BERLIN. (hpd) Vor 100 Jahren entdeckte Wolfgang Köhler die Einsicht der Schimpansen, wenn sie Kisten auftürmen, um an eine Banane zu gelangen, Konrad Lorenz später die artspezifischen Instinkte, Frederick Skinner das assoziative Lernen. Frans de Waal begründete die evolutionäre Kognitionsforschung darüber, wie Sinneseindrücke in Wissen umgewandelt werden, und dessen Anwendung als Antwort auf eine sich verändernde Umwelt. Wie Tiere Lösungen suchen, sammeln und speichern, beschreibt er in seinem jüngsten Buch.
Raben wissen sich zu helfen. Präsentiert man ihnen in einem schmalen Glas schwimmende Erdnüsse, werfen sie Steine in das Glas, bis der Wasserspiegel steigt und sie an den Leckerbissen herankommen. Als hätten sie minimale Vorstellungen von Naturgesetzen.
Schimpansen kooperieren in einem Zoo derart miteinander, dass der eine einen Ast gegen einen Baumstamm stemmt, über den der andere an einem elektrischen Zaun vorbei auf den Baum gelangt, um dort für beide Früchte einzusammeln.
Eine Orang-Utan-Dame liebt es, sich vor dem Spiegel mit verschiedenen Blättern auf dem Kopf zu schmücken und sich Zweige um die Ohren zu hängen, als wollte sie ihr Aussehen verschönern.
All dies sieht nach quasi-menschlichen Fähigkeiten aus. Entgegengesetzt argumentiert verändert Frans de Waal die Perspektive in seinem neuen Buch "Are We Smart Enough to Know How Smart Are Animals/Sind wir klug genug, zu erkennen, wie klug Tiere sind". Wir sollten bei der Betrachtung des Verhaltens von Tieren nicht immer menschliche Maßstäbe anlegen. Der in Atlanta in Georgia arbeitende Professor, der derzeit das Yerkes National Primate Research Center leitet, an dem einst getestet wurde, wie weit Schimpansen mittels Computer oder Taubstummensprache sprechen lernen, beamt die Erklärung für tierisches Verhalten tendenziell auf ein moderates Maß herab. Sprache galt lange als Kriterium dafür, wie weit Tiere denken können. Doch das meiste denken vielleicht auch wir ohne Sprache.
Haben Tiere ein Bewusstsein, wird oft gefragt (gern in Zusammenhang damit, ob sie Person sein können). Um Absichten zu haben, braucht es dieses nicht. Nur ein Zeitempfinden, was die Basis dafür ist, dass ein Lebewesen sich selbst unter Kontrolle haben kann, etwa abwartet, um etwas zu tun. Dies ist wiederum selbst vor allem ein Resultat der anekdotischen Erinnerung.
Frans de Waal spricht sich gegen die seit einigen Jahren propagierte "Theory of Mind" aus, in der es darum geht, inwieweit Tiere sich eine Vorstellung davon machen können, welches Wissen in einer Situation der andere anwesende Artgenosse haben kann. Etwa wenn Raben Futter vor einem Artgenossen verstecken oder Paviane "Ehebruch" treiben. Einfühlung ist dagegen viel elementarer und daher vielleicht auch viel verbreiteter als List.
Für die kompliziertesten mentalen Fähigkeiten gibt es immer Vorstufen. Die Natur macht keine Sprünge. Wie sehr ähnelt aber dann doch die Fähigkeit der Schimpansen, Verwandtschaftsbeziehungen zu erkennen – wenn A mit C liiert ist und B mit C, dann auch A mit C – dem logischen Schließen.
Aber wissen Tiere auch, dass sie wissen? Ein nicht ganz einfacher Versuch beweist jedenfalls, dass sie wissen, wenn sie etwas nicht wissen. Ein Delphin wurde im Dolphin Research Center in Florida mit reichlich Belohnung daraufhin trainiert, anzuzeigen, ob ein Ton höher oder tiefer als ein anderer ist. Er schwamm mit rasanter Geschwindigkeit auf die eine oder andere Boje zu, die er als Antwort berühren sollte, wenn er die Antwort wusste. Deutlich zögerlicher wurde er, wenn die Töne dicht beieinander lagen. Schließlich führten die Forscher noch eine dritte Boje ein, für den Fall, dass Natua, so hieß der 18 Jahre alte Delphin, einen neuen Versuch wollte. Die tippte er tatsächlich an, wenn er unsicher war. Er wusste also, dass er etwas nicht wusste.
