Die Doofen – zwischen Macht und Ohnmacht

BERLIN. (hpd) Michael Schmidt-Salomon veröffentlichte im März d. J. seine Streitschrift gegen die Macht der Doofen - ein beeindruckender Aufruf zum Aufstand gegen die kulturelle Verblödung. Seine Qualifikation der Schrift als vorläufig und auch fehleranfällig verstehen Rudolf Mondelaers und Wolfgang Hahn als Einladung zur Eröffnung einer inhaltlichen Diskussion.

Geschichte ist auch das unablässige Hinterfragen von erreichten, allgemein akzeptierten, vermeintlich absolut gültigen Erkenntnissen über die Entwicklung der Welt. Mal mehr, mal weniger nachdrücklich wird dabei oft der eigene Standpunkt nunmehr in den Rang einer unumstößlichen Wahrheit erhoben. Nicht selten führt dies von konsenssuchender Debatte weg und hin zu aggressiver Verkündigung, wie sie für Sekten typisch ist. Verbinden sich dann fanatische Ideologen mit der Macht, ist der Boden für blutige Diktaturen bereitet. Gemeinsam ist solchen Wahrheitsaposteln das Unverständnis, dass ihre Weisheiten von der Mehrheit der Menschen nicht angenommen werden. Das gilt auch heute für viele konträre Auffassungen zur Weltanschauung und zur gesellschaftlichen Entwicklung. Auch „seriöse“ Abweichler bei den Atheisten, Ökologen, Sozialisten, etc. tun sich damit oft schwer.

Glücklicherweise wird Geschichte jedoch nicht von der bewegungslosen Mitte gemacht. Sonst wären wir für das Feuer im Herd noch immer auf den Waldbrand angewiesen und der Blitz wäre das Schwert des Chefgottes. Doch der Fortschritt vollzieht sich langsam, manchmal reversiv und meist zunächst kaum erkennbar. Das nervt!

Gerade wenn alte Auffassungen die Kraft zur Gestaltung verloren haben, kommt Ungeduld bei den Um-Denkern auf. In solchen Situationen scheint es ihnen geradezu mysteriös und unentschuldbar, dass, obwohl deren Brüchigkeit unübersehbar wird, Mehrheiten an den alten Auffassungen kleben bleiben und so die Bestandserhaltung sozialer Anachronismen garantieren – oft bis zur Katastrophe.

Außer Scharfsinn gehört intellektueller Mut dazu, die Frage nach dem Warum des Verharrens im konservativen Mainstream-Denken, der verbreiteten geistigen Unbeweglichkeit zu stellen. Nicht zuletzt deshalb, weil dann konsequenterweise auch die unbequemen Frage nach Fehlern der eigenen Position, die politisch delikaten Fragen nach den systemischen Gründen der geistigen Öde und nach Lösungswegen aufzuwerfen sind.

In seiner Streitschrift Keine Macht den Doofen bringt Schmidt-Salomon solchen Mut auf. Er identifiziert die weltweit grassierende Dummheit als in erster Instanz verantwortlich für die heute existentiell gefährlichen Fortschrittsblockaden. Damit erlaubt er sich einen Tabubruch. Denn unter Aufklärern und Aufgeklärten, unter Humanisten und Linken jeder Couleur gilt weithin, wer so denkt und das noch rausposaunt, der befindet sich ganz in der Nähe elitären, anti-demokratischen oder auch biologisch-rassistischen Gedankenguts. Das Problem einer flächendeckenden, also gesellschaftlich dimensionierten Dummheit nun offen zu thematisieren, aus humanistischer Sicht und ohne in Rechtslastigkeit zu verfallen, das ist die große Leistung von Michael Schmidt-Salomon.

Was eigentlich heißt Doofheit?

Nach Schmidt-Salomon ist das Verhalten der Menschen das eines Schwarms von Idioten, das den Untergang der Welt heraufbeschwört. Die Doofheit ist „die große Konstante der menschlichen Geschichte.“ Sie entsteht nach ihm auch biologisch, aber vor allem gesellschaftlich aus den verhaltensimitierenden Wirkungen der religiösen Denkweise, des normierten Bildungswesens und – ganz aktuell – des finanzregulierten Wirtschaftssystems. Er aktualisiert damit die berühmte Schrift des Humanisten Erasmus von Rotterdam Lob der Torheit (Moriae encomium, sive Stultitiae laus), in welcher gleichfalls die Doofheit bzw. die Torheit (die Übersetzung von „Stultitiae“ kann beides bedeuten) als Ursache allen Unglücks benannt wird.

