(hpd) In einem Aufsatz hat die Autorin Sandra Upson für das Wissenschaftsmagazin Scientific American noch einmal genauer die Frage unter die Lupe genommen, inwieweit religiöse Bindungen und persönliches Wohlbefinden wirklich zusammenhängen. Das Thema ist ein Schwerpunkt der neuesten Ausgabe „Mind“.
Mitte Februar 2012 erschien ein Bericht des amerikanischen Meinungsforschungsinstituts Gallup, laut dem Befragungen herausgefunden hätten, dass ein enger Zusammenhang von Religiosität und persönlichem Wohlbefinden bestehe. Grundlage der Analyse bildete die Auswertung der Daten von 676.000 Interviews in den Vereinigten Staaten im Rahmen des „Well-Being Index“ zwischen 2010 und 2011, in denen sich 41 Prozent der Befragten als „sehr religiös“, 28,3 Prozent als „moderat religiös“ und 30,7 Prozent als „nicht religiös“ bezeichneten.
Das größte Wohlbefinden war den Ergebnissen nach bei den Menschen vorhanden, die sich als sehr religiös einstuften. Obwohl die Unterschiede zwischen den sehr religiösen Personen, den moderat religiösen und den nicht religiösen Befragten keinesfalls als himmelweit bezeichnet werden können, zeigten sich doch signifikante Differenzen.
Bemerkenswerterweise stellte sich dabei auch heraus, dass die moderat religiösen Personen nicht oder kaum im Vorteil beim Wohlbefinden waren.
Die Vermutungen der Autoren des Untersuchungsberichts darüber, wie diese Ergebnisse zu erklären sind, verwiesen auf verschiedene Effekte der Religion, die sich auf die persönliche Zufriedenheit auswirken könnten: Stressreduktion durch Vertrauen in höhere Mächte, eine stärkere Einbindung in Gemeinschaften und Ehrenamt oder ein gesundheitsbewussteres Leben dank Verzicht auf Tabak- oder Alkoholkonsum. Die Botschaft des Berichts war jedenfalls klar: Religion tut gut.
Vergleichbare Schlüsse erlaubten in der Vergangenheit auch andere Analysen, die sich mit den Effekten des religiösen Glaubens auf das Glücklichsein von Menschen beschäftigten. So fand etwa eine Untersuchung im Zuge der Umfrage des World Values Survey im Jahr 2008 heraus, dass die Menschen in Dänemark, Österreich und der Schweiz besonders zufrieden sind – durchweg Staaten, in denen ein ganz überwiegender Teil der Bevölkerung bis heute als Mitglied in einer Staats- bzw. Amtskirche gezählt wird. Die Ergebnisse aus Deutschland lagen hier wiederum im mittleren Drittel.
Sandra Upson unterzog für das Magazin Scientific American die verschiedenen Studienergebnisse noch einmal einer genaueren Betrachtung. Sie stellte dabei fest, dass die Untersuchung von Religion sich scheinbar nicht sehr stark von der Untersuchung anderer Dinge unterscheidet – man legt sie unter das Mikroskop wie jeden sonstigen Gegenstand.
Upson erinnerte dann zunächst daran, dass mit „Atheismus“ in den Vereinigten Staaten schon lange negative Attribute in Verbindung gesetzt werden. Nichtgläubige gelten als unmoralisch, weniger vertrauenswürdig und hätten keine Aussicht, zum Präsidenten gewählt zu werden – in einigen US-Bundesstaaten wird Atheisten sogar das öffentliche Amt verwehrt. Und als ob das nicht schon schlimm genug sei, meinen vergleichende Untersuchungen, dass die Ungläubigen eine schlechtere Gesundheit besitzen und mindestens sieben Jahre früher als die religiösen Mitglieder in ihrer Gesellschaft sterben. Und wenn sich der Glaube einer größeren Zahl von Menschen nun wandelt, denn auch in den Vereinigten Staaten werden die Ungläubigen mehr, würden die Zusammenhänge zwischen Religion und Wohlbefinden zu einer Angelegenheit von allgemeinem Belang werden.
