Nur nachgeäfft? – Einfühlung macht Affen schlau

Schimpansen können gezielt kommunizieren

Vor zwölf Jahren erbrachte der amerikanische Wissenschaftler Charles Menzel in Guinea-Bissao mit der Schimpansendame Panzee, die auf einer Computertastatur 120 Symbole lernte, den Beweis, dass zumindest diese Schimpansin ihren Pfleger mittels der Computersymbole auf die genaue Position versteckter Apfelsinenbeutel außerhalb des Käfigs hinweisen konnte. Sie dirigierte ihn sogar um Hindernisse herum. Dazu wäre sie nicht in der Lage, wenn das Gehirn nicht dazu ausgestattet wäre, differenzierte Signale über Richtungen zu verstehen und zu kommunizieren, auch wenn wir Menschen bis jetzt noch nicht genau erfassen, wie das geschieht, argumentieren die Amerikaner Charles Menzel und Emil Menzel in einem Essay des Buches.

Oft fotografierte Frans de Waal im Zoo von San Diego Schimpansen, die einen in einer Rivalität unterlegenen Artgenossen trösten, indem sie den Arm um ihn legen. Oder Schimpansenmütter, die einem Sprössling, der sich zu hoch hinaufwagte ins Geäst und den Weg nicht mehr hinunter fand, die helfende Hand reichten, um ihn sicher wieder hinabsteigen zu lassen. Filippo Aureli maß schließlich den stressanzeigenden Cortisolgehalt im Kot von Schimpansen bei Auseinandersetzungen um die Rangordnung und nach entsprechenden darauf folgenden Streichel- und Tröstungssessions. Der Cortisolspiegel stieg nicht nur bei den Affen, die eine Aggression erfuhren, sondern auch bei denen, die sie beobachteten, und er sank nicht nur bei den getrösteten, auch bei den tröstenden.

Wollen die Tröster und Helfer etwa nur sich selber wohler fühlen, wenn sie helfen, ist also, was als Altruismus erscheint, eigentlich Egoismus? – Man weiß es nicht. Aber man weiß, dass Schimpansen Futter teilen, ehe sie die Erfahrung machen, von dem Profiteur später selbst zu profitieren. Sie erfassen, dass der andere auch etwas fressen will, und fühlen sich einfach besser damit, zu teilen, unabhängig davon, ob der Beschenkte um Futter bettelt oder nicht. Solch altruistisches Verhalten scheint also schon lange vor dem Menschen im Laufe der Evolution aufgetaucht zu sein.

Schimpansenbabys können sich an der Mutter festhalten und Mütter ihre Kinder umarmen, weil sie nicht zwei Hände und zwei Füße haben, sondern weil sie vier Hände haben. So die überraschende These schließlich von Tetsuro Matsuzawa. Weil Menschenmütter das nicht mehr können, seit der Australopithecus aufrecht auf zwei Beinen steht, müssen sie ihre Kinder gelegentlich für längere Zeit ablegen und tragen sie nicht ständig, wie Schimpansenmütter, fünf Jahre lang mit sich herum. Sie halten den emotionalen Kontakt miteinander, indem sie sich ins Gesicht sehen, und sie entwickelten deshalb die menschliche Sprache, um miteinander zu kommunizieren. Weil sie nicht mehr über vier Hände verfügen!

Einfühlung und in der Vorstellung vollzogene Nachahmung sind nicht nur die Motoren der höchsten Kunstform, wie einst Aristoteles bei seiner Abhandlung über das Theater nachwies, sie sind die Voraussetzung für das Zusammenleben und Lernen in Gruppen schon im Tierreich mit zahlreichen überraschenden Aspekten bei unseren nächsten Verwandten, den Affen. Darüber nachzudenken, dazu bietet der Essayband von Frans de Waal und Pier Franscenso Ferrari zahlreiche Anregungen auch für Nichtbiologen.

Die alte Frage, ob Tiere ein Selbstbewusstsein haben, ist damit freilich nicht beantwortet, nur wissen wir, dass auch diese mit der Fähigkeit der Einfühlung einhergeht. Schimpansen ab einem gewissen Alter, ja selbst Elefanten, können sich im Spiegel wiedererkennen, langen mit Händen oder Rüssel nach einem Farbfleck am Kopf. Sie erfassen, so Frans de Waal, dass das Spiegelbild gegenüber, sie selbst spiegelt. Offenbar hängt nun die Fähigkeit, sich selbst auszumachen, zusammen mit der, das Empfinden anderer nachzuvollziehen. So viel können wir vermuten.

Simone Guski

Frans B. M. de Waal & Pier Francesco Ferrari: „The Primate Mind. Built to Connect with Other Minds”. Harvard University Press, Cambridge Massachusetts 2012, 392 S, 45 Euro