Delphine haben je individuell verschiedene Rufe, mit denen sie nach der Gruppe suchen. Gorillas einen je eigenen Singsang. Aber schon lange wissen wir um Konrad Lorenz’ Dohle Roah, die, ihrerseits vor ihm herfliegend, um den Forscher aufzufordern, ihr zu folgen, nun den ihr vertrauten Menschen mit ihrem Namen rief. Sind so in der Sprache die Namen entstanden?
Frans de Waal wurde berühmt für seine Entdeckungen um die Empathie-Fähigkeit der Schimpansen und Bonobos, ihre Fähigkeit zu trösten und sich zu versöhnen. Dabei begann alles ganz anders, erzählt er in seinem neuen Buch, das natürlich bei weitem nicht nur mit einer trockenen Methodendiskussion aufwartet, sondern auch in wunderbarer Prosa die Erlebnisse und Erfahrungen, die Wegmarken und Wendepunkte eines Forscherlebens resümiert. Dem in Holland geborene Wissenschaftler fiel zunächst der Machiavellismus der Primaten auf. Ihre Fähigkeit, Allianzen zu schmieden, um Machtverhältnisse zu erhalten und zu verändern. Also das Gegenteil.
So stößt der aufmerksame Forscher häufig auf etwas ganz anderes als er sucht. Was ist geblieben von all den Bemühungen, herauszufinden, in wie weit nichtmenschliche Primaten sprechen können? Die Einsicht in die enorme Fähigkeit dieser Hominiden, sich anzupassen und unsere Sprache zu verstehen. Nur noch übertroffen von der Fähigkeit der Hunde, bei denen man sich ohnehin die Frage stellen kann, ob sie sich nicht selbst domestiziert haben oder gar uns, ihre Herrchen.
Elstern, Elefanten, Tauben wurden Versuchen unterzogen, ob sie farbige Markierungspunkte an ihrem Fell, Gefieder oder ihrer Haut vor einem Spiegel als Veränderungen, die an ihnen vorgenommen wurden, erkennen. Ein Beweis für ihr Ich-Bewusstsein, dachte man. Doch ist es das wirklich? Hunde erkennen mühelos ihr Herrchen im Spiegel, aber nicht sich selbst. Welch ausgeprägtes Körpergefühl benötigen hingegen die blitzschnell durch die Wipfel turnenden Affen, genauso aber auch die Eichhörnchen. Zweifellos wissen sie zwischen Ich und Nicht-Ich zu unterscheiden, zwischen Körperinnenraum und Körperaußenraum.
Auch bei dem von ihm entdeckten Altruismus unter Tieren geht Frans de Waal von den geringstnötigen Voraussetzungen aus. Er erklärt ihn aus dem Wunsch nach Anpassung, daraus, sich wie die anderen verhalten zu wollen. Denn in solchen Situationen wird erstmals das Lernen von der Belohnung abgekoppelt. Individuen einer Gruppe verhalten sich wie die anderen, um zur schützenden Gruppe zu gehören. So entstehen auch einfache Kulturen. Sich immer auf bestimmte Weise gegenseitig zu kraulen etwa. Beobachtet bei einer Schimpansengruppe, die sich stets gegenseitig über Kreuz an der erhobenen Hand hielt und mit der anderen unter dem Arm kraulte. Eine Sitte, die auch neue Gruppenmitglieder übernahmen. Aber nicht andere Gruppen, denen ein Individuum aus dieser Gruppe beigesellt wurde.
All dies sind Fälle einer überraschenden Kognition, schwerlich erklärbar allein durch wiederholte Assoziation. Vielmehr ist hier zunehmend die von Wolfgang Köhler schon vor hundert Jahren auf Teneriffa entdeckte Einsicht im Spiel. Die aber ist eine aktive Leistung je einzelner Individuen, die nach Lösungen suchen, als Antwort auf die Anforderungen, die ihnen die Umwelt jeweils stellt. "Eureka" - ich hab’s, nicht zufällig prägte de Waal unsere Vorstellung vom philosophischen Primaten.
Frans de Waal: "Are We Smart Enough to Know How Smart Animals Are?", W. W. Norton & Company New York und London 2016, 340 S., 21,99 Euro
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Karl-Heinz Büchner am Permanenter Link
Wie kann ich denken ohne das, worüber ich nachdenke, in Worte zu fassen? Wie kann ich über etwas nachdenken, ohne dem Objekt meines Nachdenkens eine Begrifflichkeit zu verleihen?