Heimkinder: Nun geht es ums Geld

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Ein Kinderspielzeug / Foto © Evelin Frerk

BERLIN. (hpd) Wer kann etwas bezahlen und wer will etwas bezahlen, in welcher Form soll Geld fließen und an wen? Diese Fragen bewegten nicht nur die bis zu 800.000 ehemaligen Heimkinder der BRD und die ca. 30.000 Betroffenen aus den Heimen der DDR. Hiermit beschäftigten sich der Bundestag, die Länder, die Kirchen, Diakonie und Caritas, Verbände, die Runden sowie der Eckige Tisch, MinisterInnen, Sonderbeauftragte etc. Erste Erfahrungen.

Da gibt es einmal den 2010/2011 beschlossenen Fonds mit 100 Millionen Euro Sachleistungen und 20 Millionen Euro für Rentenausgleichszahlungen, an dem sich je zu einem Drittel Bund, Länder und Kirchen beteiligen.

Die Diakonie, der größte Landesverband in NRW, teilte dazu am 14.12.2011 über ihren einstimmig angenommenen Beschluss der Mitgliederversammlung mit, sie werde sich mit 710.000 Euro beteiligen und damit gemeinsam mit der rheinischen Diakonie, die mehr als eine Million gebe also fast zwei Millionen, in den Fonds einzahlen. „Wir übernehmen damit Verantwortung für das Leid, das zahlreiche ehemalige Heimkinder in unseren Einrichtungen erfahren mussten“, erklärt der Vorstand Pastor Günther Barenhoff.

Für mich hörte sich diese Zahlungszusage freiwillig an und ich fragte mich, ob das wohl eine zusätzliche Zahlung sei? Was sollte sonst diese Meldung bewirken, die den Abschlussbericht „Runder Tisch Heimerziehung" vom 13.12.2010 bestätigt.

Im Gespräch mit Günther Barenhoff ließ sich dann klären: Nein, man wolle der Entscheidung der evangelischen Kirche nichts entgegensetzen, die Nachricht sei ein positives Signal nach innen, und man freue sich, dass eine Regelung gefunden wurde, um möglichst allen gerecht zu werden.

Möglichst allen gerecht zu werden?

Ja, viele wünschen sich, allen gerecht zu werden. Dieser Satz begegnete mir im Rahmen der Recherche zu dieser Serie immer wieder. Von den Bodelschwinghschen Anstalten beispielsweise liegt einem ehemaligen Heimkind die vor kurzer Zeit ausgestellte Bescheinigung darüber vor, der jetzt über 60-Jährige habe dort 17 Monate gearbeitet, dafür kein Entgelt bekommen und die heute üblichen Sozialabgaben seien nicht abgeführt worden.

Der Mann ist inzwischen Rentner, und die Zeit, in denen er in den Bodelschwinghschen Anstalten zur Arbeit verpflichtet war, auch das ist wieder ein mageres Wort, fielen bei der Rentenberechnung unter den Tisch. Auf meine Frage: „Wenn diese Tatsache bekannt ist, wäre es doch angesagt, einen Ausgleich vorzunehmen?“, erhielt ich genau diese Antwort: „Nein, das geht nicht. Es gibt viele ehemalige Heimkinder mit gleichem Anspruch, die diesen aber nicht stellten, und man müsse allen gerecht werden.“

Die Betroffenen sprechen nicht erst in den vergangenen 12 Monaten darüber, wie sie sich Entschädigungen vorstellen und haben aktiv dem Runden Tisch Heimerziehung ihre Vorstellungen und Vorschläge vorgelegt. Sie haben an jeden einzelnen Bundestagsabgeordneten geschrieben, diskutieren öffentlich in Foren, geben Interviews und haben ihre Teilnahme an Findungsgremien durchgesetzt. „Wir werden oftmals nicht in gleicher Augenhöhe akzeptiert", so schildern sie ihre Erfahrungen und bemerken durchaus, wenn für sie positive Vereinbarungen manches Mal erst durch ihren Nachdruck und nachträglich in ein Protokoll aufgenommen werden.

Einzelne Betroffene versuchten über andere Wege eine Verbesserung ihrer derzeitigen schlechten Situation zu finden, die sie auf die „Missstände" RTH in der Heimerziehung zurückführen.

Erste Erfahrungen

1. Richard Sucker, der 2011 die direkte Kontaktaufnahme mit den Rummelsberger Anstalten, Schwarzenbruck bei Nürnberg, aufnahm und dem die Rummelsburger Anstalten einmalig 1.200 Euro zur freien Verfügung angeboten haben: für sieben Jahre Kinderarbeit pro Tag 45 Cent.

2. Norbert Kipp stellte im Juli 2011 einen Antrag auf Anerkennung nach dem Opferentschädigungsgesetz (OEG). Er bekommt eine monatliche Rentenzahlung nach OEG von 5,75 Euro.

