Die Causa Kampusch

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Screenshot "Die Presse"

WIEN. (hpd) Die Causa Kampusch erregt wieder die österreichische Öffentlichkeit. Politiker spekulieren, wie viele Menschen Natascha Kampusch entführt haben, Polizisten ermitteln rechtswidrig, das Opfer wird angefeindet. Dazwischen wird ein Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft bekannt. Konfliktbewältigung auf österreichisch.

Um am letzten Stand der Causa Kampusch zu sein, muss man hauptberuflicher Causa-Kampusch-Beobachter mit Überstundenpauschale sein. Der Öffentlichkeit ist in den Enthüllungen, Spekulationen und Interviews der vergangenen Wochen der Überblick abhanden gekommen. Ein ORF-Interview mit der heute 24-Jährigen, die als Zehnjährige entführt und acht Jahre lang gefangen gehalten wurde, brachte auch nicht die ersehnte Klarheit. Aber Einblicke in die Gefühlswelt einer jungen Frau, die praktisch seit dem Moment ihrer Flucht mit Spekulationen konfrontiert wird, die die Grenze des guten Geschmacks übersteigen. Ehemalige Höchstrichter und ein Nationalratsabgeordneter stellten ihre Glaubwürdigkeit öffentlich infrage. Mittlerweile werde sie auf offener Straße angefeindet und der Lüge bezichtigt, schildert die junge Frau.

Das liege möglicherweise daran, dass Natascha Kampusch nach außen hin nicht das „arme Hascherl“ spiele, das gebrochene Opfer, schreibt die Kolumnistin Christiane Tauzher am Dienstag im Gratisblatt „heute“. Das passe nicht in das Schema, das viele Menschen von einem Kind erwarten würden, das jahrelang in Gefangenschaft gehalten wurde. Zu einem ähnlichen Schluss kommt offenbar die Innsbrucker Staatsanwaltschaft. Sie hatte zuletzt den Fall untersucht – sechs Jahre nach der Flucht der damals 18-Jährigen sollten offene Fragen geklärt werden. Unter anderem, ob die Polizei Fehler gemacht habe. Laut einer Vorabmeldung der Wiener Wochenzeitung „Falter“ attackiert die Staatsanwaltschaft vor allem den ehemaligen OGH-Präsidenten Johann Rzeszut: „Bei Natascha Kampusch handelt es sich augenscheinlich in den Augen des Dr. Rzeszut nicht um ein maßstabsgerechtes Opfer, weil sie vom Täter nicht gänzlich zerstört wurde, sondern sich der Situation angepasst hat, und sich nach außen hin stark gibt. Die Frage ist nur, ob das den Vorstellungen des Dr. Rzeszut gerecht werdende Opfer ein solches Schicksal überhaupt überlebt hätte.“ Rzeszut hatte gesagt, er schließe aus, dass nur Wolfgang P. für die Entführung Kampuschs verantwortlich gewesen sei. Indirekt beschuldigte er das Entführungsopfer, zu lügen. Kampusch höre zu stark auf ihre psychologischen und juristischen Berater.

Die Aussagen brachten vor kurzem den Nationalratsabgeordneten Werner Amon (ÖVP) dazu, die Einzeltäter-Version in der Causa Kampusch gegenüber dem Spiegel als „schwer aufrechtzuerhalten“ zu bezeichnen. Amon ist zumindest in Sachen Kampusch nicht irgendwer. Er leitet einen Ausschuss im Nationalrat, der sich mit der Causa befasst. Pikanterweise ist er Parteikollege der zuständigen Ministerinnen aus dem Innen- und dem Justizressort. Etwas schärfer in der Tonart die FPÖ. Auf der Seite „unzensuriert.at“ aus dem Umfeld des Dritten Nationalratspräsidenten Martin Graf ist auffällig oft von „Vertuschungen“ die Rede.

Irgendwo dazwischen schießen Spekulationen ins Kraut, Kampusch decke einen Kinderpornoring oder habe mit ihrem Entführer ein Kind. Ein Polizist und FPÖ-Politiker verfolgte die These auf eigene Faust und versuchte beinahe kabarettreif, sich in eine Schule einzuschleusen, die die angebliche Kampusch-Tochter besucht. Seine Bemühungen, eine DNA-Probe zu erhalten, scheiterten. Dass er keine richterliche Genehmigung hatte, versteht sich von selbst.