Die linguistische Verwandtschaft des Wortes Stultitiae ist ein Beispiel für die Gefahren aus Missverständnissen bei der methodischen Verwendung von Begriffen. Sollen Doofheit und ihre Wirkungen zu gesellschaftlicher Analyse herangezogen werden, ist Klarheit über den Begriff nötig. Etymologisch kommt „doof“ ursprünglich aus dem Niederdeutschen und bedeutet dort „taub“. Die Verschiebung der Bedeutung ergibt sich daraus, dass gehörlose Menschen früher auch als geistig behindert galten. Im Niederländischen hat es noch heute den ursprünglichen Sinn. Vielleicht nicht zufällig verbreitete sich die irreführende Begriffsverschiebung seit dem Anfang des 20. Jhdts. vom Berliner Dialekt ausgehend über den deutschen Sprachraum.

Heute nun wissen wir, dass Taubheit nichts mit geistiger Beschränktheit zu tun hat, sondern entsteht, wenn ein Mensch bestimmte Signale nicht oder nicht richtig empfangen kann, weil sein biologisches Erkenntnissystem das nicht zulässt. Diese Erklärung bildet die Brücke zu einem tieferen Verständnis. Unversehens verwandelt sich so die Frage nach den Gründen für Doofheit in die nach der Beschränktheit, die Signale nicht verstehen lässt. Für unser Thema ist dies, das sozial entstandene und vielfach bereits genetisch verankerte Denksystem, das methodische Filterinstrumentarium des Menschen, welches den exakten Empfang von bestimmten Signalen nicht erlaubt.

Schmidt-Salomon betont die Notwendigkeit eines systemischen Herangehens bei der Analyse der Doofheit, wenn er hervorhebt, dass die von ihm beschriebenen Erscheinungen nur vermittelnde Elemente zur Erklärung der unverständlichen gesellschaftlichen Entwicklungsfaulheit der Menschheit sein können. Das tiefere Problem ist in der Tat die „systemische Verbindung der diversen Wahnideen“ die letztlich verantwortlich dafür ist, „dass so viele gut gemeinte Hilfsbemühungen wirkungslos im Raum verpuffen.“ (S. 104) Es geht also um die soziale Gestalt des Menschen als gleichermaßen Subjekt und Objekt, als Individuum wie als soziale Gruppe in einem verhaltensbestimmenden sozialen System. Denn: „Bei dieser Differenz von Klugheit und Dummheit geht es nicht um die Eigenschaften einzelner Individuen (…) sondern um die Beschaffenheit soziokultureller Systeme.“ (S.108) Konsequenterweise verweist Schmidt-Salomon dann auf die marxsche Grundthese, „dass unser Denken und Handeln ebenso von den gesellschaftlichen Verhältnissen bestimmt ist, wie die Verhältnisse von unserem Denken und Handeln bestimmt werden.“ (S. 105) Die Dummheit also als ein Verhalten, das durch das System der gesellschaftlichen Verhältnisse bewirkt wird und seinerseits wiederum für die Reproduktion dieses Systems sorgt.

Bleibt das Problem, wo die Grenze zwischen rationalem und doofem Verhalten zu ziehen ist? Was aus der einen systemischen Sicht nach doof aussieht, erscheint rational aus anderem Blickwinkel. Was sind die objektiven Prüfkriterien? Offensichtlich können es nicht die ideologischen Werte der vielen religiösen und weltanschaulichen Systeme sein, weil diese sich konträr zueinander verhaltenden Entwicklungsziele und Verhaltensweisen implizieren. Auch die Wissenschaft hat nur ein unsicheres Prüffeld anzubieten, eben weil Wissenschaft bedeutet, ihre eigenen Erkenntnisse ständig zu hinterfragen. Bleibt somit für die Evaluierung von dummen oder schlauen menschlichen Verhaltensweisen nur, die jeweils fasslichen wissenschaftlichen Aussagen zu den Wirkungen von Verhalten auf die Reproduktion des gesellschaftlichen Systems heranzuziehen. Diese Wirkungen in Bezug gesetzt sowohl zu

  • den simplen logisch und historisch (heutigen und zukünftigen) bedingten soziokulturellen Lebensbedingungen, als auch zu
  • den simplen logisch und historisch (heutigen und zukünftigen) bedingten natürlichen Existenzbedingungen der Welt.

Beides zusammengedacht brächte uns in die Lage, Auskünfte über den Grad der Dummheit menschlichen Verhaltens zu liefern.

