Historische Entwicklung der Demokratie

(hpd) Der Historiker Paul Nolte liefert eine Gesamtdarstellung zur Entwicklung des demokratischen politischen Ordnungssystems. Da er sich nicht nur auf die historische Beschreibung konzentriert, sondern auch analytische Kontexte anspricht, handelt es sich um eine lehrreiche Darstellung und ein nützliches Nachschlagewerk.

Auch in einer gefestigten und funktionierenden Demokratie bedarf es der kontinuierlichen Reflexion und Selbstkritik hinsichtlich der Frage, inwieweit die konstitutiven Prinzipien für eine solche politische Ordnung auch die reale Praxis in ihr prägen. Dies setzt eine normative Kenntnis und eine realistische Perspektive voraus. Erst im Lichte ideengeschichtlicher und realgeschichtlicher Entwicklungen kann die Demokratie der Gegenwart analysiert und eingeschätzt werden. Einschlägige Grundinformationen dazu liefert der von dem Historiker Paul Nolte vorgelegte Band „Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart“. Er will die gemeinte politische Ordnungsform aus der Sichtweise einer Erfüllungsgeschichte, einer Suchbewegung und einer Krisengeschichte beschreiben und verstehen. Dem Autor geht es demnach darum, historische Entwicklungen und grundsätzliche Probleme der Demokratie zu umreißen. Hierbei soll sich die Gegenwart der Demokratie wie ein roter Faden durch die historischen Annäherungen hindurchziehen.

Nolte beginnt in seinem Buch zunächst historisch-chronologisch: Seine Darstellung setzt mit der Erfindung der Demokratie in Athen ein, geht den Anfängen der Demokratie seit dem Spätmittelalter nach und thematisiert die Rolle der Aufklärung. Die Bedeutung der Revolutionen von der Amerikanischen und der Französischen Revolution bis zu den demokratischen Revolutionen im 20. Jahrhundert stehen danach im Zentrum des Interesses. Anschließend verlässt der Autor aber die Perspektive der geschichtlichen Beschreibung, geht es doch fortan um bestimmte Gesichtspunkte der Entwicklung solcher politischen Systeme, wobei auch hier jeweils wieder die historische Darstellung dominiert. Nolte behandelt zunächst Ordnungsfaktoren in der Demokratie, wozu er etwa Parlament und Parteibildung, Opposition und Rechtsstaat, Verfassung und Wahlen als Institutionen zählt. Danach steht die Ausweitung von Demokratie über das Wahlrecht für alle Bürger, aber auch bezogen auf Arbeiterbewegung und Sozialstaat im Zentrum des Interesses.

Nolte beschreibt die Entwicklung der Demokratie aber nicht einseitig als Erfolgsgeschichte, gab es doch wie in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts auch Krisen und Verfallsprozesse. Die scheinbaren Vorzüge der Diktatur finden bei ihm ebenfalls Aufmerksamkeit und Kommentierung, was etwa ein Unterkapitel zu Carl Schmitts Umdeutung des Demokratiebegriffs zeigt. Im Zentrum der Darstellung des Historikers stehen aber die realen politischen Systeme. So veranschaulicht er an der Bundesrepublik Deutschland einen Lernprozess hin zu diesem politischen Ordnungsmodell, wobei es sich aber mit Blick auf Japan, Indien oder Israel nicht um eine Ausnahme handelte. Danach geht es um unterschiedliche Formen der Erweiterung von Demokratie, etwa bezogen auf das Bild von einer europäischen Demokratie, das Konzept der „deliberativen Demokratie“ oder die Rolle des Konsumbürgers. Und schließlich widmet sich Nolte unterschiedlichen Spannungslinien bezogen auf das Verhältnis von Demokratie und Islam oder Demokratie und Kapitalismus.

Mit „Was ist Demokratie?“ liegt demnach eine umfangreiche Arbeit vor, welche die unterschiedlichen Dimensionen eines solchen politischen Systems jeweils in gesonderten Kapiteln behandelt. Die gute Strukturierung macht aus dem Buch auch ein gutes Nachschlagewerk. Der Titel ist streng genommen aber inhaltlich falsch, definiert der Autor doch gerade nicht „Demokratie“. Vielmehr fragt er - ganz der Profession des Historikers verpflichtet - wie sich einschlägige Gesellschaftsordnungen im Laufe der Geschichte entwickelten. Dementsprechend spielen Demokratietheorien keine große Rolle in seiner Studie. Auch wird die systematische Analyse meist von der historischen Beschreibung überlagert. Dies ist bedauerlich, hätte man den Stoff doch so problemorientierter und systematischer präsentieren können. Gleichwohl handelt es sich um eine gute Gesamtdarstellung zur historischen Entwicklung der Demokratie und ihren Problemen in der Gegenwart. Sie bietet ausreichend Stoff für Diskussion und Reflexion.

Armin Pfahl-Traughber

 

Paul Nolte, Was ist Demokratie? Geschichte und Gegenwart, München 2012 (C. H. Beck-Verlag), 512 S., 17,95 €