Die Autorin verwies auf eine Reihe weiterer Untersuchungen von Sozialwissenschaftlern, die sich in den vergangenen Jahrzehnten mit den Effekten von Religion und Wohlbefinden beschäftigt hatten. Im Zuge der Interpretationen wurde etwa gemeint, die regelmäßige Teilnahme an Gottesdiensten wirke sich ähnlich positiv auf Zufriedenheitswerte aus, wie der Unterschied zwischen dem Einkommen einer Familie der Unterschicht und dem einer gehobenen Mittelschicht.
Kurzum: Arm, aber zufrieden, so lautete die frohe Botschaft. Die Quellen relativ höherer Zufriedenheit unter religiösen Menschen haben sich jedenfalls als sehr vielschichtig und komplex erwiesen. „Ein Zugehörigkeitsgefühl kann vergleichbar unwiderstehlich wie Nahrung sein“, zitierte Upson die Feststellungen zweier Forscher.
Globaler betrachtet hat sich herausgestellt, dass Religion am stärksten dort eine Rolle im Leben der Menschen spielt, wo die Lebensumstände am schwierigsten sind. Das habe sich sowohl in den Vereinigten Staaten wie auch in vielen anderen Ländern der Welt gezeigt. Die Religionen, die in ihrer praktischen Ausformung schließlich wesentlich mehr bedeuten als nur den Besitz religiöser Vorstellungen, lieferten gleichermaßen positive Beiträge für das Wohlbefinden von Menschen in Gesellschaften, ob nun im Rahmen von Buddhismus, Christentum, Hinduismus oder Islam.
Weitere Studien, wie eine Untersuchung des Psychologen Jochen E. Gebauer et al. von der Humboldt-Universität zu Berlin, haben ergeben, dass Gläubige mehr psychologische Vorteile aus ihrem Glauben beziehen in Gesellschaften, in der Religiosität geachtet wird. Dort, wo eine Kultur der Religiosität keinen großen Stellenwert zumisst, seien auch die psychologischen Vorteile der Religiosität geringer.
Sandra Upson verwies ebenfalls auf die Ergebnisse der Studien des Soziologen Phil Zuckerman, Autor des Buches Society without God: What the Least Religious Nations Can Tell Us About Contentment, der über ein Jahr lang in Dänemark und Schweden fast 150 Menschen befragte, wie sie mit den Dingen und Fragen umgehen, bei denen traditionell die Religion eine große Rolle spielt.
Zwar sind in diesen Staaten ganz überwiegende Mehrheiten der Bevölkerung noch Mitglied einer Kirche, aber laut Zuckermans Beobachtungen würden die Grundannahmen des christlichen Glaubens sogar von einem großen Teil des Klerus nicht mehr geteilt. Trotzdem lassen die Menschen ihre Neugeborenen taufen, heiraten in Kirchen und zahlen Kirchensteuer. Die Institution, so heißt es, repräsentiere einen Gemeinsinn, gemeinsame Moralvorstellungen und auch eine Art nationales Erbe. In Dänemarks kleiner Bevölkerung schaffe zudem die nationale Homogenität sozialen Kitt, was durch faire Verhältnisse im Berufsleben unterstützt werde.
Daraus könnten die Nichtgläubigen einige Lektionen ziehen, meinte Sandra Upson schließlich. Der Glaube an Gott ist nicht die Voraussetzung für ein angenehmes Dasein, auch wenn er das Leben einfacher machen könne. Es gebe viele Wege, auf denen in anderer Weise die Funktionen der Religion erfüllt werden können, so dass positive Wirkungen daraus entstehen.
Für Atheisten und eine wachsende Zahl religiös ungebundener Menschen lieferten daher die Forschungsergebnisse ein positives Omen, meinte Upson in ihrem Beitrag. Obwohl noch viele Fragen darüber offen bleiben, wie Nichtgläubige die gesundheitsfördernden Effekte von Religion beziehen können, stellen Wissenschaftler fest, dass säkulare Gemeinschaften von gleichgesinnten Menschen eine ähnliche soziale Unterstützung bieten können. Upson: Der Versuch, sich den Pfad zu einem glücklichen Leben zu schlagen, erfordere das Wissen, welcher „besondere Cocktail sozialer Kräfte unsere Leben beeinflusst und wie wir sie manipulieren können“.
Arik Platzek