Außerdem unterliegt Doofsein, wie das meiste in der Menschenwelt, Verteilungsmodalitäten. Differenzierung ist angesagt. Nicht ausnahmslos alle sind hoffnungslos einfältig und beschränkt, wie die eindimensionale Erklärung für doof bei Duden lautet. Befallen sind Individuen und Gruppen, die, bedingt durch ihre soziokulturelle Lage (Position und Funktion) im jeweiligen System, meist durchaus rational, d.h. aber zugunsten der Reproduktion des jeweiligen Systems handeln. Ist dieses System jedoch in prinzipiellen Gegensatz zu den allgemeinen sozialen und natürlichen Lebensbedingungen geraten, dann ist das scheinbar rationale Verhalten zugleich als Doofheit „auf gehobenem Niveau“ zu qualifizieren. Das vollzieht sich unbewusst, verursacht durch die systembedingten Schwierigkeiten, Signale drohender Gefahren zu verstehen bzw. überhaupt zu empfangen.

Wie Ökonomidiotie produziert wird

Im Kampf gegen die Doofheit kommt es daher darauf an, die systemischen gesellschaftlichen Ursachen für diese massenhaft auftretenden Verständigungsschwierigkeiten besser auszuleuchten. Das im Rahmen einer öffentlichen Debatte würde die Möglichkeit eröffnen, „dass der Unsinn, den man formuliert hat (als Gefangene der kulturellen Matrix, in die wir hineinsozialisiert wurden), von Anderen, die weiter sehen, widerlegt werden kann.“(S.109)

Dazu ist noch vertiefende Forschung zu leisten. Um Richtungen anzudeuten, skizzieren wir hier einige denkbare Ergänzungen zu tragenden Passagen im 3. Kapitel der Schrift von Schmidt-Salomon. Es ist von verschiedenen Rezensenten als wichtigstes des Buches betrachtet, nicht nur weil „es (…) kaum ein Gebiet (gibt), auf dem sich menschliche Schwarmdoofheit so offenkundig manifestiert wie auf dem Gebiet der Ökonomie“, sondern auch und vor allem, weil „viele andere - vor allem auch soziale – Fragen, (…) sich nur verstehen (lassen), wenn die Ökonomidiotie begriffen wird.“.

Von Schmidt-Salomon werden hier die Fragen der Verteilung und ihrer Vermittlung durch das Geld ins Zentrum gesetzt. Ökologiotie, soziale Notlagen und Ungleichheiten, Krisen und sonstige Mängel der heutigen Welt lassen sich nach ihm ursächlich auf die Geldzirkulation zurückführen. Dass sich so gut wie alle idiotischen und kriminellen Verhaltensweisen des Homo oeconomicus in der Tat zunächst auf seine Beziehung zum Geld zurückführen lassen, wird jedem Konsumenten der Massenmedien tagtäglich vor Augen geführt. Spätestens hier ist dann aber zu fragen, wieso dieses Stück Metall oder Papier solch eine Macht ausüben kann?

Schmidt-Salomon sucht die Antwort im historischen Prozess der Verwandlung des Geldes von einem Mittel zur Vermittlung des simplen Austausches der Waren (Geld als Tauschmittel) zu einer eigenständigen Ware (Geld wird selbst zu einer Ware). Die in seinem Text dargestellten Erscheinungsformen der monetären Regulierungsidiotie sind illustrativ für diese These. Sie beantworten jedoch noch nicht die Fragen nach dem Warum dieser Verwandlung, wieso also das Geld zur meist nachgefragten Ware werden konnte und wie es möglich ist, dass ihre virtuelle Vorstellung durch ein Stückchen Papier, eine Plastikkarte oder auch nur ein virtuelles Zeichen im Internet Massen bewegen kann.

Dazu ist zu untersuchen, welche Veränderungen im ursprünglichen gesellschaftlichen System dem Geld zu dieser neuen Qualität verhalfen. Schmidt-Salomon wird indirekt fündig, indem er dafür die Zinsträchtigkeit dieses „neuen“ Geldes für zuständig erklärt. Und in der Tat, der Zins ist für die Ausbreitung der Doofheit ein springender Punkt. Kredit gab es zwar bereits seit den frühen, unentwickelten Formen der Warenproduktion und er war immer und bleibt sicher auch künftig ein notwendiges, rationelles Instrument. Der Kredit führt inzwischen jedoch zu den von Schmidt-Salomon dargestellten, heutzutage existenziellen Verwerfungen. Das muss der geschichtlichen Ablösung der einfachen Warenproduktion und -zirkulation durch neuartige gesellschaftliche Rahmenbedingungen geschuldet sein.

