BERLIN. (hpd) Es ist fast wie zu Darwins Zeiten. Ein tiefer Graben zieht sich zwischen den Parteien der Wissenschaftler, die sich der Verhaltensforschung der Primaten widmen. Die einen Forscher warten mit dem auf, was den Menschen vom Tier trennt. Die anderen fragen, was Menschen und Primaten, ja sogar Hunde oder Vögel mit ihm gemeinsam haben.
Eine Buchneuerscheinung liefert dazu verblüffende Ergebnisse.
Protagonist der konservativen Forschungsrichtung, welcher die Einzigartigkeit des Menschen betont, ist seit ein paar Jahren der in Leipzig am Wolfgang Köhler Forschungszentrum arbeitende Michael Tomasello, sein Kontrahent, der mit seiner These vom „guten Affen“ schon seit fünfzehn Jahren zu einiger Berühmtheit gelangte, Frans de Waal. Der sammelte seine Kohorten auf einer Tagung in Erice 2009, woraus ein in diesem Jahr erschienener Essayband, veröffentlicht von der Harvard University Press, entstand. Das Neue daran: De Waal untermauert seine alte These – der Empathie schon im Tierreich – in „The Primate Mind. Built to Connect with Other Minds“ mit der Neurobiologie. Damit kommen seine Kernbegriffe, die Empathie und die im Kopf vollzogene Imitation, raus aus der Ecke der theoretischen Begriffe und werden messbar.
Vor 20 Jahren sprachen Wissenschaftler zum ersten Mal von Spiegelneuronen. Italienische Forscher um Giacomo Rizolatti maßen eine erhöhte Tätigkeit von Neuronen in einem bestimmten vorderen Hirnbereich sowohl stets dann, wenn Makaken eine Handlung ausführten, als auch immer dann, wenn sie die Ausführung einer Handlung beobachteten. Die Versuchstiere fühlen sich also ein in das, was der von ihnen beobachtete Artgenosse – oder im Versuchsfall ein Mensch – tut. Sie empfinden die Bewegung ihres Gegenübers nach. Und in ihrem Gehirn läuft offenbar ein Als-ob-Tun ab. Vor sechs Jahren beobachtete Pier Francesco Ferrari, wie daraus Lernen entsteht. Forscher streckten einem nur wenige Wochen alten Makakenbaby, das sie so hielten, dass es ihnen ins Gesicht sehen konnte, die Zunge heraus – und der Winzling reagierte, indem er dem Forscher ebenfalls die kleine Zunge entgegenstreckte. Er probierte aus, wie sich das anfühlt, was er sah.
The Primate Mind - Cover - Ausschnitt - Foto Ferrari, Visalberghi
Imitation und Empathie hängen eng miteinander zusammen. Nachzuweisen wie, das heißt auch zu untersuchen, auf wie vielfältige Weise dies geschieht, und das ist Frans de Waals Anliegen. Nachahmung und Einfühlung sind schon im Tierreich vorhanden, umso ausgeprägter, je verwandter die Tiere mit uns sind. Schimpansen, aber selbst Keas, eine bodennah lebende Papageienart in Neuseeland, kopieren jedoch nicht nur eine bereits beobachtete Handlung. Sie sind offenbar in der Lage, das Ziel einer Unternehmung zu erkennen und, ihren eigenen Bedingungen entsprechend, zu variieren, untersuchte der Wiener Wissenschaftler Ludwig Huber. Ein Schimpanse klickt etwa einen Lichtschalter nicht mit der Stirn an, wie es ihm ein Mensch vormacht, um zu Futter zu kommen, sondern mit den Händen. Jedenfalls dann, wenn er sieht, dass der Mensch in beiden Händen einen Gegenstand trägt, also keine Hand frei hat. Ein Kea beobachtete einen anderen durch ein Loch im Nachbarkäfig dabei, mit einem Schnabel Futter aus einer Höhle zu holen, benutzte dazu aber seine Krallen.
Das Kuriose ist: Je lernfähiger die Tiere sind, um so eher tendieren sie prinzipiell dazu, eine Handlung exakt zu wiederholen, also gerade ihre Anpassungsfähigkeit an die Situation auszuschalten. Das scheint sich in der Evolution bei komplizierteren Handlungsabläufen als effektiver erwiesen zu haben.
Aber Affen lernen nicht nur, indem sie nachahmen, vielmehr offenbar auch dadurch, dass sie das Ergebnis einer Handlung ihrer Artgenossen der Gruppe untersuchen. Kapuzineräffchen lernen, weiß man aus Freilandbeobachtungen in Costa Rica, wie man aus Bambus Maden extrahiert, indem sie untersuchen, welche Bambussprossen etwa ihre Mutter auf der Nahrnungssuche geöffnet hat, welche Farbe die erfolgversprechenden Stengel haben, welchen Geruch sie haben, etc.
In der Tat, Primatenmütter führen nicht die Pfoten ihrer Sprösslinge, um sie etwa beim Nüsseknacken zu unterweisen, sie belohnen und strafen nicht, aber sie machen vor, wie man Nüsse mit einem Stein aufschlägt. Und junge Gorillas lernen offenbar zunächst, indem sie die Steine untersuchen, bevor sie das Aufschlagen der Nüsse beobachten. Und sie werden dadurch motiviert, dass sie jahrelang von der kräftefordernden Nahrungsbeschaffungsaktion der Mütter etwas abbekommen und so erfahren, dass das, was die Mutter macht, eine lohnende Tätigkeit ist.
Aber Schimpansen können nicht zeigen, darauf beharrt Tomasello immer wieder. Nie sah man in einer wildlebenden Schimpansengruppe, Mitglieder mit der Hand einander auf eine Nahrungsquelle hinweisen oder auf eine Rivalengruppe in den Grenzen des Reviers. Doch sie verweisen durch Körperrichtung und Blicke auf einen Gegenstand von Interesse oder Gefahr. Sie lassen die Blicke zwischen dem Gegenstand und dem Kommunikationspartner hin und hergehen.