Die Angst als stiller Partner

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Diskussionsrunde / Foto: BMI (Sandy Thieme)

BERLIN. (hpd) Aiman Mazyek, Vorsitzender des Zentralrats der Muslime (ZMD) in Deutschland, hat am Dienstag in Berlin die Forderung nach einer Gleichberechtigung der Muslime mit den christlichen Kirchen bekräftigt. Das sei der beste Schutz, um sich vor muslimischen Fanatikern zu schützen. Sein Argument weist auch auf ein Dilemma der organisierten Atheisten.

„Umfragen unter Muslimen zeigen, dass Muslime, die ihre eigene Religion gut kennen und sie selbstverständlich praktizieren, toleranter und offener zu Nichtmuslimen sind. Deswegen sage ich ganz deutlich: Das beste Programm sich vor muslimischen Fanatikern zu schützen wäre, die Muslime hierzulande anzuerkennen mit ihren Pflichten und Rechten und sie strukturell gleichberechtigt mit den Kirchen und anderen Religionsgemeinschaften am gesellschaftlichen Leben teilhaben zu lassen.“

Diese Äußerungen Mazyeks waren Teil einer Rede, die er am vergangenen Dienstag auf dem Symposium „Inspire, Youtube & Co.“ gehalten hat. Rund 140 Experten, darunter Vertreter der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern und muslimischer Verbände sowie Wissenschaftler, Mitarbeiter von Nichtregierungsorganisationen und Journalisten, waren auf Einladung des Bundesinnenministeriums (BMI) zusammengekommen, um über den Einfluss moderner Medien und des Internets auf Radikalisierungsprozesse von Jugendlichen zu diskutieren.

Die Veranstaltung war Teil der „Initiative Sicherheitspartnerschaft – Gemeinsam mit Muslimen für Sicherheit“, die das BMI im Juni 2011 ins Leben gerufen hat. Fünf muslimische Verbände, darunter der ZMD und die DITIB, sowie die Alevitische Gemeinde Deutschland sind darin eingebunden.

Ursachen für die Entstehung der Initiative waren Gewalttaten fanatischer Gläubiger, wie das Attentat am Flughafen in Frankfurt am Main vor rund einem Jahr, sowie vielfach beachtete Auftreten radikal-religiöser und fundamentalistischer Bewegungen. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sagte auf dem Symposium über die Mobilisierungsquellen: „Das Internet ist das wichtigste Kommunikations- und Propagandamittel für Islamisten.“ Im Rahmen der Sicherheitspartnerschaft sollen deshalb hierauf Antworten gefunden und Gegenmaßnahmen entwickelt werden.

Der Sicherheitsexperte Prof. Dr. Peter Neumann vom Londoner King´s College zeigte in einem Impulsvortrag Faktoren auf, die nach wissenschaftlichen Erkenntnissen im Radikalisierungsprozess eine Rolle spielten. Neben der persönlichen Krise wie der Suche nach der eigenen Identität und Zugehörigkeit, seien auch der motivierende und prognostische Charakter der Ideologie und die Mobilisierungsfähigkeiten von charismatischen Predigern entscheidend. Eine intellektuelle Befähigung oder tiefes theologisches Wissen sei dabei nicht notwendig. Vielmehr würden einfache, aber einflussreiche Botschaften ausreichen.

Aiman Mazyek sagte in seiner Rede weiter, in Deutschland gebe es „kein Islamproblem, sondern ein Extremismusproblem und Rassismusproblem. Und von den Moscheen der eben genannten vier Religionsgemeinschaften, die die überwältigende Mehrheit der Gemeinden in Deutschland umfassen, geht und ging keine Gefahr oder Gewalt aus.“ Radikalisierte Muslime seien eine „verschwindende Minderheit“, gegenüber der Staat und Zivilgesellschaft gefordert seien, „Bildungsprogramme und anderes mehr auf dem Weg zu bringen“, um die Arbeit der muslimischen Organisationen zu unterstützen. 

„Ohnehin gilt es beim Thema Islam in Zukunft den viel zu starken Fokus auf Sicherheitspolitik zu reduzieren und stattdessen die Integration und Partizipation des Islam und der Muslime in Staat und Gesellschaft viel mehr in den Mittelpunkt politischer Entscheidungsprozesse zu setzen. Das ist die nachhaltigste und beste Form der Prävention gegen Extremismus“, so Mazyek schließlich.

Die Stoßrichtung des ZDM-Vorsitzenden ist klar: Wenn Bund und Länder den muslimischen Verbänden stärker unter die Arme greifen würden, könne einer Radikalisierung – wie sie etwa die bislang „frei am Markt“ agierenden Salafisten verstärkt wird – von jungen Menschen vorgebeugt werden. Um im Wettbewerb mit den auch aus dem Ausland finanzierten Mobilisierungsbewegungen radikaler Gruppierungen zu bestehen, bräuchten die in Deutschland vorhandenen Organisationen zusätzliche Mittel, so der implizite Vorschlag. Ganz kurz: Mehr Geld vom Staat, mehr Sicherheit für alle.

Und erste Erfolge gibt es ja bereits, wie die Einrichtung von Lehrstühlen für islamische Theologie an verschiedenen Hochschulen Deutschlands in den vergangenen Monaten deutlich machte. Ein Problem für die Strategien von Laizisten, die in der Vergangenheit auf einen Abbau entsprechender Einrichtungen der unbeliebter gewordenen Kirchen setzten. Auch die Laizistinnen und Laizisten in der SPD fordern die Abschaffung aller theologischen Fakultäten. Für erhebliche Mehrheiten auch abseits der Kirchen erscheint es allerdings plausibel, auf die staatlich kontrollierte Ausbildung von Imamen hierzulande zu setzen, als sich nach einem Verzicht darauf später mit den Folgen der Taten „fehlgeleiteter Gläubiger“ auseinandersetzen zu müssen.

Das Ziel, die theologischen Fakultäten von den Universitäten zu verbannen, ist damit in die Ferne gerückt. Beim Versuch, diese wieder von den Hochschulen zu verbannen, dürften Laizisten nicht mehr nur einen Widerstand aus den Kirchen, sondern auch von muslimischen Organisationen zu erwarten haben, die sich mit den Vorteilen der neuen Situation arrangieren konnten.

Offen ist natürlich, inwieweit der erneut bekräftigten weitergehenden Forderung von Mazyek entsprochen wird. Ganz unwahrscheinlich ist es jedenfalls nicht, dass seine Vorschläge auf fruchtbaren Boden fallen werden. Mazyek kann mit der Angst argumentieren.

Eines hat sich dabei deutlich gezeigt: Während atheistische, säkulare und humanistische Organisationen seit Jahren darauf warten, als Gesprächspartner in der Politik angenommen zu werden, sind muslimische Verbände auf der Bundesebene längst angekommen.

Die Forderungen des 2008 gegründeten Koordinierungsrates säkularer Organisationen (KORSO) verhallen hingegen weitgehend unerhört. Einladungen zu Symposien in Bundesministerien oder die Einbindung in staatlich geförderte Initiativen stehen nicht in Aussicht, weder dem KORSO noch seinen einzelnen Organisationen. Von einer zu geringen Zahl vertretener Menschen rührt das nicht her. Das Hauptproblem und Dilemma für die dort versammelten Organisationen bei ihrem Versuch, ebenfalls offizieller Gesprächspartner zu werden, liegt vor allem darin: Ihre Argumente sind gefährlich, die Anhänger sind es nicht. Und auch die Angst ist nicht ihr stiller Partner.

Arik Platzek