Kredit, ursprünglich nur Verhältnis zwischen Gläubigern und Schuldnern, erwirbt auf der Basis neuer Eigentumsverhältnisse gestalterische Kräfte auch über die Produktion, er wird selbst zu einem Verhältnis der Produktion. Der Zins ist dann nicht mehr kaufmännischer, aus der reinen Geldzirkulation herausdestillierter bzw. erpresster Wucherzins, er wird zu einem eigenständigen Produkt der Produktion. Das Geld bekommt somit einen speziellen Nutzen: es kann, klug in der Produktion eingesetzt, scheinbar selbstständig Wert schaffen. Damit bekommt es die Qualität einer vollwertigen, eigenständigen Ware, die Reichtum produziert. Wohl gemerkt: Der Zinsmechanismus ist eine unentbehrliche Bedingung für jede Art von Warenproduktion. Nicht der Kredit an sich führt zu den bekannten Verwerfungen, sondern der Kredit gebunden an spezifische Produktionsbedingungen.

Der Haken an der Geschichte ist eben, dass diese neue Art des Geldes mit einem Schein behaftet ist. Dieser kann sich zwar spätestens dann auflösen, wenn diese angebliche Ware in Erfüllung ihres eigenen Wesens zu sog. staatlichem Kreditgeld mutiert ist und die Form von virtuellen Symbolen auf Bildschirmen annimmt. Dann begreift selbst der echte Doofie, dass man mit dieser Ware im wirklichen Leben nichts anstellen kann, dass, ähnlich wie beim im Garten verbuddelten Schatz, daraus kein Reichtum wächst. Trotzdem wirkt der Schein generell verhaltensbestimmend. Das Mysterium wird zu realem Leben, weil der Schein, der hinter den Geldscheinen steckt, kein Bühnenspiel mit amüsanten Zauberstücken ist, sondern adäquat den grundlegenden Schein widerspiegelt, den die neuen gesellschaftlichen Verhältnisse zwischen den Akteuren der Produktion wie auch denen der Konsumtion hervorrufen.

Das entwickelte Kreditsystem vermittelt den Eindruck, dass die als Gläubiger wie als Schuldner (und in der Regel in beiden Positionen) in dieses System Integrierten mittels des Kredits frei über ihre Teilnahme am gesellschaftlichen Leben entscheiden können, dass sie also als Eigentümer daran partizipieren. In Wirklichkeit sind sie gerade durch diesen Typus der Verhältnisse stabil an die ständige Wiederholung und Erweiterung der gegebenen Art und Weise der Produktion gebunden. Das Kreditgeld ist dabei nur das formale Instrument, wie auch die symbolische Vorstellung dieses Wirtschaftssystems; es dient zur Reproduktion dieser seiner grundlegenden Eigenschaften. Ohne die privaten Eigentumsstrukturen der Produktion und ohne die deren bornierter Logik folgenden Kreditverhältnisse keine verblödenden Scheincharaktere in der Zirkulation. Die neue Qualität des Geldes als Kreditgeld entsteht aus seiner Aufgabe, die Akteure in Produktion und Konsumtion unablässig anzutreiben, ihren ökonomischen Pflichten nachzukommen. Dazu braucht es in der Moderne nicht mehr Kerker und Peitsche. Es genügt das Symbol des ökonomischen Zwanges, um die lebenslängliche Einbindung in die herrschenden Verhältnisse zu gewährleisten.

Soweit zur ökonomischen Vorgeschichte der heute wahrzunehmenden flächendeckenden Doofheit. Im Rahmen der widersprüchlichen Entwicklung dieses Systems musste sich die Kreditregulierung dann zwangsläufig auf sämtliche Bereiche der Gesellschaft ausdehnen. Auch die private und gesellschaftliche Konsumtion wird heute so gut wie ausnahmslos über Kredit geregelt. So wie von Schmidt-Salomon mehrfach angemerkt, liegt hier, wegen der enormen Bedeutung der Konsumtion für die Gestaltung des soziokulturellen Lebens der Bevölkerung und der Reproduktionsbedingungen von Natur und Ressourcen, einer der wichtigsten Zugänge zum Begreifen, aber auch zur Bekämpfung der Doofheit. Geeignet, unsere Evaluationskriterien zum Ausmaß der gesellschaftlichen Verdummung anzuwenden. Die weiterführende Logik dieser Herangehensweise würde uns zu der Aufdeckung der Wurzeln und des Mechanismus der systemischen Verblödung und der entsprechenden Verhaltensweisen führen. Sie wäre sehr hilfreich im Kampf gegen verblödende Theorien in Wissenschaft und Medien, sowohl die des BWL-trächtigen Mainstreams als auch die scheinbaren Alternativen wie z.B. die kredit- und zinsnegierenden Theorie Silvio Gesells.