Das Interesse der Öffentlichkeit erlischt langsam. Zumal niemand mehr durchblickt, ob die jüngsten Spekulationen auch nur entfernt etwas mit dem zu tun haben, was man gemeinhin als Wirklichkeit bezeichnet. Oder zumindest mit ein wenig Fantasie aus halbwegs seriösen Akten zusammenkonstruiert werden könnten. Dafür liefert auch eine der wenigen seriösen Quellen, der investigative Journalist Florian Klenk vom Falter, keine Anhaltspunkte. Er ist es, dem der Abschlussbericht der Staatsanwaltschaft Innsbruck zugespielt wurde. Dort heißt es, es gebe sicher Widersprüche im der Causa – was einigermaßen versierte Beobachter wenig überrascht. Seit der Entführung von Natascha Kampusch sind 14 Jahre vergangen. Die Erinnerungen von Zeugen verblassen. Dass die Betroffene auch nicht jedes Detail ihrer Gefangenschaft parat hat – und vielleicht aus Selbstschutz manchmal ein wenig zurück hält – sollte ebenfalls an sich keinen großen Neuigkeitswert darstellen. Da muss man nicht ihre Glaubwürdigkeit insgesamt in Zweifel ziehen. Widersprüche und Unaufgeklärtes gibt es in jedem Kriminalfall.

Sollte es Versuche gegeben haben, etwas zu vertuschen, wäre es die Rolle der Öffentlichkeit, auf Aufklärung zu drängen und zu entscheiden, ob weitere Ermittlungen in der Causa Sinn machen. Allein, inmitten der jüngsten Serie an Informationen und Pseudo-Informationen ist die kaum mehr imstande, Wahrscheinliches von Unwahrscheinlichem zu trennen. Und das Modell parlamentarischer Ausschuss scheint nach den Ausritten seines Vorsitzenden nicht imstande, neue Erkenntnisse zu liefern. In der öffentlichen Debatte schenken einander Gegner und Befürworter neuer Ermittlungen ohnehin nichts mehr. Wie es in der Tageszeitung „Der Standard“ heißt, geht es nur mehr darum, Recht zu haben. Emotionen wird freier Lauf gelassen. Aufklärung auf österreichisch.

Bleiben kritische Journalisten. Und die sind wie Florian Klenk eher der Überzeugung: Es reicht. Weitere Ermittlungen werden kaum neue Erkenntnisse bringen. Sie werden nur die Gefahr vergrößern, dass neue und möglicherweise absurdere Aktionen ins Kraut schießen. Zum Schaden vor allem der Betroffenen.

Vielleicht wäre das Beste, als offizielle Theorie zu übernehmen, was ein User auf derstandard.at vorschlägt: „Frau Kampusch hat in Wirklichkeit Herrn Priklopil (Entführer von Natascha Kampusch, Anm.) entführt, weil der ein Verhältnis mit ihrer Mutter hatte, sie sich jedoch so sehr ein Kind von ihm wünschte. Dies realisierte sie mit der Hilfe von Officer Kröll und der unehelichen Tante von Stefan Petzner (die zweite Person im Wagen). Trotz jahrelanger Gefangenschaft brachte es Herr Priklopil nicht übers Herz, die damals noch sehr junge Frau Kampusch zu schwängern, weshalb er sich aus Scham in seiner Garage selbst mehrmals mit dem Auto überfuhr, weil er ahnte, dass Frau Kampusch ihn nun mit der Hilfe von Herrn Feuerstein (Christoph, ORF-Redakteur, Anm.) in der Öffentlichkeit als impotenten Jammerlappen darstellen würde. Priklopils Leiche wurde nun von Peter Pilz (Grün-Abgeordneter, Anm.) am Gleis deponiert, um den Lokführer zu erschrecken.“

Auch Sarkasmus ist eine Form des Humors. Womit die wichtigste Voraussetzung für eine Konfliktbewältigung auf österreichisch gegeben wäre. Ob es der Wahrheit entspricht, ist sekundär. Aber das war in diesem Land noch selten ein Kriterium.

Christoph Baumgarten