(hpd) Haben Tote Menschenwürde oder nur „Totenehre“? Wem gehört die Asche eines eingeäscherten Menschen und wem sein ehemals hilfreicher Herzschrittmacher? Wo liegen beim Bestatten die Grenzen der Pietät? Wie sollte mit neuen Methoden der körperlichen Dekomposition umgegangen werden, z.B. dem „Schockfrieren“? Warum werden Rituale der Human- und Tierbestattung immer ähnlicher? Diese und ähnliche Fragen werden im vorliegenden Buch diskutiert.
Angesichts wirtschaftlicher wie kultureller Veränderungen „in der Bestattungskultur und der Bestattungsbranche ... sollte mit Blick auf die Bestattungspraxis das Selbstbestimmungsrecht der Menschen geachtet werden und das Gebot weltanschaulicher und religiöser Toleranz gelten“, schreibt der evangelische Theologe Hartmut Kreß in seinem Beitrag in diesem Buch (S.81). Ein humanistischer Blick auf die Realitäten in diesem Bereich würde die gleiche Hauptthese formulieren. Doch was folgt jeweils daraus? Die Probleme stecken im Detail.
Bei der Lektüre des verdienstvollen Bandes wird das weitgehende Fehlen ausgearbeiteter humanistischer Positionen vor allem dort sichtbar, wo Grundfragen der Würde des Menschen und die Rasanz sozialer Veränderungen aufeinander treffen. Eigene Standpunkte des organisierten Humanismus setzen nicht nur die kritische Analyse der eigenen, mehr als 150jährigen Praxis voraus, sondern auch die lernende Durchsicht vorliegender Auffassungen. Es zeigt sich nämlich, dass die Zeit günstig ist für Humanismus, weil auch die Kirchen und Religionen zumindest hier in Deutschland, wie auch alle Praktiker, die mit der Materie befasst sind, vor den gleichen Fragen stehen.
Der Herausgeberin Kerstin Gernig, Geschäftsführerin des in Düsseldorf beheimateten „Kuratorium Deutsche Bestattungskultur e.V.“, das einen eigenen „Fachverlag für das deutsche Bestattungsgewerbe“ betreibt, ist es gelungen, in diesem Band 28 sachkundigen Autorinnen und Autoren (darunter acht Theologen) und (in einem Grußwort) Rita Süssmuth Raum zu geben.
Das umfängliche Autorenverzeichnis belegt dies (S.151-158; leider fehlt hier Rolf-Peter Lange). Die Beiträge (siehe pdf in der Anlage) greifen die Intentionen des Titels „Verarmt ...“) eher kulturethisch und weniger sozialkritisch auf. Anonyme Bestattungen sind nämlich nicht nur ein Ausdruck von Armut, wie der Buchtitel nahe legt, sondern durchaus auch von Selbstbestimmung, gerade bei gut Betuchten. Das Buch bringt kurze Stellungnahmen, „geschäftliche“ Einwürfe, Moralkritik (nicht nur von theologischer Seite) und sehr ausführliche Aufsätze.
Rolf-Peter Lange stellt in seinem Beitrag eingangs lapidar – aber sicher richtig – fest, dass die Menschen angesichts des stattfindenden Wertewandels ihre Würde neu definieren (S.119). Und wenn sie sich dabei offensichtlich von christlichen Grundwerten verabschieden, ist eine Gegensteuerung im Sinne des Definierens von allgemein verbindlichen Werten gegen die Beliebigkeit eine gesamtgesellschaftliche Sache.
Wie das konkret geschehen müsste in der Bestattungskultur, in die bekanntlich noch Wertentscheidungen hinsichtlich der Multireligiosität, Sterbehilfe, Organspende usw. hineinwirken, beschreibt Hartmut Kreß (S.85). Er plädiert, und ihm ist hier zuzustimmen, für das offensive Aufgreifen strittiger Themen, für das Entschärfen der Interessenskonflikte in der Branche, für das Formulieren ethischer Standards und – hier würde ich weiter gehen – nicht nur für das Befassen mit rechtlichen Rahmenbedingungen – sondern deren Veränderung ist angezeigt.
Von Andreas Feuerborn (S.55-62) stammt ein juristisch abwägender Einblick in den „Status der menschlichen Asche“ – ein angesichts des 1934 eingeführten und bis heute geltenden Friedhofszwangs für Urnen sehr aktuelles und politisches Thema, gerade angesichts einer Tendenz zur Individualisierung und Selbstbestimmung.
Die katholische Kirche war über ein Jahrhundert Gegner der Feuerbestattung und diese ein Feld der Freidenkerei. Nun berichtet Bischof Joachim Wanke (S.101) – als wäre nichts gewesen –, wie die katholische Kirche z.B. in Thüringen, konkret in der Erfurter Allerheiligenkirche, das neue Bestattungsgesetz von 2004 nutzt und in der Kirche, also nicht auf einem Friedhof, ein Kolumbarium betreibt.
Es folgt aus dem, was die Kirche in Erfurt macht, die Freigabe des Friedhofszwangs für Urnen, und es folgen aus der neuen und erlaubten kirchlichen Praxis die gleichen Rechte für andere Anbieter, z.B. humanistische Verbände.
Unter welchen Bedingungen jedoch soll die Freigabe möglich sein? Ich meine zumindest immer dann, wenn ein lebender Mensch, der z.B. eine Patientenverfügung verfasst, auch hierzu selbst Festlegungen – eine „Verfügungsbefugnis“ (analog zu Feuerborn, S.59) – trifft.
Doch es bedarf auch hier eines Nachdenkens über die gesellschaftlichen Konsequenzen, d.h. letztlich einer Verständigung über unsere Bestattungskultur, und auch darüber, ob Menschen und Tiere wirklich hinsichtlich ihrer Friedhöfe immer enger zueinander rücken sollten. Kommt damit das Tier näher zum Menschen oder umgekehrt? Und was sagt das über unsere Kultur?
Horst Groschopp
Verarmt, verscharrt, vergessen? Dokumentation der Tagung des Kuratorium Deutsche Bestattungskultur e.V. vom 22.-23.11.2008* in München. Hg. von Dr. Kerstin Gernig. Düsseldorf: Fachverlag für das deutsche Bestattungsgewerbe 2008, 158 S., ISBN 978-3-936057-23-2, 27.80 €
(* Druckfehler, es muss 2007 heißen). Buchbestellung