ... eine Ideologie der Ungleichwertigkeit sowie psychische und physische Verletzungen erfahren haben“ (S. 19).
In seiner Bilanz zu den Entwicklungen des erwähnten Syndroms macht er darüber hinaus deutlich, dass es in bestimmten Teilbereichen negative wie positive Entwicklungen gegeben habe: Während etwa ein Rückgang von Antisemitismus und Islamfeindlichkeit zu konstatieren sei, hätten demgegenüber Fremdenfeindlichkeit und Rassismus zugenommen. Darüber hinaus halte jeder fünfte Befragte die Anwendung von Gewalt zur Durchsetzung politischer Ziele für legitim.
Die 16 folgenden Abhandlungen beschäftigen sich dann mit den unterschiedlichsten Kontexten der Teilbereiche des GMF-Syndroms. Hierzu gehört etwa die Entwicklung rechtspopulistischer Orientierungen und politischen Verhaltens, der Effekt von Prekarisierung auf fremdenfeindliche Einstellungen, die Bedeutung von Jugendarbeitslosigkeit für Fremdenfeindlichkeit, die Entwicklung von Vorurteilen gegen Juden und Muslime, die Wirkung von Vorstellungen von kultureller Homogenität oder die antisemitischen Einstellungen von Jugendlichen aus muslimischen Kontexten.
Gerade in der empirischen Überprüfung einschlägiger Einstellungen und Wirkungen besteht der hohe Erkenntnisgewinn der einzelnen Beiträge auch dieses Bandes der „Deutschen Zustände“. Ergänzt wird er noch um allgemeinere Abhandlungen wie etwa hier eine Analyse von öffentlichkeitswirksamen Inszenierungen eines „Tabubruchs“. Kritikwürdig wäre aber auch, dass seit gut zehn Jahren die Kritik an den genutzten Einstellungsstatements und Kategorien komplett ignoriert wird. Zwar spricht man etwa nicht mehr von „Islamophobie“ und jetzt ohne nähere Begründung von „Islamfeindlichkeit“. Doch eine „Gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit“ müsste sich doch auf eine Gruppe, nämlich die Muslime, und nicht eine Religion, nämlich den Islam beziehen. Auch bei manchen Einstellungsstatements zur Messung der Akzeptanz von Vorurteilen ist Skepsis angebracht, ignoriert man doch nicht intensiv genug den Unterschied von Zustimmungen für eindeutige Diskriminierungsabsichten und oberflächliche Vorbehalte. Mehr Selbstkritik hätte auch hier gut getan.
Armin Pfahl-Traughber
Wilhelm Heitmeyer (Hrsg.), Deutsche Zustände. Folge 10, Berlin 2011 (Suhrkamp-Verlag), 331 S., 15 €