Gegen eine Gesellschaft der Doofheit

Im Kampf gegen die Doofheit ist natürlich auch die Taktik wichtig. Zunächst gilt es, den Feind genau, aber systemisch global anzuvisieren. Klar ist, dass die Wirtschaft analytischer Ausgangspunkt der Schlacht sein muss. Klar ist aber auch, dass dabei zu berücksichtigen ist, dass es den ökonomisch und vor allem finanzökonomisch grundierten metaphysischen Scheinvorstellungen nur im Kontext mit den Scheincharakteren und Symbolen anderer Wahnwelten gelingen konnte, diese als treffende Abbildungen der eigenen Lebensformen und -ziele glaubhaft zu präsentieren. Und da offensichtlich diese Scheinwelten für die meisten Bereiche des heutigen Lebens verbindlich sind, eignen sie sich als universelles Bild der Welt, sozusagen als Anleitung, die Welt anzuschauen.

Das kommt uns als Religionskritikern sehr bekannt vor – dies ist doch die Basis jeden Glaubens und der Methodik der Religionskritik. Es bleibt dann noch, die institutionellen Träger dieses Glaubens zu identifizieren. Da sollten wir ganz ähnlich wie bei den Kirchen nachschauen, wer denn die Regeln und Prinzipien dieser normativen Wirtschaftswelt festschreibt und die Lebenswelt diesen Dogmen unterstellt. Für den Kernbereich Ökoidiotie sind die religiösen Hauptschuldigen an dieser Ideologisierung mühelos aufzufinden: Die mit den Medien paktierenden Zünfte der Wirtschaftsbosse, ihrer Verbandsfunktionäre, der selbst ernannten Ökonomieexperten und der Professoren an den SoWi-Fakultäten. Sie propagieren, ungeachtet der Realitäten und fern jeder Selbstbefragung, weiter die Scheinvorstellungen von der unsichtbaren Hand, vom automatischen Marktgleichgewicht, vom allinformierten, rationell handelnden Homo oeconomicus etc. Damit manipulieren sie wie die Pfarrer die Zukunfts- und Vergangenheitsinterpretation der Menschheit. Sie bedienen sich sogar kultischer Geheimsprachen, um als Hohepriester mit dem ordnenden Wesen zu kommunizieren (Ökonometrie, Soziologie-Chinesisch).

Dass wir als Atheisten und Humanisten berechtigt und verpflichtet sind, auch gegen diese Variante des Dunkelmännertums anzutreten, ergibt sich aus dessen strategischen Zielen. Die Analogien zur Religion sind offensichtlich. Auch die gesellschaftliche Doofheit versucht, die Adepten ihrer Scheinwelt zu Objekten eines geheiligten Systems zu degradieren. So wird mit der Totalisierung der Kreditbeziehungen eine hierarchische Unterordnung unter das angeblich nicht zu hinterfragende, also heilige Ziel eines ungebremsten und unaufhörlichen Wachstums erreicht. Dabei spielen „moderne“ Schuld- und Sühnevorstellungen ebenso eine Rolle wie die Anpreisung der Verlockungen des Konsumparadieses: das Paradies der glückseligen Doofies! Und für alle Fälle zeigt auch die Inquisition vorsorgend ihre Instrumente – die profanen Sanktionsorgane des Kredits, von der Schufa über den Gerichtsvollzieher bis zu der auf die Griechen losgelassenen Troika.

Der Blick auf die religiösen Charakterzüge dieses Verblödungsprozesses sollte geschärft werden. Im Grunde genommen wirft der Ansatz von Schmidt-Salomon nachdrücklich die Frage auf, ob die heutige Produktions- und Lebensweise nicht zur Religion geworden ist. Eine Religion zwar (noch?) ohne Bezug zu übernatürlichen Wesen, aber im Wesen doch eine Religion, eine säkulare Religion eben. Dann aber müsste der Kampf für die Prinzipien der Säkularität, der atheistische und humanistische Widerstand gegen gesellschaftliche Verblödung noch mehr als bisher einen auf die gesellschaftliche Entwicklung als Ganze gerichteten Charakter annehmen. Darüber wird zu reden sein.

Rudolf Mondelaers und Wolfgang Hahn