Direkte Demokratie und Bonapartismus?

(hpd) Der Soziologe Thomas Wagner problematisiert in seinem Buch „Demokratie als Mogelpackung. Oder: Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus“ die Möglichkeiten zur Legitimation autoritärer Staatsauffassungen durch scheinbare Formen „direkter Demokratie“. Einerseits zeigt der Autor dadurch bestehende Gefahren auf, andererseits neigt er hierbei zu einer vulgärmarxistischen Gesellschaftsanalyse.

Angesichts von weit verbreitetem Unmut über die Politik der etablierten Parteien findet die Forderung nach mehr direkter Demokratie immer mehr Interesse. Man verspricht sich davon ein Mehr an Bürgerbeteiligung und ein Mehr an Transparenz. So sollte es etwa nicht nur eine Direktwahl der Bürgermeister, sondern auch des Bundespräsidenten geben. Derartige Auffassungen vertreten aber nicht nur engagierte Demokraten, sondern auch offenkundige Rechtsextremisten. Dabei handelt es sich nicht nur um formale Bekenntnisse, stehen doch einschlägige Forderungen für eine Grundposition. Gleichwohl meinen diese Feinde der Demokratie damit etwas anderes als die Verfechter der Demokratie. An kritischen Auseinandersetzungen damit mangelte es aber bisher, wurden doch einschlägige NPD-Positionen lediglich als Propaganda zur Kenntnis genommen. Hier will der Soziologe Thomas Wagner mit seinem Buch „Demokratie als Mogelpackung. Oder: Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus“ einen Schritt weiter in Richtung einer Gesamtanalyse gehen.

Darin fragt er, „welche Interessen sich hinter der Forderung nach mehr Demokratie versammeln und welche Richtung fortschrittliche Interventionen auf diesem ideologiepolitischen Kampffeld einschlagen müssen“ (S. 15). Ausgangspunkt von Wagners Betrachtungen ist die Auffassung, wonach der Ruf nach „mehr Demokratie“ nicht per se eine emanzipatorische Forderung sein müsse. Dies soll anhand von mehreren Fallstudien anhand von Buchautoren, Organisationen und Parteien aufgezeigt werden. Nach kurzen Ausführungen zur Definition von Demokratie geht es denn auch etwa um die Auffassungen von Hans Herbert von Arnim, der gegen die Allmacht der Parteien wettere, damit aber auch die Abwehr von sozialen Forderungen verbinde. Die Direktwahl des Bürgermeisters ist für Wagner ebenso eine reaktionäre Idee wie die Direktwahl des Staatsoberhaupts. In Peter Sloterdijk und Thilo Sarrazin sieht er die intellektuellen Repräsentanten für Demagogie, die sich auf den angeblichen Willen des Volkes beruft.

Auch die „Freien Bürger“, die „Piratenpartei“ und der „Verein für mehr Demokratie“ plädieren aus Sicht des Autors ebenso wie der „Frankfurter Zukunftsrat“ und der „Konvent für Deutschland“ letztendlich für die Einführung von politischen Reformen, die im Namen von mehr zu weniger Demokratie führten. Aus einer Bündelung dieser Kräfte ergebe sich folgende Situation: „Autokratische Führungskonzepte und biologistische Politikvorschläge – die Vertreter wirtschaftsliberaler Elitekonzepte aus der sogenannten Mitte der Gesellschaft und die heutigen Erben der sogenannten Konservativen Revolution rücken in ihren politischen Ideen, Argumentationsfiguren und Zielsetzungen erkennbar immer näher aneinander. ... Gewollt ist ein Durchregieren von starker Hand. Da der Weg einer unverblümten Diktatur im demokratischen Zeitalter aber als nicht mehr gangbar erscheint, gewinnt der Gedanke einer Systemveränderung qua direkter Demokratie zunehmend an Plausibilität“ (S. 125). Letztlich laufe dies auf einen sanften Weg in Richtung Bonapartismus hinaus.

Das Urteil über Wagners Buch fällt ambivalent aus: Einerseits gehört es zu den wenigen Stellungnahmen, die auch die bedenklichen Aspekte von Formen direkter Demokratie ansprechen. Hier geschieht dies etwa ausführlicher anhand der Direktwahl des Bürgermeisters oder des Staatsoberhaupts. Sie erhalten dadurch eine Macht, die über den gewählten Parlamenten und dem damit einhergehenden Pluralismus steht. Das damit verbundene Problembewusstsein verdient größere Verbreitung. Andererseits neigt der Autor immer wieder zu einer vulgärmarxistischen Gesellschaftsdeutung, sind doch die meisten Bundestagsparteien für ihn pauschal Vertreter von Kapitalinteressen. Und auch bei der Nutzung von direkter Demokratie zur Etablierung eines autoritären Regimes stehen primär solche Aspekte im Hintergrund. Leider handelt es sich daher mehr um ein politisch-ideologisches und weniger um ein politik-wissenschaftliches Werk. Daher ist es kein Wunder, dass die Forschung zu „direkter Demokratie“ fast komplett ignoriert wird.

Armin Pfahl-Traughber

 

Thomas Wagner, Demokratie als Mogelpackung. Oder: Deutschlands sanfter Weg in den Bonapartismus, Köln 2011 (PapyRossa-Verlag), 143 S., 11,90 €