MÜNCHEN. (hpd) Sind Antikriegsbilder jugendgefährdend? Eine Ausstellung wurde verboten, es erging ein Bußgeldbescheid. Das Amtsgericht München befand nun: Antikriegsbilder sind keine Ordnungswidrigkeit, denn die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Kunst sind geschützte Rechtsgüter.
Was war geschehen? Im April vergangenen Jahres zeigte der Künstler Wolfram P. Kastner in einer Münchner Ausstellung Kunst gegen Krieg. Darin waren Bilder, eine Installation sowie Fotos von Folgen aller Kriege zu sehen – verstümmelte, blutige menschliche Körper und Gesichter.
Ein paar aufgeregte Nachbarn sowie zwei Frauen aus dem veranstaltenden Kulturteam der Ausstellung „teilen statt kriegen“ forderten zwei Stunden nach der Eröffnung, die Bilder zu verhüllen oder abzuhängen, weil dadurch Kinder traumatisiert würden. Kastner weigerte sich jedoch, die Bilder zu verstecken, weil er eben das bezweckte: das Entsetzen über die furchtbaren Folgen von Kriegen. Er hält dies für sinnvoll und heilsam. Diese Bilder können – und sollen – starke Emotionen hervorrufen. Sie sollen Kinder und Jugendliche davon abhalten, Kriege als harmlose Geschehen zu verstehen, mit Waffen zu spielen oder Soldat zu werden.
Der Künstler findet, dass der Export deutscher Kriegswaffen, der von Politikern jeglicher Couleur (rotgrünschwarzgelb) gefördert wird, eine Ordnungswidrigkeit darstellt sowie jugendgefährdend und unsittlich ist, nicht aber das Zeigen der Folgen des Einsatzes dieser deutschen Kriegswaffen: verstümmelte und zerschossene Menschenleiber und -köpfe. Kastner ist der Meinung: „Man muss Kriege und Kriegswaffen ächten, nicht Bilder ihrer furchtbaren Folgewirkungen. Solche Bilder sind wie die ‘desastres della guerra’ von Goya für eine friedliche Welt jedenfalls sinnvoller als Kriegspiele und Verharmlosungen.“
Zwei Tage nach der Ausstellungseröffnung in München schalteten die Anwohner die Polizei ein. Diese, zunächst unschlüssig, drängte schließlich dazu, die Schaufenster bis zur Klärung der Angelegenheit vorläufig ca. 80 cm hoch zuzuhängen. Man wolle abwarten, wie sich das Kulturreferat der Stadt München dazu äußert und es solle festgestellt werden, ob die Ausstellung gegen das Jugendschutzgesetz verstoße.
Das reichte einigen besonders erregten Anwohnern nicht. Sie wollten die Ausstellung unbedingt und notfalls mit Gewalt schließen und beklebten die Schaufenster. Andere Ausstellungsbesucher wiederum reagierten mit völligem Unverständnis auf dieses extreme Verhalten und die Zensur, da sie die Ausstellung als sehr notwendig erachteten.
Schließlich musste Kastner die Ausstellung entfernen, die Bilder abhängen und einige Monate später, im August 2011, erging an ihn ein Bußgeldbescheid in Höhe von 273 Euro wegen „Belästigung der Allgemeinheit“.
Im Oktober 2011 zeigte Kastner dieselbe Ausstellung in Berlin – ohne dass sich daran jemand störte. Sogar an der Aktion vor der Ausstellungseröffnung, als die Künstler Wolfram P. Kastner und Pablo Hermann in ausgemusterten Kampfanzügen der Bundeswehr und mit totenbleich geschminkten Gesichtern Bilder verwundeter und im Krieg verstümmelter Menschen durch Berlin trugen und dabei deutsche Gummibärchen verteilten, passierte (juristisch gesehen) nichts. Keiner der Anwohner, der Tausenden von Passanten, kein Polizist fühlte sich belästigt.
In München folgte das Amtsgericht nun der Argumentation des Künstler-Anwalts und sprach Kastner am 13. Juni frei vom Vorwurf einer „Belästigung der Allgemeinheit“. Das von der Stadt München verhängte Bußgeld ist nicht zu bezahlen.
Deutlich wurde am zweiten Tag des Verfahrens, dass die Grundrechte der Meinungsfreiheit und der Freiheit der Kunst hohe Rechtsgüter sind und das Zeigen von in Kriegen verletzten Menschen keine Ordnungswidrigkeit darstellt.
Fiona Lorenz