Richard Sucker

Richard Sucker liest aus einem Brief vor: „Absender: Rummelsberger ...“ „ ... „AZ BR-C Dr. Günter Breitenbach“, Datum 13.12.2011
Sehr geehrter Herr Sucker, immer wieder denke ich an unser Gespräch in Nürnberg ... zurück. Dabei beschäftigt mich die finanzielle Frage.... biete ich Ihnen in Namen des Vorstandes der Rummelsberger .... ... eine einmalige Zahlung ... Sie können über die Summe von € 1.200 frei verfügen.“ Dann bleibt es still.

Als ehemaliges Heimkind war Richard Sucker sieben Jahre lang ein „Rummelsberger“ und das nicht aus freien Stücken. Er kam mit 13 Jahren in der Anstalt an und verließ sie mit 19 Jahren. 2011 nahm er Kontakt zu dem jetzigen Vorstandsvorsitzenden der Rummelsberger Anstalten der Inneren Mission E.V. , Dr. Günter Breitenbach, Pfarrer und Rektor der Rummelsberger Brüderschaft, auf und der kam Suckers Forderung nach, sich zu einem Gespräch mit ihm zu stellen.

Einmalzahlung von 1.200 Euro zur freien Verfügung

„Er hat mich 6 Wochen warten lassen, dann verabredeten wir uns für den 4. November 2011, 14 Uhr zu einem Treffen auf neutralem Boden in dem relativ großen Literatur-Café. Meine Forderung waren für 7 Jahre und, weil ich ja auch an den Sonntagen eingesperrt war, 365 Tage, also 2.920 Tage mit je einem Tagessatz von 46,00 Euro. Die Rummelsberger Anstalten bieten mir jetzt 45 Cent pro Tag.“

Als Rückblick: Im November 2009 wurde bekannt, dass die Rummelsberger Anstalten ihrem früheren Hauptgeschäftsführer Christian Tölken, der im Streit 2006 seinen Dienst quittiert hatte, als „goldenen Handschlag“ eine Abfindung von 450.000 Euro ausgezahlt haben.

Norbert Kipp

Norbert Kipp, am 30.08.1946 geboren, lebt in Hamburg und ist, so schreibt der Gutachter, nicht mehr in der Lage, ohne Hilfe im vollen Umfang seine Haushaltsführung zu bewältigen.

Kipp stellte im Juli 2011 einen "Antrag auf Beschädigtenversorgung nach dem Gesetz über die Entschädigung für Opfer von Gewalttaten (OEG)".

Der Antrag kam an.
Dem Antrag wurde entsprochen.
Die monatliche Rentenzahlung von Euro 5,75 wird Norbert Kipp erhalten.

Nachfragen bei der bearbeitenden Stelle wurde erst mit Kopfschütteln, und dass so etwas nicht möglich wäre, beantwortet.

Monatliche Rentenzahlung von Euro 5,75

Wir konnten eine Vollmacht vorlegen und bekamen Auskunft. Bei der Prüfung wurde klar: Der Bescheid entspricht der Gesetzeslage.

"Leistungen vor Inkrafttreten des OEG - (so ist es bei Norbert Kipp) werden bewilligt bei besonderen Härten" - Härten bezieht sich nur auf die finanzielle Situation, nicht auf das Erlebte. Das OEG gewährt kein Schmerzensgeld und Leistungen können auch von anderen Leistungsträgern erbracht werden. Diese müssen bei der Beurteilung der gewährten Leistung berücksichtigt werden.

Rente plus Leistung des ehemaligen Arbeitgebers, Grad der Schädigung, Grundrentenbetrag - genau wie es der Gesetzgeber in den Richtlinien und Tabellen vorschreibt - ergeben dann korrekt den monatlichen Rentenbezug nach dem OEG von Euro 5,75.

Am 8.4.1959, Norbert war 13 Jahre alt, wurde er ins Stefansstift Hannover eingeliefert. In den kommenden zwei Jahren wurde Norbert Kipp bis zu drei Mal wöchentlich sexuelle Gewalt angetan. Er informierte die Erzieher und erhielt das Privileg auf eine frische Unterhose und eine Spalttablette täglich. Schläge mit der Pferdepeitsche, unter dem Strahl eines Kaltwasser-Rohrs stehen zu müssen, die Namen seiner Peiniger, das alles ist in dem OEG-Antrag zu lesen, der nach Sachprüfung anerkannt wurde. Aber, leider, die Taten waren vor dem Inkrafttreten des Opferentschädigungsgesetzes verübt worden.

Ausblick

2011 geht zu Ende. Der Fonds zum Ausgleich von Folgeschäden, die auf die Heimerziehung zurückzuführen sind, ist ebenso wie der Rentenfonds entstanden. Bundesweit wurden und werden noch Anlaufstellen gegründet, Mitarbeiter gesucht, manche wurden auch schon geschult, es wurden Leitlinien erarbeitet, nach denen aus dem Fonds Leistungen fließen können. Wie arbeitet der Fonds, etc.? Darüber berichtet der hpd im Januar 2012.

 

Evelin Frerk