ZÜRICH. (hpd) Am Mittwoch beginnt in Zürich der alle zwei Jahre stattfindende Kongress des Weltverbands für Sterbehilfeorganisationen The World Federation of Right-to-Die Societies. Im Interview spricht Bernhard Sutter, Vizepräsident des Schweizer Vereins EXIT, über die politische Lage in Deutschland aus Schweizer Perspektive und die Frage, ob Sterbehilfe ein Tabu ist.
hpd: Könnte man sagen, dass Sterbehilfe in westlichen Gesellschaften ein Tabu-Thema ist?
Bernhard Sutter: Das selbstbestimmte Sterben ist so alt wie die Menschheit. Bei den Naturvölkern war das nie ein Tabuthema. Wenn betagte Menschen nicht mehr konnten, zogen sie sich zurück, in die Wüste, den Wald, auf den Berg, ließen die anderen weiterziehen.
hpd: Aber in unseren Regionen scheint das heute nicht mehr oft vorzukommen. Oder täusche ich mich?
Sutter: Das Sterbefasten ist auch heute noch in vielen Gesellschaften üblich, wenn ein alter Mensch nicht mehr mag. Auch heute stellen wir nicht fest, dass Sterbehilfe ein Tabuthema ist. Die Menschen sprechen offen darüber. In Westeuropa sind über 75 Prozent der Bevölkerung dafür.
hpd: Was ist die Ursache dafür, dass das Thema jedenfalls in den Medien so wenig präsent ist?
Sutter: Das Unvermeidliche ignoriert der Mensch gerne. Und so setzen sich viele lange nicht mit dem Tod auseinander. Doch wenn sie es dann tun, dann denken doch die meisten, dass über so etwas Großes wie das Sterben nicht der Herr Doktor oder der Herr Pfarrer entscheiden sollen, sondern nur der Betroffene allein.
hpd: Sehen Sie insgesamt irgendwelche politischen Fortschritte im Bereich der Sterbehilfe?
Sutter: Sein Leben selber beenden zu wollen, wurde bis Ende 19. Jahrhundert bestraft. Mancherorts wird heute noch bestraft, wenn man dabei die Hilfe von Mitmenschen in Anspruch nehmen muss. So hatten es Ärzte – und erst recht Freunde – schwer, wenn sie jemandem beim selbstbestimmten Lebensende beistehen wollten. Seit etwa 30 Jahren respektieren aber immer mehr Länder das in der Europäischen Menschenrechtskonvention verbriefte Recht aufs Private, wozu auch zählt, selbst über das Lebensende befinden zu dürfen. So ist die mitmenschliche Begleitung beim selbstbestimmten Sterben in der Schweiz, in den Beneluxländern und in einigen US-Staaten zu etwas geworden, das die Menschen dort nicht mehr missen möchten.
hpd: Welche Veranstaltung des Kongresses würden Sie denn als besonders empfehlenswert bezeichnen?
Sutter: Eigentlich alle Vorträge am Publikumstag, weil sie zeigen, wie das Leiden am Lebensende mit Palliativmedizin oder ihren Alternativen menschlicher gehandhabt werden könnte. Eindrücklich wird sicher der Bericht der Witwe eines bekannten deutschen Fußballers, der in der Schweiz Sterbehilfe in Anspruch nehmen musste. Oder die Schicksalsberichte eines bekannten Münchener Anwalts, der Patienten in ganz Deutschland zu ihren Rechten am Lebensende verhilft.
hpd: Und glauben Sie, dass das Thema Sterbehilfe und die Debatten um die Rechte beim Sterben in den nächsten Jahren größere Beachtung finden werden?
Sutter: Obwohl es in Deutschland offiziell fast gar keine Sterbehilfe gibt, kümmert sich die gegenwärtige Regierung sehr stark darum. Dasselbe gilt für die Ärzteschaft. Beide wollen die fast nicht existierende deutsche Sterbehilfe noch weiter einschränken oder gar verbieten. Sollten sie sich durchsetzen, werden die Bürgerinnen und Bürger noch lange dafür kämpfen müssen, zum Sterben nicht mehr ins Ausland fahren zu müssen. Die Debatte wird so lange weitergehen, bis eine künftige Regierung die Probleme am Lebensende würdig und menschlich zu lösen vermag.
hpd: Herr Sutter, vielen Dank für das Interview.
Die Fragen stellte Arik Platzek
Mehr Informationen zum Kongress finden sich hier.